Punkrock und Gemüsesuppen
Seit 35 Jahren zieht er mit den Toten Hosen voll durch – und jetzt wieder neu. Campino spricht über Gesundheit, Tod und Unsterblichkeit
Auf „Laune der Natur“ist alles drauf, was, wie eure Plattenfirma sagt, man an den Hosen liebt – und alles, was man an ihnen hasst. Stimmst du zu? Campino: Keine Ahnung – das muss der Hörer beurteilen. Ich versuche mir gerade immer nur klarzumachen, dass ich alles gegeben habe, was in dieser Zeit drin war. Wir wollen immer eine Bandbreite, textlich wie musikalisch, abliefern. Was mir dieses Mal erst im Nachhinein bewusst wurde: Es dreht sich sehr viel um Tod und Vergänglichkeit. Ihr habt mit eurem früheren Schlagzeuger Wölli und eurem langjährigen Manager Jochen Hülder zwei euch nahestehende Menschen verloren. Campino: Grundsätzlich gehören Leben und Tod immer zusammen. Ich teile nicht das Bedürfnis vieler Menschen, den Tod zu tabuisieren. Er steht immer irgendwie neben einem. Lebenskurven verlaufen ja unterschiedlich: Wir werden nicht alle alt, manch einer wandert schon früh in die Kiste. Aber ich finde, man sollte irgendwie offen damit umgehen. Deshalb spielt der Sensenmann bei uns immer wieder eine Rolle. Aber auch die Sehnsucht, das Leben zu zelebrieren. Fürchtest du den Tod? Campino: Jetzt gerade nicht. Es kommt immer darauf an: Es gibt Momente, das ist dir alles egal und dann wiederum welche, da klammerst du dich an dein Leben. Es gibt Situationen, da kann man einen unglaublichen Mut entwickeln und in anderen ist man enttäuschend schwach.
Bisher bist du ja glücklicherweise gesundheitlich von schwereren Geschichten verschont geblieben. Das alte Punkmotto „Live fast, die young“ist bei dir nicht der Fall. Campino: Die Parole zieht bei mir nicht mehr, dafür ist es zu spät. Manche Leute haben Glück, manche nicht. Das ist eine sehr dünne Linie. Einigen Freunden von uns ist es schlechter ergangen. Heroin, Koks, Alkohol – das ganze Programm. Die haben gar nicht so wesentlich anders gelebt als wir, aber es war eben Pech dabei. Sie haben einfach nicht mehr die Kurve gekriegt, sich davon loszulösen. Manchmal ist man knapper dran, als man wahr haben will. Und jetzt gibt es nur noch Bio-Snacks? Campino: Ja, irgendwie schon. Der Bioladen als letzte Station vor dem Endbahnhof sozusagen. (lacht) Tatsächlich ist es so, dass ich immer mehr auf meine Ernährung achte. Wenn ich daran denke, wie wir frü- her in Düsseldorf-Flingern immer in den JET-Grill gegangen sind… Ich ernährte mich vorwiegend von dieser Pommes-Bude, mindestens zweimal am Tag. Heute würde mein Körper das nicht mehr schaffen. Bist du Vegetarier? Campino: Nein, aber ich esse kaum Fisch und Fleisch. Wenn es jetzt ein toller Abend ist und die Leute das Fleischessen ganz bewusst zelebrieren, dann will ich nicht der Spielverderber sein, sondern esse mit – und genieße das dann auch. In den vergangenen Monaten bin ich richtiggehend zum Suppen-Fan geworden. Gemüsesuppen, Hammer! Das kommt vielleicht von den vielen Aufenthalten in Asien, wo man ja Suppen schon zum Frühstück isst. Kochst du selbst? Campino: Ja, gern. Wenn ich Zeit habe, dann sowieso. Bei mir begann das, als ich Vater wurde. Dann beschäftigt man sich ja zwangsläufig mehr damit, was serviert wird – auch, wenn die Kids das dann gar nicht haben wollen (lacht). Wiener Schnitzel und Spa- ghetti sind halt nicht zu schlagen. Mag dein Sohn deine Suppen? Campino: Sagen wir mal so: Er respektiert sie (lacht). Im ersten Lied, dem punkrockigen „Urknall“, wollt ihr den Leuten zeigen, wo der Hammer hängt, oder? Campino: Absolut! Uns aber auch. „Champagnerempfang, was soll das? Wir sind zurück auf dem Bolzplatz“ist das die Devise? Sagt ihr euch: Genug gefeiert nach „Tage wie diese“, dem größten Hit der Bandgeschichte? Campino: Im Grunde geht es darum, für sich herauszufinden, was wesentlich ist. Und dass man nach vielen teilweise schönen, teilweise oberflächlichen Sachen zurückkehrt zum wirklich Wichtigen. Zum Beispiel zu dem Spaß, den man gemeinsam mit Probenraum hat. Musstet ihr angesichts des „Tage wie diesen“-Trubels erst mal schlucken? Campino: Nein, überhaupt nicht. Solche Lieder laufen dir zu. Die bekommt man geschenkt. Ich kann gar nicht erklären, wie man so etwas schreibt; das ist zufällig passiert. Vielleicht muss man sich das wie einen Zauberwürfel vorstellen: Man fummelt Ewigkeiten daran herum, und dann passen plötzlich alle Seiten. Und du weißt leider überhaupt nicht mehr, wie du dahin gekommen bist. Mein großer Wunsch ist, dass wir vielleicht noch mal so ein ähnlich erfolgreiches Lied hinbekommen. Wer weiß.
Hat euch der Song auf ein anderes Level gehievt? Nummer-Eins-Alben und ausverkaufte Stadien kennt ihr seit Jahrzehnten – und plötzlich kennt euch auch die Oma um die Ecke.
Campino: Wir hatten vor 20 Jahren dieses Jägermeister-Lied, das sechs Wochen lang Platz Eins war. Das „Opium fürs Volk“-Album lief ähnlich gut wie die „Ballast der Republik“-Scheibe. In dieser Phase schien uns alles zu gelingen. Insofern waren das jetzt nicht völlig neue Erfahrungen. Trotzdem war es ein guter und seltsamer Moment, beim WM-Fußballfinale in Brasilien vor dem Fernseher zu sitzen und mitzukriegen, wie Deutschland Weltmeister wird und plötzlich das Lied „Tage wie diese“in Rio de Janeiro erklingt.
Wird man euch in 200 Jahren in einem Atemzug mit den Rolling Stones nennen?
Campino: Ach nee, will man auch gar nicht, und was hätte man auch davon? Mir reicht es, wenn wir in 200 Jahren eine Lokalgröße sind. Es gibt in den Düsseldorfer Altstadt das „Schneider Wibbel Haus“. Der Schneider Wibbel hat zur Zeit Napoleons gelebt und sich dort lange vor den Franzosen versteckt. So wurde er zur Kultfigur. Es wäre fein, wenn in 200 Jahren, die Düsseldorfer Grundschüler einen alljährlichen Tagesausflug machten, erst zu Schneider Wibbel und dann rüber zum Südfriedhof zu den Toten Hosen (lacht). Wir haben dort ein Gemeinschaftsgrab gekauft und werden alle einmal dort liegen.
„Unter den Wolken wird’s mit der Freiheit langsam schwer“, singst du in eurer Single „Unter den Wolken“. Wie politisch ist das Lied gemeint? Campino: Es beschreibt dieses diffuse Lebensgefühl, das gerade viele von uns haben. Auch die Sorgen um Europa. Es ist aber auch eine Erinnerung an „Über den Wolken“von Reinhard Mey. Das war ja seinerzeit so etwas wie die inoffizielle Hymne der Bundesrepublik – und wahrscheinlich auch von den Leuten in der DDR. Die Vorstellung, was wäre, wenn es eben keine Mauern gäbe, diese Enge nicht da wäre. Unser Lied ist eine Weiterführung von Meys Gedanken. Wir müssen um unsere hart erfochtene Freiheit, die wir hier gerade genießen, kämpfen. Denn sonst fällt das alles auseinander. Dieses Europa steht gerade sehr wackelig da, unsere Errungenschaften sind zerbrechlich. Das umschreiben wir in diesem Text, ohne dass ich zu sehr mit dem Hammer auf den Amboss hauen will.
Interview: Steffen Rüth