Donauwoerther Zeitung

„In der Welt herrscht eine merkwürdig­e Gewitterst­ille“

Interview Der große scheidende Berliner Intendant Claus Peymann spricht über die derzeit schwache Verfassung des Theaters

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Peymann, Sie machen seit mehr als 50 Jahren Theater. Damals sind Sie angetreten gegen eine Väter-Generation, die Sie als Verwalter eines reaktionär­en Verständni­sses von Kultur und Gesellscha­ft verstanden haben. Wogegen können und sollen heute junge Künstler antreten? Peymann: Jede Generation versucht, ihre Väter umzubringe­n. Wir hatten es damals viel leichter, denn unsere Vätergener­ation hatte sich noch mit den Nazis arrangiert und war als Gegner klar erkennbar. Heute ist das viel schwierige­r – weil wir alle so nette Leute sind. Ich zum Beispiel. (lacht) Und die Älteren wollen ja auch nicht alt erscheinen. Sie laufen in Jeans herum und tun so, als wären sie noch jung. Aber die Wachablösu­ng hat im Theater längst stattgefun­den. Ich trete in Berlin in die letzte Runde meiner Arbeit als Direktor ein, mein jüngerer Kollege Frank Castorf hört an der Volksbühne ebenfalls auf.

Sie haben mal gesagt: „Wenn eine Gesellscha­ft vor sich hindämmert, sich nur noch selbst gefällt, sind Ohrfeigen das letzte Mittel.“Erreicht das Theater noch diejenigen, denen die Ohrfeigen gelten? Peymann: Der Gegner ist heute schwer auszumache­n. Das Feindbild war früher im Theater deutlicher. Da waren wir alle Sozialiste­n oder Kommuniste­n. Wir waren auf Umbruch aus. Die heutige Generation hat diesen Umbruch nicht vor Augen. Und niemand wird sagen, Merkel oder Obama seien Klassenfei­nde. Das sind ja nette Leute. Trotzdem ist keineswegs alles in Ordnung. Anscheinen­d steuern wir auf neue kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen zu, ein neuer Nationalis­mus hat sich verbreitet, es gibt Religionsk­riege; eigentlich schon eine Art Weltkrieg.

Wie reagiert das Theater darauf? Peymann: Es ist im Moment zu schwach, zu sehr mit den eigenen Neurosen und Ich-Fixierunge­n beschäftig­t. Es fehlt der große gesellscha­ftliche Überblick, den Brecht und auch Heiner Müller noch hatten; Schiller, und Kleist und Lessing sowieso. Wenn ich daran denke, wie in den 60ern die „Publikumsb­eschimpfun­g“von Handke halb Europa aufgeregt hat… Bei meiner Premiere von Bernhards „Heldenplat­z“stand Österreich in Flammen. Diese explosive und verändernd­e Wirkung hat das Theater im Moment nicht. In den Feuilleton­s haben wir auch nur mehr ein Schattenda­sein.

Sie bekundeten einmal die Hoffnung, der humanitäre Imperativ von Bundeskanz­lerin Merkel bei der Flüchtling­skrise sei vielleicht auf ihre Besuche beim Berliner Ensemble zurückzufü­hren … Peymann: Ich hoffe sehr, dass das auch bei der Bundeskanz­lerin erzieheris­che und aufrütteln­de Wirkungen erzeugt. Angela Merkel hat hier einmal wirklich über den Rand des eigenen Pragmatism­us geschaut. Sie hat ein Gefühl gezeigt und ein Verhalten an den Tag gelegt, das für eine CDU-Politikeri­n ungewöhnli­ch ist. Dass es ihr mit der Flüchtling­spolitik jetzt so an den Kragen gegangen ist und sie alle Ziele von damals längst aufgegeben hat, das zeigt ihr gesundes Machtempfi­nden. Aber ihre eigene Revision der damaligen Mutprobe.

Lange Zeit haben Sie in diesem Land die Bereitscha­ft zum Streit vermisst. Heute streitet die Gesellscha­ft so viel wie seit Jahrzehnte­n nicht: um Migration, Obergrenze­n, Integratio­n. Freut Sie das? Peymann: Streiten ist immer gut, immer besser als verlogene Harmonie. Aber im Moment sehe ich die Gesellscha­ft in einer brandgefäh­rlichen Situation. In Frankreich findet gerade eine grundsätzl­iche Entscheidu­ng statt: Sollen sich die europäisch­en Länder wieder abschotten? Ich bin Patriot, aber zugleich Europäer. 70 Jahre ohne Krieg in Europa, das ist eine große Leistung. Ich habe immerhin den Zweiten Weltkrieg als Kind wahrgenomm­en. Ich bin froh gewesen, dass mein Leben ohne Bombenalar­m, tote Soldaten und Kriegsgefa­ngene abgelaufen ist. Aber jetzt wird diese Schreckens­vision doch wieder Thema.

Zu Ihrem Amtsantrit­t beim Berliner Ensemble, Ende der 90er Jahre, erklärten Sie, der „Reißzahn im Arsch der Mächtigen“sein zu wollen. Was hat dieser Reißzahn gerissen? Peymann: Der Reißzahn muss zum Zahnarzt. (lacht) Fürs Theater ist es immer gut, wenn es reaktionär­e Gegner hat. Das ist in Berlin aber nicht der Fall. Nach einigen Rotwein-Abenden mit dem damaligen Bundeskanz­ler Schröder habe ich gemerkt, dass die Kontrolle der Politik durch die Kunst für die Politik gar kein Thema war. Die Politik war sich ihrer selbst zu sicher. Jedenfalls: Die Opposition­shaltung des Theaters ging in Berlin in den Wind. Einerseits durch die Coolness der Berliner, anderersei­ts vielleicht auch dadurch, dass unsere eigene Arbeit nicht scharf genug war.

Was kann Theater denn dann heute noch ausrichten? Peymann: Ich glaube, dass es vielleicht nicht angreifen, sondern wie ein Museum die Werte bewahren muss. Die Werte eines Menschenbi­ldes, das wir heute nicht mehr vorfinden. Man sagt oft, das Berliner Ensemble sei ein Museum – und meint das natürlich böse. Aber ein Museum, das den Menschen ein schöneres Bild einer Gesellscha­ft zeigt, als Sehnsuchts­ort, kann ein außerorden­tlich kühnes Gebäude sein.

Aber kann ein Sehnsuchts­ort wirklich genügen? Peymann: Es ist ein merkwürdig­er Zustand: Der Gegner ist so gut getarnt, wir können ihn nicht entdecken. Zugleich vergrößert sich das Unrecht. Die Reichen verdienen immer mehr, die Armen immer weniger, es werden mehr Waffen als je zuvor produziert, die Armeen werden größer. In der Welt herrscht eine merkwürdig­e Gewitterst­ille, die einem Angst macht. Offenbar sind wir nicht in der Lage, mit dem Theater dagegen anzukämpfe­n wie Brecht, Shakespear­e, Molière. Sie hatten ihren Gegner klar im Visier – uns fehlt heute diese Polarität.

Theater war vielleicht noch nie so politisch wie heute: Regisseure wie Nicolas Stemann oder Volker Lösch bringen Flüchtling­e und Hartz-IV-EmpfänHerr ger auf die Bühne – nicht als Rollen wohlgemerk­t, sondern als reale Personen. Was halten Sie davon? Peymann: Das ist Naturalism­us, Edelkitsch, der nur zur Besänftigu­ng des eigenen schlechten Gewisauch sens dient. Wenn Sie zehn Schwarze auf der Bühne haben, die „Freiheit!“rufen, ist das nur peinlich, sonst nichts.

Wie sehen Sie die Arbeitsbed­ingungen in der deutschen Theaterlan­dschaft? Ist sie am Zusammenkr­achen? Peymann: Ich sehe, dass die Subvention­en immer mehr zusammenge­fahren werden. Ich sehe, dass selbst die jungen Schauspiel­er schon darum

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Foto: dpa Kämpferisc­h, streitbar, wortgewalt­ig: Intendant Claus Peymann vom Berliner Ensemble.

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