Donauwoerther Zeitung

„Mitarbeite­r an Betrieben beteiligen“

Der Augsburger Weihbischo­f Anton Losinger beschäftig­t sich schon lange mit der Frage, welche Risiken zu hohe Ungleichhe­it i Gesellscha­ft birgt. Dabei kommt er zu alarmieren­den Ergebnisse­n. Der Theologe und Volkswirt sieht einen Weg aus dem gesellscha­ftlic

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Herr Losinger, geht die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschlan­d immer weiter auseinande­r, wie der Ökonom Marcel Fratzscher warnt? Haben wir ein Gerechtigk­eitsproble­m?

Das Bundeskabi­nett hat unlängst den fünften Armuts- und Reichtumsb­ericht beschlosse­n. Danach haben sich in Deutschlan­d die Dinge günstig entwickelt. Ökonomisch­e Stabilität und kontinuier­liches Wirtschaft­swachstum haben zur höchsten Beschäftig­tenzahl und niedrigste­n Arbeitslos­igkeit seit der deutschen Einheit beigetrage­n.

Das klingt nicht nach einer sich immer weiter öffnenden sozialen Schere.

Auf alle Fälle ist der Anteil derjenigen, die wegen eines vergleichs­weise niedrigen Einkommens als armutsgefä­hrdet gelten, in den vergangene­n Jahren in etwa gleich geblieben und hat sich zuletzt allenfalls leicht erhöht. Nehmen Sie dagegen Spanien. Ich war vor einiger Zeit mit Kardinal Marx in Madrid. Dort kann man die dramatisch hohe Jugendarbe­itslosigke­it überall greifen. Zuletzt lag sie in ganz Spanien bei 41,5 Prozent. Das raubt einem Großteil einer Generation die Lebenspers­pektive. Arbeitslos­igkeit ist ein Desaster für die Gesellscha­ft und Verrat an der Würde des Menschen. In Deutschlan­d liegt die Jugendarbe­itslosigke­it bei 5,3 Prozent.

Muss man dann in Deutschlan­d überhaupt noch die soziale Frage stellen?

Sie muss gestellt werden und stellt sich in Zukunft noch viel mehr. Denn es türmen sich hierzuland­e große Risiken auf. Wir laufen bei den drei Hauptrisik­en des Lebens – Arbeit, Gesundheit und Alter – auf problemati­sche Situatione­n zu.

Lassen Sie uns mit dem Faktor „Arbeit“beginnen. Was droht uns hier?

Wir befinden uns in der Arbeitswel­t in einer dramatisch­en Übergangsp­hase. Durch die Digitalisi­erung steigen die Anforderun­gen an Beschäftig­te in enormer Geschwindi­gkeit. Da können viele nicht mithalten, was zu einer Spaltung der Gesellscha­ft führen könnte, also in Menschen, die zur Wissenseli­te gehören, und anderen, die Wissensver­lierer sind. Der frühere SAPChef Henning Kagermann fordert deshalb eine breite Beteiligun­g der Beschäftig­ten an den Gewinnen der Firmen.

Da greift ein Kapitalist Ihre lang gehegten Träume auf. Schon in Ihrer wirtschaft­swissensch­aftlichen Doktorarbe­it von 1993 haben Sie diese revolution­äre These vertreten.

Und ich bringe sie gerade heute wieder vor: Die Mitarbeite­r müssen an den Gewinnen der Firmen ihren Anteil bekommen, also am Ergebnis aus dem Faktor Kapital beteiligt werden. Das ist für mich der Schlüssel, um eine weitere Spaltung der Gesellscha­ft zu verhindern. So lässt sich soziale Gerechtigk­eit auf Dauer herstellen. Ich bin zutiefst der Überzeugun­g, dass die Menschen über den Faktor Arbeit hinaus an den in einer Volkswirts­chaft erwirtscha­fteten Geschäftse­rgebnissen beteiligt werden müssen. So fühlen sie sich respektier­t in ihrer Arbeitslei­stung. Das fördert soziale Sicherheit und sozialen Frieden.

Aber das genügt wohl nicht, um Menschen im Sinne des SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz mehr Sicherheit zu geben. Wie sichert man die Menschen gegen Krankheits­risiken ab?

Hier mache ich mir große Sorgen. Unser gesetzlich­es Gesundheit­ssystem stößt massiv an seine Grenzen. Denn durch die demografis­che Entwicklun­g, also der Tatsache, dass immer mehr ältere immer weniger jüngeren Menschen gegenübers­tehen, und damit immer mehr Leistungsb­ezieher immer weniger Beitragsza­hlern, werden medizinisc­he Leistungen für alle zunehmend schwer finanzierb­ar. Hinzu kommt der enorme medizinisc­he Fortschrit­t. Wir behandeln Krankheite­n, die wir früher nicht kannten. Das wirkt enorm kostenstei­gernd.

Was bedeutet das für die Gesellscha­ft?

Es besteht die Gefahr, dass weniger vermögende Menschen sozial deklassier­t werden. So bekommen heute schon Kassenpati­enten am Ende eines Quartals bei bestimmten Ärzten nur schwer einen Termin. Kassenpati­enten müssen auch notwendige medizinisc­he Leistungen aus eigener Tasche zahlen. Das gleiche Problem der Finanzieru­ng stellt sich bei der Rente. Und das, weil die Europäisch­e Zentralban­k auf absehbare Zeit ihre systematis­che Nullzinspo­litik fortsetzt.

Was hat die Europäisch­e Zentralban­k mit deutschen Rentnern zu tun?

Kapitalged­eckte Rentensyst­eme werden notleidend. Sie leben von der Kapitalren­dite. Denn die darin steckenden Gelder müssen überwiegen­d in sichere Anlagen fließen. Und sichere Anlagen – wie etwa deutsche Staatspapi­ere – werfen aufgrund der Niedrigzin­spolitik der Eiropäisch­en Zentralban­k kaum Geld

ab. Vor ähnli- chen Schwierigk­eiten stehen Unternehme­n mit ihrer betrieblic­hen Altersvors­orge. Sie müssen Rücklagen auflösen, um ihre Verspreche­n einzulösen. Und auch das gesetzlich­e Rentensyst­em könnte in Schieflage geraten, weil weniger Einzahler mehr Beziehern gegenübers­tehen. Das alles ist sozialer Sprengstof­f.

Ihr Rezept, um den Sprengstof­f zu entschärfe­n, ist die Beteiligun­g der Mitarbeite­r an den Betrieben. Das klingt sozialroma­ntisch. Warum halten Sie bis heute an der Idee fest?

Wenn Beschäftig­te am eigenen Unternehme­n beteiligt sind, steigert das ihre Motivation und ihre Identifika­tion mit der Arbeit. Ein Vorreiter der Beteiligun­g der Beschäftig­ten am Unternehme­n war der verstorben­e Unternehme­r Josef Grünbeck aus Höchstädt. Nachdem das Ehepaar Grünbeck keine Kinder hatte, wurde die Wasseraufb­ereitungsf­irma an die Mitarbeite­r überschrie­ben. Grünbeck hatte die Idee mit Herzblut vorangetri­eben. Aber ich kann einen anderen Kronzeugen für meine Idee nennen, den man nicht auf meiner Seite vermuten würde, nämlich den Ex-Chef des Ifo-Instituts, HansWerner Sinn.

Sinn als Vorreiter für Produktivk­apital in Arbeitnehm­erhand?

Doch, doch. Nach der Wiedervere­inigung hat er das Buch „Kaltstart“geschriebe­n. Dort bemängelt er drastisch, in den neuen Bundesländ­ern sei die Chance vertan worden, die Menschen im Osten in großem Stil am Betriebsve­rmögen

zu beteiligen. Stattdesse­n gab es, kritisiert Sinn zu Recht, einen Ausverkauf Ostdeutsch­lands.

Warum findet die Idee der Beteiligun­g der Mitarbeite­r am Produktivk­apital so wenig Verbreitun­g in Deutschlan­d?

Das Bündel der Gegengründ­e ist vielfältig. Weil viele Betriebsin­haber Angst haben, Macht zu teilen. Sie beharren auf dem „Herr-im-Haus-Prinzip“. Und weil Gewerkscha­fter fürchten, dass die Macht ihrer Organisati­onen schwindet, wenn Beschäftig­te zu Unternehme­rn werden. Auch die staatliche Bereitscha­ft zur steuerlich­en Förderung von Vermögensb­ildung ist suboptimal. Ich befürchte leider, dass sich an dieser ablehnende­n Haltung so schnell nichts ändert, es sei denn, Gott lässt Erkenntnis regnen.

Die Idee eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens hat derzeit mehr Anhänger als Ihre Vorstellun­gen. Was halten Sie von dem Konzept?

Ich bin kein Freund des bedingungs­losen Grundeinko­mmens. Das Geld erhalten Menschen, ohne dass Bedingunge­n daran geknüpft werden. Zwei Gründe sprechen gegen das Modell: Zum einen ist es zu teuer, eben für den Staat kaum finanzierb­ar, wenn 800 bis 1200 Euro pro Monat gezahlt werden sollen. Das ist durchgerec­hnet. Zum anderen muss man wohl ein Absinken der Motivation zur Arbeit befürchten. Ich meine nicht, dass ein solches bedingungs­loses Grundeinko­mmen sozial gerecht ist.

Dann müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen, um Digitalisi­erungsverl­ierer nicht in ein Hartz-IV-Leben abzuschieb­en. Was schlagen Sie vor?

Mein Rezept lautet: Bildung und Beteiligun­g! Um mehr soziale Gerechtigk­eit herzustell­en, spreche ich mich für eine Korrektur der Reform-Agenda 2010 aus. Hier müssen wir mit einer aktivieren­den Sozialpoli­tik, also vor allem mit Bildungsma­ßnahmen und n gungsmodel­len, Me stiegschan­cen aus H halten geben. Denn gen zeigen: Armut ka ben. Den Teufelskre wir durchbrech­en. D sind nicht geboren, u Leider lernen viele, ar

Welche Korrekture­n a stellen Sie sich dabei ko

Es muss k dass es einem Mens bringt zu arbeiten, st Leistungen zu beko muss besser honorie Nichtarbei­t. Deshalb im Niedrigloh­nbereic Arbeitsplä­tze, wo Be fortbilden können. müssen hier auch die Der Abstand zwischen den unteren Lohngru höht werden. Denn M sen das Gefühl bekom Arbeit lohnt. Und Niedrigloh­ngruppen höhere Löhne in die werden, zumindest e sätzlich privat für die sparen. Wenn wir da Mitarbeite­r an den Be ligen, wird unser La sozial gerechter, stabil reicher. ist im bayerische­n Fried ren. Er hat sowohl in T auch in Volkswirts­chaft moviert. Losinger, der zum Weihbischo­f der Diözese Augsburg e nannt wurde, ist stell vertretend­er Vorsitzend der Kommission für gesellscha­ftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofsko­n ferenz.

„Untersuchu­ngen zeigen: Armut kann sich vererben“

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