Student aus Schwaben im schicken München
Lebensstil Marius Eckert ist einer von 50 000 Studenten an der Ludwig-Maximilians-Universität. Er erzählt, worauf er sich eingelassen hat. Stimmt das Klischee von der Schickimicki-Gesellschaft?
Ich wusste schon länger, ich möchte in den Lehrerberuf einsteigen. Jetzt will ich aber ausgerechnet Chemie und Biologie studieren. Dumm nur: Man kann meine Fächerkombination in Augsburg für keine Schulart studieren. Also habe ich mich umgeschaut und bin in München gelandet. Ich war gespannt, was mich erwarten würde. Ein unüberschaubarer Massenbetrieb? Studenten, die mit Geld um sich werfen? Ein Leben, das man sich kaum leisten kann?
Die Ludwig-Maximilians-Universität unterrichtet als zweitgrößte Universität Deutschlands über 50000 Studierende unter ihrem Dach. Oder besser, unter ihren Dächern. Die Gelände einzelner Fakultäten sind über ganz München verstreut. Und das musste ich sehr schnell herausfinden. Als angehender Biologe, Chemiker und Pädagoge in einer Person bin ich an drei Standorten beheimatet. Die Veranstaltungen meiner Fächer finden in Großhadern und Martinsried am südwestlichen Stadtrand statt, für die Pädagogik muss ich zum Hauptgebäude in die Innenstadt.
Das bedeutet konkret: Ich brauche sehr viel Zeit, bis ich überhaupt in einer Vorlesung ankomme. Wenn ich Veranstaltungen an beiden Standorten am selben Tag habe, muss ich eine Stunde Wegzeit einplanen. Für ein Praktikum in Freimann musste ich eine Stunde Fahrt vom einen zum anderen Ende von München auf mich nehmen.
Das ist schon viel Fahrerei für jemanden, der in München wohnt. Ich pendele jeden Tag fast zwei Stunden von Augsburg nach München, eine davon verbringe ich zweimal täglich im Fuggerexpress. Wenn er fährt, wohlgemerkt. Eine Verspätung von wenigen bis fünf Minuten ist schon fast Standard. Zehn und 15 Minuten sind auch keine Seltenheit. Im Großen und Ganzen ist das Pendeln aber weniger schlimm, als es mir erzählt wurde.
In München angekommen erlebt man einen leichten Kulturschock, weil es so viele Kulturen gibt. An der Uni studieren Leute aus ganz Deutschland. Ich bin zusammen mit Leuten, die aus dem Saarland, aus dem Erzgebirge oder von der Ostseeküste kommen. Da gibt es schon mal Verständigungsschwierigkeiten zwischen dem Niederbayern und dem Sachsen aus dem Erzgebirge.
Aber die meisten nehmen es mit Humor und können über ihren Dialekt lachen. Ab und zu packe ich dann auch das tiefe Schwäbisch aus. Da wundern sich meine Kommilitonen. Ich muss dagegen auch schon angestrengt zuhören, wenn eine urbayerische Tutorin mir „des Zeigl, des brauchst zum fodometriera“, erklärt hat. Auf Hochdeutsch ist das das Spektrometer – also ein Gerät, mit dem man Licht untersucht. Auch einen Auslandsstudenten aus Kanada haben wir. Der redet teilweise besser Hochdeutsch als so manch anderer.
Es gibt Leute, die mögen München nicht. Dort seien zu viele arrogante Neureiche oder zu viele „Adabeis“, hört man immer wieder. Ich erlebe das als Student so nicht. Ich spüre Offenheit in München überall. Die meisten Kommilitonen sind von der ersten Unterhaltung an freundlich. Oft dauert es nur einen Unitag, bis man die Gefühlslage seiner Kommilitonen, den zweiten Vornamen der Mutter und den Geburtstag der Katze kennt. Was an der Uni aber schnell untergeht, ist der Name. Oft erfahre ich ihn nur zufällig oder es folgt nach einem Semester plötzlich die Frage: „Wie heißt du eigentlich?“
So schön es in München ist: Umziehen ist für mich keine Option. Die Wohnungssuche gestaltet sich sehr schwer. Auch in Augsburg sucht man als Student etwas länger. In München muss man aber schon einen guten Grund haben, um diese Strapazen auf sich zu nehmen. Einen Platz im Studentenwohnheim zu bekommen ist mit vielen Bewerbungen verbunden. Tendenziell steigen die Chancen, je weiter man vom Zentrum entfernt wohnt. Will man aber mehr als zehn Quadratmeter mit Gemeinschaftsbad, gibt es zwei Optionen. Beide sind ähnlich aufwendig. Will man in eine WG ziehen, muss man sich überall bewerben und sich natürlich persönlich vorstellen. Da kommen auf eine Wohngemeinschaft oft zehn Bewerber oder mehr. Das WG-Leben ist auch sehr unsicher.
Ich kenne Leute, die nur einige Monate in einer WG bleiben können und dann wieder suchen müssen. Nicht einfacher ist es, eine
Eine Stunde Wegzeit zwischen zwei Standorten
eigene Wohnung zu finden. Die Vermieter verlangen oft unmögliche Dinge von den Wohnungssuchenden. Die Besichtigungen sind überfüllt. Und jeder möchte beweisen, dass er oder sie der sauberste, ruhigste und verlässlichste Mieter sein wird. Es gleicht einem Wettkampf. Wer dem Vermieter am besten gefällt, hat gewonnen. Die oberste Regel bei der Wohnungssuche ist: je weiter weg von der Stadt, desto billiger. Solange man im S-Bahn-Bereich bleibt, explodieren die Preise.
Überhaupt ist München teuer. Und man merkt, dass viele Münchner Geld haben. Ein Klischee ist, dass Münchner Studenten alle arrogante Schnösel sind, die mit Geld um sich werfen. Das kann ich nur teilweise bestätigen. Es gibt, zumindest in meinem Studiengang zwar auffällig viele, die sich ein kostspieliges Smartphone von Apple leisten. Aber nur wenige kommen ständig mit dem neuesten iPhone oder MacBook an. Ich kenne aber eine Kommilitonin, die einen solchen Schnösel im Hörsaal sitzen hat.
400 Euro Taschengeld, dazu alles, was man sonst so braucht, finanzieren die Eltern. Immer die neuesten Klamotten und sämtliche Luxusartikel sind bei ihm an der Tagesordnung. Das Klischee kommt also nicht von ungefähr, ist aber nicht überall so präsent. Schaut man in die Studiengänge Jura oder BWL, kann das schon ganz anders aussehen.
In München ticken auch die Uhren anders als in Augsburg – viel schneller. Jeder versucht, auf dem Weg vom einen zum nächsten Termin so wenig Zeit wie möglich zu verlieren. Von dieser Hektik kann man sich leicht mitreißen lassen. Vor allem als „Ersti“, so werden die Erstsemester bezeichnet, lässt man sich von vielen Anforderungen einschüchtern. Man verfällt in Panik, wenn der Zug Verspätung hat und man nicht pünktlich in der Vorlesung erscheint. Bis man im Hörsaal angekommen merkt, dass mehr als die Hälfte noch nicht eingetroffen ist und das auch keinen stört.
Was ich in München gelernt habe: „Immer mit der Ruhe, es geht nicht gleich die Welt unter.“Natürlich sollte man nicht alles auf die leichte Schulter nehmen. Hilfreich ist es, jemanden zu kennen, bei dem man zur Not übernachten kann, wenn alle Züge ausfallen. Dann bekommt man mit, wie es ist, in München zu wohnen. Man lernt andere besser kennen. Wenn man Glück hat, bekommt man sogar ein Stück Kuchen – von der Geburtstagsfeier der Katze.
400 Euro Taschengeld, finanziert von den Eltern