Im Märzen der Brauer
Jetzt ist wieder Starkbierzeit. Ein Anlass, an die Trinkkultur in und um Rain zu erinnern, die eine lange Tradition hat. Dabei geht vor allem um Bier, aber auch um Wein. Bis ins 18. Jahrhundert gab es in der Tillystadt 17 Brauereien. Warum sie heute alle
„Das allgemeine Getränk ist das liebe Bier. Alles, Groß und Klein, Alt und Jung, Reich und Arm, männlich wie weiblich – Alles trinkt Bier.“–
Diese Feststellung traf im Jahre 1857 der Rainer Bezirksarzt Johann Baptist Wolff. Inwieweit sein Physikatsbericht den tatsächlichen Verhältnissen entsprach, sei dahingestellt. In der Tat aber lässt sich für die Stadt Rain eine außerordentliche Biertradition nachweisen. Bis ins 18. Jahrhundert gab es 17 Anwesen, die eine Brautätigkeit ausübten. Nicht mitgezählt sind die zahlreichen Wein- und Bierlokale, die nur eine Schanklizenz besaßen. Eine ähnlich hohe Brauereidichte lässt sich genauso für andere bayerische Landstädte in der damaligen Zeit belegen. Doch in Rain lagen die Brauereien – abgesehen von drei Ausnahmen – auf einer Länge von etwa 150 Metern entlang der Hauptstraße konzentriert beieinander und prägten so das Stadtbild in besonderer Weise.
Die Verbindung von Bayern und Bier ist ein weit verbreitetes stereotypes Klischee. Dabei wird gerne übersehen, dass bis ins Spätmittelalter der Wein das Volksgetränk Nummer eins war. Aufgrund eines wärmeren Klimas war in unserer Region sogar Weinbau möglich. Die besten Lagen des Baierweins bildeten die steil abfallenden Jurahänge entlang des Donautals. Ein Hauptort der Winzerei war Leitheim; dort betrieben die Äbte von Kaisheim seit dem 12. Jahrhundert klösterlichen Weinbau. In Spitzenjahren kelterten sie bis zu 50 000 Liter Wein.
Über Geschmack und Qualität ist wenig bekannt. Einen Hinweis gibt ein Verzeichnis über das Weinlager der Kaisheimer Äbte aus dem Jahre 1784: Zum Bestand gehörten 40 Flaschen „süßen“Leitheimer Rotweins und zwei Eimer (rund 120 Liter) „süßen“Leitheimer Jungweins. Der Wein war im Mittelalter eine lukrative Handelsware. Daran verdienten nicht zuletzt die an den Handelswegen gelegenen Orte. Aus den alten Rechnungsbüchern der Stadt Rain wissen wir, dass im Jahre 1437 im Durchschnitt sechs Weinfuhren täglich die Zollstation an der Lechbrücke passierten. Die Händler kamen aus Ulm, Schongau, Geislingen und Straßburg und boten Weine aus Baden, Württemberg, dem Elsass und Italien an. Jeder Kaufmann hatte einen Zoll von 2 Maß für jeden Eimer Wein (rund 64 Liter) zu entrichten. Freilich war der Weinhandel für die Stadt nicht so bedeutend wie der Salz- und Viehhandel. Seinen Beitrag zum spätmittelalterlichen Reichtum der Stadt darf man aber nicht unterschätzen. Der Zoll war nicht die einzige Verbindlichkeit für den durchziehenden Händler. In der Stadt musste er zudem seine Reise unterbrechen, übernachten und seine Waren anbieten. Ein stattlicher Salz- und Weinstadel, der an der Stelle des heutigen Rathauses – also am zentralsten Platz – errichtet wurde, diente als Speicher- und Verkaufsraum.
Seit dem 16. Jahrhundert ging die Bedeutung des Weines zurück. Im Jahre 1619 wurden immerhin noch 773 Eimer, also 49000 Liter Wein in Rain verkauft. Ein Vergleich mit der Bierproduktion in diesen Jahren zeigt jedoch, wie sehr sich die Trinkgewohnheiten bereits zugunsten des Gerstensaftes verschoben hatten: Aus einer alten Chronik erfahren wir, dass von 1623 bis 1626 insgesamt 12405 (80 000 Liter) Eimer Bier gebraut wurden. Bezogen auf den Jahresdurchschnitt übertraf die Bierproduktion den Weinkonsum um die fünf- bis sechsfache Menge.
Die Gründe waren vielfältig: Mit den Kälteperioden im ausgehenden 16. Jahrhundert verschlechterten sich die Produktionsbedingungen für den Weinbau. Ferner sorgten brautechnische Fortschritte für einen größeren Bierumsatz. Außerdem entdeckte der bayerische Kurfürst Maximilian I. im Brauwesen eine wichtige Einnahmequelle und förderte so den Umsatz.
Als handwerkliches Gewerbe waren die Brauer zünftisch organisiert. Die Zunft überwachte die Qualität des Produktes. Die Rainer Brauer waren zusammen mit den Bäckern und Müllern zu einer Gilde zusammengeschlossen. Die Zunft war nicht nur eine wirtschaftlich-soziale sondern auch eine religiöse Gemeinschaft. Mit ihrer Zunftfahne, auf der sie selbstbewusst ihre Brauersymbole Malzschaufel und Bierschöpfer präsentierten, nahmen sie an den kirchlichen Umzügen und Prozessionen teil. Am religiösen Leben hatte die Gilde auch durch Stiftungen und Zuwendungen einen großen Anteil. So hatten die Brauer bereits im Jahre 1511 ihr Zunfthaus für die Gründung eines Predigerbenefiziums zur Verfügung gestellt.
Das Rainer Bier war schon im 17. Jahrhundert ein Exportartikel, der bis Augsburg verkauft wurde. Die zahlreichen Jahr- und Wochenmärkte förderten den Bierumsatz und machten die Brauer wohlhabend. In der Stadt hatten sie deshalb eine herausgehobene Stellung. Häufig wurden aus ihren Reihen die Bürgermeister gewählt.
Zu ihnen gehörte auch Dietrich Popp, der im Jahre 1671 zusammen mit seiner Frau einen Frauenaltar für die Stadtpfarrkirche stiftete. Ihr Sohn war der berühmte Willibald Popp, der 1694 zum Reichsprälat der Reichsabtei St. Ulrich und Afra in Augsburg gewählt wurde. Die Popps waren auf dem stattlichsten Brauanwesen der Stadt zuhause. Mit 14 Fensterachsen stand das zweigeschossige Gebäude traufseitig zur Straße und bildete ein markantes und beherrschendes Haus im Ensemble der Stadt. Im 18. und 19. Jahrhundert übte dort die Familie Schirmböck das Brauhandwerk aus. Als Bürgermeister genoss Karl Schirmböck (1718-1772) hohes Ansehen. In seine Zeit fiel auch eine der größten Tragödien in der Rainer Stadtgeschichte. In der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 1754 brach in der hauseigenen Mälzerei ein verheerender Brand aus, der auf die umliegenden Anwesen übergriff und ohne auswärtige Hilfe die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt hätte.
Die Rainer Brauer siedeten bis ins 19. Jahrhundert ausschließlich untergäriges Braunbier. Gebraut wurde zwischen Michaeli (29. September) und Georgi (23. April), da die untergärige Hefe nur bei Temperaturen bis maximal 10 Grad Celsius gärt. Am Ende einer jeden Brausaison stellte man ein besonders haltbares Bier her, indem man den Gehalt an Stammwürze und Alkohol erhöhte. Wegen seiner konservierenden Wirkung wurde dem Sud auch noch besonders viel Hopfen beigemengt. Den Sommer über wurde der Gerstensaft in Bierkellern gelagert, die mit Eisblöcken befüllt waren. Mühsam wurden sie in den Wintermonaten aus den umliegenden gefrorenen Weihern herausgesägt. Einer davon lag im Südosten der Stadt am Fuße der ehemaligen Ziegelschanze und war ursprünglich Teil der mittelalterlichen Befestigungsanlage. Sein Name, Kohlbergerbeziehungsweise Öxlerweiher, erinnert
an zwei bedeutende Brauereigeschlechter und damit an die ehemalige Funktion als Eisweiher.
Während man in Rain untergäriges Braunbier herstellte, produzierte man im Kloster Niederschönenfeld obergäriges Weißbier. Im Gegensatz zum Braunbier konnte es das ganze Jahr über produziert werden, da die obergärige Hefe für den Gärprozess Temperaturen von 15 bis 20 Grad Celsius benötigt. Die Braukonzession wurde den Klosterfrauen 1670 von der kurfürstlich-bayerischen Hofkammer – also von höchster Stelle – verliehen. Dies ist vor allem bemerkenswert, da die Kurfürsten normalerweise ihr Weißbiermonopol nicht aus der Hand gaben. Die Verleihung der Lizenz geschah auch zum Ärger der Rainer Brauer, die gefährliche Konkurrenz befürchteten. Deshalb achteten sie genau darauf, dass das Bier nur den Wallfahrern, die zum Heiligen Kreuz pilgerten, zum „Verschleiss“gereicht wurde.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Brauerei für das Kloster wird auch im stattlichen Brauereigebäude deutlich, welches die Äbtissin im Jahre 1719 errichten ließ. Für damalige Verhältnisse war es eine moderne Brauerei, die alle Gewerke unter einem Dach vereinigte. Nach der Säkularisation wurde das Gewerbe von den neuen Besitzern noch einige Jahrzehnte bis zum Abriss des Gebäudes weitergeführt.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren in München die ersten Brauanlagen entstanden, welche die Herstellung des Bieres im industriellen Stil und nach modernsten Standards ermöglichten. Dieser Entwicklung konnten sich auch die Landbrauereien nicht entziehen. Viele gaben auf, da sie sich solche Investitionen nicht leisten konnten. In Rain ist die Zahl an Betrieben im Jahre 1802 bereits auf zwölf zurückgegangen. Und in einem Zusatz heißt es, dass „kaum drei von diesem Gewerb sich nähren können.“Das Brauereisterben dauerte bis ins 20. Jahrhundert an, seit den 1980er Jahren gibt es in Rain keine Brauerei mehr.
In der Rainer Stadtpfarrkirche erinnern heute noch einige Epitaphien an die große Zeit der Brauer. Auf 15 Steintafeln stehen die Namen der alten Braugeschlechter (Popp, Öxler, Streitberger, Baumann und Schirmböck). Man erkennt sie schnell an den Brauzeichen. Manche zeigen außerdem ihre Familienwappen und künden so vom Stolz und Selbstbewusstsein eines alten Gewerbes.