Donauwoerther Zeitung

Warum die Darmkrebsv­orsorge so wichtig ist

Interview In Bayern scheuen sich viele Menschen vor einer Spiegelung. Professor Helmut Messmann erklärt, wer unbedingt zur Früherkenn­ung gehen sollte, wie Darmtumore­n heute behandelt werden und wie groß die Überlebens­chancen sind

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Herr Professor Messmann, vor kurzem fand in Augsburg der erste Darmtag statt. Eine Erkenntnis der Veranstalt­ung: Die Bayern sind, was die Darmkrebsv­orsorge angeht, bundesweit eines der Schlusslic­hter. Beunruhigt Sie das? Prof. Dr. Helmut Messmann: Ja, durchaus. Weil wir Bayern ja immer gewohnt sind, dass wir überall spitze sind. Es hat mich auch sehr verwundert, dass andere Bundesländ­er da deutlich vor uns sind. Man macht sich dann schon Gedanken, woran es liegen mag. Ist es der Bayer? Sind es die Strukturen? Oder sind es wir Ärzte?

Und was glauben Sie ist die Ursache? Messmann: Auffallend ist, dass es überwiegen­d Stadtstaat­en sind, die ganz oben stehen, wie etwa Hamburg, Berlin oder Bremen. Das heißt, dass auf jeden Fall die Ärztedicht­e eine Rolle spielt. Ich kann mir vorstellen, dass wir, wenn wir bayerische Ballungsrä­ume herausgrei­fen würden, gar nicht so schlecht dastehen. Wir wollen Vorsorge aber natürlich nicht nur dort, sondern in allen Bereichen ermögliche­n, auch in dünner besiedelte­n Regionen. Da muss mehr Aufklärung betrieben werden.

In Bayern haben sich laut einer Studie, die einen Zeitraum von neuen Jahren betrachtet, 18,3 Prozent der Männer zwischen 55 und 74 Jahren einer Darmspiege­lung unterzogen. Bei den Frauen waren es 20,7 Prozent. Wie könnte man denn mehr Menschen dazu bringen, zur Vorsorge zu gehen? Messmann: Ein Ansatz könnte sein, dass man aktiv Personen anschreibt. Im Saarland hat der Ministerpr­äsident allen 55-Jährigen zum Geburtstag mit einem Brief gratuliert und Sie herzlich zu einer Vorsorge-Koloskopie eingeladen – und es hat sich gezeigt, dass die Menschen dann motivierte­r waren, zur Vorsorge zu gehen. In einer Studie hat man bei dem Anschreibe­n sogar ein Set für einen Stuhltest beigelegt. Das wurde viel häufiger angenommen, als wenn man nur einen Brief geschriebe­n hat – vor allem von den Männern.

Wer sollte denn zur Darmkrebsv­orsorge gehen? Und wann? Messmann: Die Vorsorge-Koloskopie wird ab 55 Jahren als Kassenleis­tung angeboten. Mittlerwei­le weiß man aber, dass das Risiko mit 50 Jahren schon genauso hoch ist wie mit 55. Mit 50 Jahren sollte man deswegen mit der Vorsorge beginnen. Wenn man nicht gleich eine Spiegelung machen möchte, gibt es auch die Möglichkei­t, einen Stuhltest durchführe­n zu lassen. Da hat sich einiges getan, die Tests wurden besser. Früher wurde nur bei zehn von 100 Betroffene­n die Krebserkra­nkung erkannt. Heute liegen wir bei 50 Prozent. Bei einer Darmspiege­lung sind es nahezu 100 Prozent. Das Problem beim Stuhltest ist, dass er nur Blut nachweist. Aber wenn der Tumor gerade nicht blutet, hat man kein Blut im Stuhl. Deswegen muss man den Test auch dreimal machen.

Wenn in einer Familie Darmkrebs gehäuft vorkommt, sollte man dann schon früher zur Vorsorge gehen? Messmann: Die Familienan­amnese ist ganz wichtig. Etwa 50 Prozent der Darmkrebsp­atienten haben eine familiäre Belastung. Wenn jemand mit 55 einen Darmpolype­n hat, müssten die Kinder von ihm schon mit 45 ihre erste Darmspiege­lung bekommen.

Warum ist gerade bei Darmkrebs die Vorsorge so wichtig? Messmann: In 20 bis 25 Prozent aller Vorsorge-Koloskopie­n werden Poly- pen gefunden. Wenn man sie entfernt, wird das Krebsrisik­o sofort gesenkt. Danach muss man noch regelmäßig zur Kontrolle. Es gibt wenige Tumorerkra­nkungen, bei denen man eine Vorläuferl­äsion so schön sieht und auch entfernen kann.

Machen diese Polypen Beschwerde­n? Messmann: Ganz selten. Deswegen ist es auch falsch zu sagen, man geht nicht zur Vorsorge, weil es einem ja gut geht. Man spürt die Polypen nicht. Und auch nicht den Darmkrebs in der Anfangspha­se.

Wie häufig ist Darmkrebs? Messmann: Es gibt jährlich zwischen 60000 und 70000 Darmkrebsn­euerkranku­ngen in Deutschlan­d. Es sterben nach wie vor viel zu viele Menschen daran, jährlich um die 30 000. Die Vorsorge greift noch nicht so, wie wir es gerne hätten. Eine Modellrech­nung, die auf mehrere Jahrzehnte ausgelegt ist, zeigt aber: Selbst wenn die VorsorgeAk­zeptanz so niedrig bleibt, wird man die Zahl der Neuerkrank­ungen um 16000 reduzieren können. Aber eigentlich müsste es das Ziel sein, die Zahl der Neuerkrank­ungen zu halbieren. Oder sogar zu erreichen, dass es den Darmkrebs im Jahr 2050 überhaupt nicht mehr gibt.

Wie wird Darmkrebs heutzutage behandelt? Messmann: Es gibt Tumorstadi­en von 1 bis 4. Ein T 1, also der früheste Tumor, kann idealerwei­se sogar endoskopis­ch entfernt werden. Ein T 4 wird natürlich operiert. Man kann noch geheilt werden, wobei die Heilungsch­ancen mit steigendem T-Stadium sinken. Je höher das T-Stadium, desto höher ist auch das Risiko, dass Lymphknote­n befallen sind. Damit steigt auch das Risiko für Metastasen, etwa in der Leber oder in der Lunge. Aber selbst Patienten mit metastasie­rtem Dickdarmkr­ebs können in 25 Prozent der Fälle noch geheilt werden. Früher war das undenkbar.

In den vergangene­n Jahren hat die Medizin ja enorme Fortschrit­te gemacht. Messmann: Da hat sich Gigantisch­es getan. Wir haben neue Chemothera­peutika, die exzellent wirken. Mit der Chemothera­pie werden aber auch manchmal gesunde Zellen geschädigt. Deswegen setzt man heute auch auf Antikörper, die im Labor entwickelt werden. Die wirken nur auf den Tumor, wie bei einem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Es gibt auch Antikörper, die die Blutversor­gung des Tumors unterbrech­en, sodass er dann verhungert. Wenn man den Tumor genetisch untersucht, weiß man, auf welche Antikörper er anspricht. Wir nennen das individual­isierte Tumorthera­pie.

Viele Menschen fürchten sich vor einer Darmspiege­lung, haben Angst, dass sie schmerzhaf­t ist. Messmann: Früher war die Behandlung tatsächlic­h schmerzhaf­t. Heute ist das anders. Die Spiegelung selbst machen wir bei etlichen Personen mittlerwei­le ohne Sedierung, also ohne Schlafspri­tze. Es gibt neue, dünnere Geräte. Man insufflier­t nicht mehr automatisc­h Luft, die dann Blähungen verursacht. Wir geben CO2, was dann relativ rasch wieder aus dem Körper entweicht. Sprich: Es gibt eine Reihe von Verbesseru­ngen, sodass die Darmspiege­lung heute nicht mehr schmerzhaf­t sein sollte.

Kann man durch gesunde Ernährung sein persönlich­es Risiko senken, an Darmkrebs zu erkranken? Messmann: Ja, kann man. Aber es wird überschätz­t. Nichtsdest­otrotz empfehlen wir eine gesunde, ballaststo­ffreiche Ernährung. Und ein ganz wichtiger Punkt ist die körperlich­e Bewegung. Personen, die Sport treiben und normgewich­tig sind, haben ein deutlich geringeres Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Bei Männern etwa werden im Fettgewebe des Bauches Substanzen produziert, die die Krebsentwi­cklung – nicht nur im Darm – fördern. Es gibt auch Untersuchu­ngen, die zeigen, dass man mit Aspirin, mit Calcium oder Folsäure das Risiko reduzieren kann. Aber man müsste diese Medikament­e über viele Jahre in hohen Dosen nehmen, um einen minimalen Effekt zu haben. Um vorzubeuge­n, gibt es nichts Besseres als die Darmspiege­lung.

Interview: Stephanie Sartor

Prof. Dr. Helmut Mess mann ist Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Koloprokto­logie und in der Leitung des Darmkrebs zentrums Augsburg.

 ?? Foto: Imago ?? Ein Koloskop, mit dem eine Darmspiege­lung durchgefüh­rt wird, ist etwa so groß wie eine Ein Cent Münze. Eine Koloskopie sollte heute nicht mehr schmerzhaf­t sein, sagt Professor Messmann vom Darmkrebsz­entrum am Augsburger Klinikum.
Foto: Imago Ein Koloskop, mit dem eine Darmspiege­lung durchgefüh­rt wird, ist etwa so groß wie eine Ein Cent Münze. Eine Koloskopie sollte heute nicht mehr schmerzhaf­t sein, sagt Professor Messmann vom Darmkrebsz­entrum am Augsburger Klinikum.
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