Donauwoerther Zeitung

Eine Sängerin zwischen den Fronten

Fernsehen Eigentlich soll beim Eurovision Song Contest die Musik im Mittelpunk­t stehen. Doch nun weigert sich die Ukraine, die russische Teilnehmer­in einreisen zu lassen. Was dahinterst­eckt

- VON ANDREAS BAUMER

Augsburg Schon immer hat Julia Samoilowa von einem Auftritt auf der großen Bühne geträumt. Seit ihrem dritten Lebensjahr sitzt die 27-jährige Russin wegen einer Muskelerkr­ankung im Rollstuhl. Der Eurovision Song Contest sollte ihr großer Auftritt werden. Doch nun kommt der 27-Jährigen die Politik in die Quere. Denn die ukrainisch­e Regierung möchte sie nicht zum Finale nach Kiew am 13. Mai einreisen lassen. Der Grund: Im Sommer 2015 war die Sängerin im Ferienort Kertsch auf der Krim-Halbinsel aufgetrete­n. Die Krim ist seit 2014 von Russland besetzt und die Ukraine verbietet Reisen dorthin, wenn sie nicht vorab von der Ukraine genehmigt wurden. Wer gegen diese Regelung verstößt – so wie die Sängerin –, wird mit einem mehrjährig­en Einreiseve­rbot belegt. Sie darf die nächsten drei Jahre nicht in die Ukraine reisen.

Dabei hätte die große Bühne in Kiew für die junge Frau aus Uchta im Nordwesten Russlands den vorläufige­n Höhepunkt ihres Aufstiegs bedeutet. Schon als Kind hat sie sich für Musik begeistert. Wo auch immer sie war, saugte sie Geräusche und Klänge auf. „Wenn mein Großvater nieste, versuchte ich den Ton nachzuahme­n“, schreibt die 27-Jährige auf ihrer Homepage. Musik half ihr auch im Kampf gegen ihre Krankheit. Die Russin sang so gut, dass sie bei der russischen Talentshow „Faktor A“das Interesse von Millionen Zuschauern weckte. Ein Jahr später trat sie bei der Eröffnungs­feier der Paralympic­s in Sotschi auf. Sie wäre erst die zweite Rollstuhlf­ahrerin, die es zum Finale des Eurovision Song Contest geschafft hat. Ob ihr das noch gelingt, ist aber mehr als fraglich.

Russland und die Ukraine waren stets mehr als normale Nachbarn. Die Ukraine war jahrhunder­telang Teil des russischen Zarenreich­s. Einige der wichtigste­n Schlachten Russlands fanden auf ukrainisch­em statt, und als sich die Sowjetunio­n auflöste, blieb die russische Schwarzmee­rflotte vor dem ukrainisch­en Hafen Sewastopol liegen. Doch seit der Maidan-Revolution, der russischen Krim-Annexion und den andauernde­n Kämpfen in der Ostukraine sind die beiden Länder tief zerstritte­n. Das zeigt sich nun auch beim ESC.

Jahrelang waren die Ukrainer beständige Punktelief­eranten für russische Sänger. Andersheru­m erreichten ukrainisch­e Künstler unter russischen Wählern Top-Platzierun­gen. Vergangene­s Jahr endete das. Der russische Sänger Sergej Lasarew galt als Favorit, bis der erste Platz an die Ukrainerin Jamala mit ihrem politische­n Lied „1944“ging. Es handelt von den Krimtatare­n, die von Moskau deportiert und nach Zentralasi­en zwangsumge­siedelt wurden. Hunderttau­sende kamen damals ums Leben. Zwar erhielten beide Künstler von den Zuschauern im jeweils anderen Land viele Punkte, von den Länderjury­s gab es dagegen nichts.

Nachdem Jamala den Wettbewerb gewonnen hatte, obwohl der Russe Lasarew die meisten Zuschauers­timmen erhalten hatte, witterten manche Russen eine Verschwöru­ng Europas. Ist Samoilowas Kandidatur nun Moskaus Retourkuts­che?

Erst kurz vor Anmeldesch­luss schickten die russischen Verantwort­lichen sie ins Rennen. Von ihrer Reise auf die Krim und die Provokatio­n, die ihre Nominierun­g auslösen könnte, dürften sie gewusst haben. Beobachter vermuten, Russland wolle die Ukraine bloßstelle­n. Denn wer würde einer Rollstuhlf­ahBoden rerin wie Samoilowa mit einer solchen Biografie schon den Erfolg verweigern wollen? Der ukrainisch­e Geheimdien­st, der Samoilowas Einreise verboten hatte, teilt mit: „Es tut uns aufrichtig leid, dass die russischen Polittechn­ologen dieses Mädchen benutzt haben.“Aber: Gesetz sei Gesetz. Ein russischer Regierungs­vertreter bezeichnet­e das Vorgehen als „zynisch“und „unmenschli­ch“.

Derweil bemüht sich die European Broadcasti­ng Union (EBU), die den ESC veranstalt­et, um eine Lösung. Sie bot an, die Sängerin zum ersten Mal in der 60-jährigen Geschichte des Wettbewerb­s per LiveSchalt­e auftreten zu lassen. Die Russen lehnen das ab. Sie möchten nicht, dass die EBU neue Regeln einführt, hieß es. Und die Sängerin selbst? Die schweigt.

 ?? Foto: Maria Antipina, TASS, dpa ?? Seit sie drei Jahre alt ist, sitzt die Russin Julia Samoilowa im Rollstuhl. Doch sie biss sich durch und wurde Sängerin. Mit dem Auf tritt beim ESC sollte für sie ein Traum in Erfüllung gehen. Nun darf sie nicht einreisen.
Foto: Maria Antipina, TASS, dpa Seit sie drei Jahre alt ist, sitzt die Russin Julia Samoilowa im Rollstuhl. Doch sie biss sich durch und wurde Sängerin. Mit dem Auf tritt beim ESC sollte für sie ein Traum in Erfüllung gehen. Nun darf sie nicht einreisen.

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