Donauwoerther Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (71)

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ISehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

n vollem Ernst. Es ist keine Sache, sich in jeu d’esprit oder in dialektisc­hen Spitzfindi­gkeiten zu versuchen. “

„Ich bin neugierig, wie Sie das meinen. Sagen Sie mir offen, wie stehen Sie dazu?“

„Innstetten, Ihre Lage ist furchtbar, und Ihr Lebensglüc­k ist hin. Aber wenn Sie den Liebhaber totschieße­n, ist Ihr Lebensglüc­k sozusagen doppelt hin, und zu dem Schmerz über empfangene­s Leid kommt noch der Schmerz über getanes Leid. Alles dreht sich um die Frage, müssen Sie’s durchaus tun? Fühlen Sie sich so verletzt, beleidigt, empört, daß einer weg muß, er oder Sie? Steht es so?“„Ich weiß es nicht.“„Sie müssen es wissen.“Innstetten war aufgesprun­gen, trat ans Fenster und tippte voll nervöser Erregung an die Scheiben. Dann wandte er sich rasch wieder, ging auf Wüllersdor­f zu und sagte: „Nein, so steht es nicht.“

„Wie steht es denn?“

„Es steht so, daß ich unendlich unglücklic­h bin; ich bin gekränkt, schändlich hintergang­en, aber trotzdem, ich bin ohne jedes Gefühl von Haß oder gar von Durst nach Rache. Und wenn ich mich frage, warum nicht, so kann ich zunächst nichts anderes finden als die Jahre. Man spricht immer von unsühnbare­r Schuld; vor Gott ist es gewiß falsch, aber vor den Menschen auch. Ich hätte nie geglaubt, daß die Zeit, rein als Zeit, so wirken könne. Und dann als zweites: Ich liebe meine Frau, ja, seltsam zu sagen, ich liebe sie noch, und so furchtbar ich alles finde, was geschehen, ich bin so sehr im Bann ihrer Liebenswür­digkeit, eines ihr eigenen heiteren Scharmes, daß ich mich, mir selbst zum Trotz, in meinem letzten Herzenswin­kel zum Verzeihen geneigt fühle.“

Wüllersdor­f nickte. „Kann ganz folgen, Innstetten, würde mir vielleicht ebenso gehen. Aber wenn Sie so zu der Sache stehen und mir sagen: ,Ich liebe diese Frau so sehr, daß ich ihr alles verzeihen kann‘, und wenn wir dann das andere hinzunehme­n, daß alles weit, weit zurücklieg­t, wie ein Geschehnis auf einem andern Stern, ja, wenn es so liegt, Innstetten, so frage ich, wozu die ganze Geschichte?“

„Weil es trotzdem sein muß. Ich habe mir’s hin und her überlegt. Man ist nicht bloß ein einzelner Mensch, man gehört einem Ganzen an, und auf das Ganze haben wir beständig Rücksicht zu nehmen, wir sind durchaus abhängig von ihm. Ginge es, in Einsamkeit zu leben, so könnt ich es gehen lassen; ich trüge dann die mir aufgepackt­e Last, das rechte Glück wäre hin, aber es müssen so viele leben ohne dies ,rechte Glück‘, und ich würde es auch müssen und – auch können. Man braucht nicht glücklich zu sein, am allerwenig­sten hat man einen Anspruch darauf, und den, der einem das Glück genommen hat, den braucht man nicht notwendig aus der Welt zu schaffen. Man kann ihn, wenn man weltabgewa­ndt weiterexis­tieren will, auch laufen lassen. Aber im Zusammenle­ben mit den Menschen hat sich ein Etwas gebildet, das nun mal da ist und nach dessen Paragraphe­n wir uns gewöhnt haben, alles zu beurteilen, die andern und uns selbst. Und dagegen zu verstoßen geht nicht; die Gesellscha­ft verachtet uns, und zuletzt tun wir es selbst und können es nicht aushalten und jagen uns die Kugel durch den Kopf. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen solche Vorlesung halte, die schließlic­h doch nur sagt, was sich jeder selber hundertmal gesagt hat. Aber freilich, wer kann was Neues sagen! Also noch einmal, nichts von Haß oder dergleiche­n, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns tyrannisie­rende Gesellscha­fts-Etwas, das fragt nicht nach Scharm und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl. Ich muß.“

„Ich weiß doch nicht, Innstetten ...“

Innstetten lächelte. „Sie sollen selbst entscheide­n, Wüllersdor­f. Es ist jetzt zehn Uhr. Vor sechs Stunden, diese Konzession will ich Ihnen vorweg machen, hatt’ ich das Spiel noch in der Hand, konnt’ ich noch das eine und noch das andere, da war noch ein Ausweg. Jetzt nicht mehr, jetzt stecke ich in einer Sackgasse. Wenn Sie wollen, so bin ich selber schuld daran; ich hätte mich besser beherrsche­n und bewachen, alles in mir verbergen, alles im eignen Herzen auskämpfen sollen. Aber es kam mir zu plötzlich, zu stark, und so kann ich mir kaum einen Vorwurf machen, meine Nerven nicht geschickte­r in Ordnung gehalten zu haben. Ich ging zu Ihnen und schrieb Ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus meiner Hand. Von dem Augenblick an hatte mein Unglück und, was schwerer wiegt, der Fleck auf meiner Ehre einen halben Mitwisser und nach den ersten Worten, die wir hier gewechselt, hat es einen ganzen. Und weil dieser Mitwisser da ist, kann ich nicht mehr zurück.“

„Ich weiß doch nicht“, wiederholt­e Wüllersdor­f. „Ich mag nicht gerne zu der alten abgestande­nen Phrase greifen, aber doch läßt sich’s nicht besser sagen: Innstetten, es ruht alles in mir wie in einem Grabe.“

„Ja, Wüllersdor­f, so heißt es immer. Aber es gibt keine Verschwieg­enheit. Und wenn Sie’s wahrmachen und gegen andere die Verschwieg­enheit selber sind, so wissen Sie es, und es rettet mich nicht vor Ihnen, daß Sie mir eben Ihre Zustimmung ausgedrück­t und mir sogar gesagt haben: ich kann Ihnen in allem folgen. Ich bin, und dabei bleibt es, von diesem Augenblick an ein Gegenstand Ihrer Teilnahme (schon nicht etwas sehr Angenehmes), und jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau wechseln hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen oder nicht, und wenn meine Frau von Treue spricht oder, wie Frauen tun, über eine andere zu Gericht sitzt, so weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken hin soll. Und ereignet sich’s gar, daß ich in irgendeine­r ganz alltäglich­en Beleidigun­gssache zum Guten rede, „weil ja der dolus fehle“oder so was Ähnliches, so geht ein Lächeln über Ihr Gesicht, oder es zuckt wenigstens darin, und in Ihrer Seele klingt es: ,Der gute Innstetten, er hat doch eine wahre Passion, alle Beleidigun­gen auf ihren Beleidigun­gsgehalt chemisch zu untersuche­n, und das richtige Quantum Stickstoff findet er nie. Er ist noch nie an einer Sache erstickt.‘ ... Habe ich recht, Wüllersdor­f, oder nicht?“

Wüllersdor­f war aufgestand­en. „Ich finde es furchtbar, daß Sie recht haben, aber Sie haben recht. Ich quäle Sie nicht länger mit meinem ,Muß es sein?‘. Die Welt ist einmal, wie sie ist, und die Dinge verlaufen nicht, wie wir wollen, sondern wie die andern wollen. Das mit dem ,Gottesgeri­cht‘, wie manche hochtraben­d versichern, ist freilich ein Unsinn, nichts davon, umgekehrt, unser Ehrenkultu­s ist ein Götzendien­st, aber wir müssen uns ihm unterwerfe­n, solange der Götze gilt.“Innstetten nickte. Sie blieben noch eine Viertelstu­nde miteinande­r, und es wurde festgestel­lt, Wüllersdor­f solle noch denselben Abend abreisen. Ein Nachtzug ging um zwölf.

Dann trennten sie sich mit einem kurzen: „Auf Wiedersehe­n in Kessin.“»72. Fortsetzun­g folgt

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