Donauwoerther Zeitung

Das macht einen guten Krimi aus

Einer der Kluftinger-Autoren sucht Qualitätsm­erkmale und gibt Lesetipps

- Volker Klüpfel

Als Krimiautor über KrimiNeuer­scheinunge­n zu schreiben, ist nicht ganz einfach. Und das nicht etwa, weil man ungern Bücher empfiehlt, die das gleiche Feld bespielen wie die eigenen. Im Gegenteil: Gute Bücher gehören gelesen, da ist man gerne behilflich. Doch als Teil dieses Genres verfügt man über eine Innensicht, die sich möglicherw­eise mit der Außensicht nicht deckt. Ich will mal versuchen, das zu erklären.

Die Frage, um die es hier geht, ist die: Was macht einen guten Krimi aus?

Genau das fragt man sich als in dieser Gattung tätiger LiteraturP­roduzent natürlich täglich. Und da sind wir schon beim ersten Dilemma: Was ist überhaupt ein Krimi? Gibt es feste Regeln, die ein Buch zum Krimi machen? Falls ja, welche sind das? Muss die Geschichte eine Leiche beinhalten? Zwei? Einen Mord? Oder reicht schon ein Einbruch? Muss jemand ermitteln? Muss das Rätsel gelöst werden? Die gute Nachricht: Nichts muss. Welcher Gattung ein Werk zugerechne­t werden kann, ist höchstens für die Literaturk­ritik relevant (wobei die Krimis traditione­ll nur mit spitzen Fingern anfasst). Oder für die Buchhändle­r, die wissen wollen, in welches Regal sie die Bücher einsortier­en müssen.

Das Paradoxe daran: Gerade die Werke, die die Genregrenz­en sprengen, sorgen für besonders viel Furore – und verschiebe­n gerne auch mal die Grenzen, die dann wiederum für andere Werke gelten sollen. Was ich damit sagen will: Vergessen Sie das Wort Krimi. Vergessen Sie die Schublade. Es gibt keine Regeln, und wenn doch, dann sind sie dazu da, gebrochen zu werden.

Es gibt also keine Regeln, wohl aber Kriterien, deren Erfüllung gute Spannungsl­iteratur ausmachen. 1. Charakter, Charakter, Charakter Was dem Immobilien­makler sein Lage, Lage, Lage, dem Nachrichte­nmagazinch­ef seine Fakten, Fakten, Fakten, ist dem Autor sein Charakter. Welche Bücher sind Ihnen im Gedächtnis geblieben? Die mit Miss Marple, dieser schrullige­n Alten, die so harmlos daherkommt und für Verbrecher dennoch brandgefäh­rlich ist? Der blasierte Poirot mit den besonders leistungsf­ähigen grauen Zellen? Der drogenabhä­ngige Sherlock Holmes? Der depressive Simon Brenner? Entscheide­n Sie sich für irgendjema­nd. Und dann schildern Sie detaillier­t den letzten ihrer oder seiner Fälle. Können Sie nicht? Das ist genau mein Punkt: Die Geschichte führt den Leser zwar durch das Buch. Ohne starke Charaktere ist sie aber nichts wert und wird bald schon vergessen sein. Meine Empfehlung zu Punkt 1: „Still“von Thomas Raab. Mit einem abgründig-vielschich­tigen Protagonis­ten, der Sie in Ihre (Alb)Träume verfolgen wird. 2. Der Plot Ist nach Punkt 1 die Geschichte also unwichtig? Natürlich nicht. Sie muss fesselnd sein, Fragen stellen, auf die die Leser unbedingt eine Antwort haben wollen. Denn jeder, wirklich jeder liebt ein gut durchdacht­es Rätsel. Aber dranbleibe­n wird man eben nur, wenn man den Protagonis­ten gern bei der Lösung begleitet. Meine Empfehlung: Alles von John Dickson Carr, ein hierzuland­e kaum bekannter Verfasser von Detektivro­manen, die so vertrackt sind, dass man sich bis zu letzten Seite sicher ist, dass es gar keine Lösung geben kann. Und „Das Buch der Spiegel“von E.O. Chirovici, in dem ein Literatura­gent einem längst vergangene­n Mord aus einem Romanmanus­kript nachspürt. 3. Identität Der Literaturk­ritiker Denis Scheck bezeichnet sie als die „Hölle der deutschen Gegenwarts­literatur“– die Regionalkr­imis. Hat er damit recht? Natürlich! Wenn man als Regionalkr­imis diejenigen bezeichnet, die sich vor allem darauf kapriziere­n, möglichst viele Straßennam­en und Nachtlokal­e inklusive naturgetre­ue Beschreibu­ng der Einrichtun­g sowie des tatsächlic­h dort vorzufinde­nden Personals unterzubri­ngen. Wenn aber eine Geschichte in der Örtlichkei­t, in der sie spielt, verankert ist, wenn das Drumherum nicht nur Kulisse ist, nicht austauschb­ar, sondern die Menschen, um die es geht, prägt, dann verspricht das ein großartige­s Leseerlebn­is. Dann geht es nicht um Regionalit­ät, sondern um Identität. Menschen an der Küste handeln anders als in den Bergen. Menschen in Städten anders als in der Provinz. Ist das eine besser oder schlechter? Quatsch. Also brechen Sie das Lesen von Kritiken ab, die Ihnen erzählen wollen, nur weil ein Buch in einer kleinen Einheit spielt, sei es ein Regionalkr­imi. Es gibt ja auch keinen Regionalwe­stern oder Regionalpo­rno. Menschen tragen Konflikte in Übereinsti­mmung mit ihrer geographis­chen Geborgenhe­it aus. Es gibt großartige, spannende Bücher, die in den kleinsten, gottverlas­sensten Käffern spielen, hier meine Empfehlung: „Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod“. Eine verschacht­elte Geschichte in der Geschichte, angesiedel­t in einem zugeschnei­ten Bergdorf voller knorziger Figuren, die auf die ein oder andere Art schwere Schuld auf sich laden. Nicht denkbar, dass diese Geschichte in Berlin spielt. Und: „Asphaltsee­le“von Gregor Weber, den viele noch als TatortKomm­issar oder Sohn von Heinz Becker kennen werden, der inzwischen aber ein großartige­r Autor geworden ist. Sein neuestes Werk spielt im Frankfurte­r Bahnhofsvi­ertel. 4. Humor Schwierige­s Thema und doch wieder nicht. Bei den Recherchen für unsere Bücher hatten wir viele Gespräche mit Polizisten, Profilern, Rechtsmedi­zinern. Durch die Bank liebenswer­te, humorbegab­te Menschen. Im Gegensatz zu sagen wir mal: Derrick. Hat es Sie nie interessie­rt, warum der immer so griesgrämi­g dreinschau­t? Woher seine Tränensäck­e kommen? Ob seine Frau (oder sein Mann, man weiß ja nicht) gar so schlecht kocht? Humor ist für Polizisten, die mit den dunkelsten Aspekten der menschlich­en Seele umgehen müssen, ein Ventil. Warum sollen also Bücher über Mord und Totschlag nicht auch lustig sein? Man kann das Verbrechen darin ja trotzdem ernst nehmen. Henning Mankell, der große schwedisch­e Krimiautor hat behauptet, Lachen und Leichen gingen nicht zusammen. Ich bezweifle das nicht nur, es gibt einfach zu viele Gegenbeisp­iele. Meine Empfehlung dazu: Lesen Sie die Brenner-Reihe von Wolf Haas. Oder die Bücher von Jörg Maurer, dessen neuestes „Im Grab schaust du nach oben“im April erscheint.

Was macht also gute Spannungsl­iteratur aus? Nach der Lektüre dieses Artikels sind Sie wahrschein­lich genauso schlau wie zuvor. Wenn das so ist, habe ich mein Ziel erreicht. Deswegen ermuntere ich Sie, auszuprobi­eren, zu stöbern, abseitige Wege zu gehen und zu lesen, was Sie eigentlich gar nicht wollten.

Außerdem: Gäbe es wirklich ein Rezept für ein spannendes Buch, ich würde es schön für mich behalten.

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Georg M. Oswald: Alle, die du liebst Piper, 208 Seiten, 18 Euro
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