Was Wölfe und Menschen gemeinsam haben
Forschung An einem Institut bei Wien untersuchen Biologen, wie die Raubtiere denken, und vergleichen ihr Verhalten mit dem von Hunden. Was eine Forscherin aus der Region damit zu tun hat und weshalb die Tiere Computer spielen
„Wölfe sind keine Kuscheltiere, aber sie sind auch keine reißenden Bestien“, sagt Kotrschal. Für den Professor und seine Kollegen steht fest: „Es gibt kein Tier, das dem Menschen ähnlicher ist.“Menschen wie Wölfe leben in Familiengruppen, sind liebevoll in der Aufzucht ihres Nachwuchses und grausam in der Kriegsführung. Zudem leben Menschen seit 35 000 Jahren mit Abkömmlingen von Wölfen zusammen: mit Hunden.
Dass Menschen sich stark von Wölfen faszinieren lassen, nutzen die Wissenschaftler zur Finanzierung des Forschungszentrums: Eintrittsgelder und bezahlte Führungen für Besuchergruppen machen neben Spenden einen Großteil der rund 500 000 Euro aus, die das WSC jährlich benötigt. Fördergelder spielen eine geringere Rolle. Die unternehmerische Verantwortung tragen die Leiter des WSC bislang selbst. Zum 1. April ändert sich das: Die Veterinärmedizinische Universität Wien übernimmt die Trägerschaft. Die Forschung bleibt in den Händen von Kotrschal und seinen Kollegen.
Das WSC legt Wert aufs Wohl der Tiere. Die Gehege sind größer als die in Zoos. Die täglichen Trainings sollen dazu beitragen, die Wölfe zu geistig fördern und so deren Wohlbefinden zu steigern. Zudem können die Tiere adoptierte Welpen aufziehen. Sich um den Nachwuchs zu kümmern, ist ein wichtiger Bestandteil im sozialen Leben der Wölfe.
All die Trainings und Experimente am WSC dienen dazu, zwei zentralen Fragen über Wölfe auf den Grund zu gehen: „Wie ticken sie, wie organisieren sie Kooperation?“, fasst Kotrschal zusammen. Zum Team der Wissenschaftler, das diesen Fragen nachspürt, gehörte bis Ende Februar auch eine junge Frau aus der Region: Die in Kissing aufgewachsene Luisa Hofberger forschte für ihre Masterarbeit acht Monate lang in Ernstbrunn. In ihrem Projekt, das Teil einer größeren Forschungsarbeit ist, beobachtete sie die Hierarchie von Hunden untereinander. Hofbergers Ergebnis wird mit der Beobachtung von Wölfen verglichen. „Es geht um Unterschiede und Gemeinsamkeiten und um die Frage, was der Hund vom Wolf hat und was vom Menschen“, beschreibt sie den Hintergrund des Projekts. Die 26-Jährige studiert an der Universität Göttingen Verhaltensbiologie und wurde durch eine Freundin auf das WSC aufmerksam. Sie bewarb sich, wurde genommen und ist begeistert. „Es war für acht Monate mein Zuhause“, sagt sie.
Das WSC ist die weltweit einzige Einrichtung dieser Art. Nur in Battle Ground im amerikanischen Bunwirklich? desstaat Indiana wird ebenfalls nach internationalen wissenschaftlichen Standards über Wölfe geforscht. Anders als in Ernstbrunn sind die Tiere dort nicht von Hand aufgezogen. Diese Aufzucht bietet aus Kotrschals Sicht jedoch die einzige Chance, so forschen zu können. „Sie können mit den Wölfen nahezu alles machen, weil die an Kooperation mit Menschen gewöhnt sind“, erklärt der Biologe. Erwachsene Wölfe könnten sich zwar an Menschen gewöhnen. Vertrauen bauen sie aber nur auf, wenn sie von Menschen aufgezogen werden.
Weil das Denken der Tiere in ihren Genen angelegt ist, macht es nichts, dass die Tiere in Ernstbrunn nie in freier Wildbahn gelebt haben. Etwa am zehnten Lebenstag der Wolfwelpen übernehmen die Menschen die Aufzucht. Die Augen der Tiere sind zu dieser Zeit noch geschlossen, sie sollen sich zunächst an den Geruch der Menschen gewöhnen. Aufgezogen werden die Tiere, wie es die Wölfe selbst täten: liebevoll und ohne Gewalt. Nicht einmal ein „Nein“oder „Pfui“bekommen die Welpen zu hören. „Alle Leute, die Wölfe dominiert haben, sind früher oder später in den Hintern gebissen worden“, sagt Kotrschal. Die fürsorgliche Aufzucht hat einen weiteren Grund: „Angst ist nicht gut für die kognitive Leistung“. Die soll schließlich erforscht werden. Wien/Augsburg Wenn sie könnten, würden die Wölfe von Ernstbrunn den ganzen Tag Computer spielen. Sagt zumindest Kurt Kotrschal. Der Biologieprofessor der Uni Wien ist einer der drei Gründer und Leiter des Wolf Science Center (WSC). Im Wildpark von Ernstbrunn, etwa 40 Kilometer von der österreichischen Hauptstadt entfernt, erforschen Kotrschal und seine Kollegen, wie Wölfe denken.
Dass die Wölfe Computer spielen, ist Teil der Forschung: Auf TouchBildschirmen müssen die Tiere Dinge erkennen und zum Beispiel das Größere mit der Schnauze antippen. Den gleichen Versuch machen die Forscher mit Hunden, um Vergleiche anstellen zu können. Die Wissenschaftler beobachten die Tiere und ihr Verhalten auch in anderen Situationen. Jeden Tag trainieren Menschen und Wölfe gemeinsam. Die Forscher rufen die Tiere, wenn ein Training ansteht. Jeder Wolf hört auf einen Namen. Hat er Lust auf das Training, kommt er. Die Wölfe kommen fast immer.
Märchenfiguren, Begleiter von Göttern, Transporteure von Seelen. In den Kulturen etlicher Völker spielen Wölfe eine Rolle. Mal sind sie mächtig und bewundernswert, mal böse und grausam. Wie ist das