Die goldene Regel
„Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch!“(Mt 7, 12). Seit dem 17. Jahrhundert kennen wir diesen Aufruf Jesu zur tätigen Nächstenliebe unter dem Namen golden rule, goldene Regel. Anglikanische Christen haben ihn aufgebracht, weil sie darin den Königsweg zu einem verlässlichen Miteinander sahen: Ein einfacher Grundsatz, der sehr fair ist und jedem Menschen einleuchtet.
Erfunden hat Jesus diese goldene Regel übrigens nicht. Ähnliche Worte finden sich schon im Alten Testament und auch in noch älteren Schriften aus China, Indien, Persien, Altägypten und Griechenland. Da sie oft unabhängig voneinander entstanden sind, begegnet uns hier wohl tatsächlich so etwas wie eine gemeinsame Menschheitsidee über alle Kulturgrenzen hinweg: „Behandelt die Leute so, wie ihr von ihnen behandelt werden wollt.“Nun möchte man meinen, diese Regel sei so klar, dass sie sich von selbst verstünde. Aber weit gefehlt.
Die einen zerreden sie mit großem Wenn und Aber, die anderen lassen sie links liegen. Sogar Spott muss sie sich gefallen lassen: „Vorsicht, wenn dich jemand mit seinen gut gemeinten Wohltaten überschüttet. Er könnte einen schlechten Geschmack haben!“Ihre Kritiker mögen ja im Recht sein und die goldene Regel passt nicht perfekt auf alle zwischenmenschlichen Lebenslagen. Aber wer sagt, dass sie das muss?
Unsere Familien, unsere Gesellschaft bis hin zum globalen Zusammenleben hätten schon viel gewonnen, wenn diese eine Frage selbstverständlicher werden würde: „Möchte ich so behandelt werden, wie ich andere behandle?“Nach einer ehrlichen Antwort dürfte es schwerfallen, in den sozialen Netzwerken zu mobben. Es dürfte schwerfallen, alternative Wahrheiten und Fake News zu streuen oder Hasstiraden und irre Verleumdungen los zu lassen. Die goldene Regel steht für Fairness und Einfühlungsvermögen. Zwei einfache Dinge, aber unverzichtbarer Klebstoff für alle unsere Beziehungen.