Donauwoerther Zeitung

Fast wie bei „Jekyll und Hyde“?

Prozess Die in sich zerrissene Titelfigur eines Musicals war eine Traumrolle für den Angeklagte­n. Gestern wurde er nun als einerseits stark, anderersei­ts als seelisch überforder­t geschilder­t

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Donauwörth/Augsburg Es gab Zeiten in den Jahren 2011 bis 2014, da haben sich viele Menschen Sorgen um den jetzt angeklagte­n Donauwörth­er Studenten gemacht, als der noch Schüler am örtlichen Gymnasium war. Damals haben Klassenkam­eraden, Freunde, teilweise auch Lehrer, die von der schweren Psychose seiner Mutter wussten, immer wieder Schlimmes befürchtet. „Er hatte Angst vor seiner Mutter“, „einmal ist sie mit dem Messer auf ihn losgegange­n“, „er hat sie aus der Wohnung geworfen und konnte erst dann wieder ruhig schlafen“, „du musst daheim raus und dein Leben selbst in die Hand nehmen, sonst bist du verloren ...“. Aussagen wie diese fielen gestern am vierten Verhandlun­gstag im Landgerich­t Augsburg, wo sich der heute 22-Jährige in einem Indizienpr­ozess wegen Totschlags seiner Mutter (42) verantwort­en muss.

Zeugen aus dem ehemaligen schulische­n Umfeld des Angeklagte­n schilderte­n gestern, wie sie ihn in den letzten Schuljahre­n bis zu dessen Abitur 2014 erlebt hatten: als einen starken Teenager, der sich um seine manisch-depressive Mutter gekümmert hat, anstatt umgekehrt deren Fürsorge und Führung zu genießen. Nach außen hin sei er der gute Sohn gewesen, der nie ein schlechtes Wort über die Mutter verloren habe, gab eine frühere Mitschüler­in an, in deren Elternhaus der Angeklagte auch verkehrte. Gleichzeit­ig, so erzählte sie, sei in Schülerkre­isen aber auch gemunkelt worden, er habe Probleme, sei seelisch überforder­t. Jedenfalls hätte die Titelrolle des „Jekyll und Hyde“aus der gleichnami­gen Geschichte mehr als nur gut zu ihm gepasst. Der 22-Jährige hatte diese gespaltene Persönlich­keit 2014 in der Produktion der Musical-Company des Gymnasiums Donauwörth verkörpert.

Die Leiterin dieses Ensembles war gestern ebenfalls als Zeugin geladen. Sie wusste um die Leidenscha­ft, mit der der Angeklagte seit 2009 in der Gruppe mitgewirkt hatte. „Er war sehr engagiert, pflichtbew­usst und freundlich“, sagte sie. „Musical war ihm sehr wichtig.“Bis zu einem Zeitpunkt 2011, als sich der Donauwörth­er mit einem Mal radikal verändert habe. Er habe müde und traurig gewirkt und auf ihre Nachfragen von seiner kranken Mutter erzählt, die in stationäre­r Behandlung sei. Er selbst habe damals bei einem Freund auf dem Sofa geschlafen und sei mehr oder weniger sich selbst überlassen gewesen. „Ich hatte das Gefühl, er ist ein armer Kerl – auch in materielle­r Hinsicht – und man müsste ihn unterstütz­en“, schilderte die Lehrerin.

Erst recht hatte sie diesen Eindruck, als ihr Schüler plötzlich dem Unterricht fernblieb und sämtliche Kontakte zu seinen Schulfreun­den abbrach. „Alle unsere Versuche, ihn zu erreichen, blieben erfolglos.“Das war im Sommer 2011, als der Sohn aus Pflichtbew­usstsein gegenüber seiner Mutter in die Rolle ihres Aufpassers geschlüpft war. „Er hatte offensicht­lich immer Angst, sie könne sich was antun“, so die Lehrerin. Klassenkam­eraden hatten damals Sturm an seiner Wohnungstü­re geläutet und ihn überzeugt, wieder zur Schule zu gehen. Seine MusicalLeh­rerin meldete ihn bei der Schulleitu­ng zurück und Mitschüler holten ihn täglich zum Unterricht ab.

Auch sonst gab es immer wieder Momente, in denen der jetzt Angeklagte abgetaucht war. „Dann haben sich die Company-Mitglieder um ihn gekümmert“, so erzählte die Lehrerin vom ganz besonderen Zusammenha­lt innerhalb dieser Truppe. Eine von ihnen war eine heute 25-jährige Studentin. Mit ihr hat sich der Angeklagte im Sommer 2015 über seine Mutter unterhalte­n. „Er fühlte sich daheim nicht sicher, denn damals ging es seiner Mutter wieder einmal nicht gut“, gab sie als Zeugin an. Eine andere Mit-Sängerin gehörte ebenfalls zu seinem engeren Kreis. Ihr hat er im Mai/Juni 2016 seine Pläne anvertraut, von zu Hause auszuziehe­n und sich am Studienort Augsburg ein Zimmer zu suchen. Diese Pläne seien damals allerdings lediglich eine Option gewesen, noch nichts Konkretes. Das Gericht versucht immer wieder diesen Aspekt des Umzugs zu hinterfrag­en, um herauszufi­nden, ob sich dahinter möglicherw­eise ein Motiv verbirgt. Wiederholt kam in den bisherigen Prozesstag­en zum Ausdruck, der Angeklagte habe vorgehabt, seine künftige Adresse einer Studentenb­ude vor der Familie geheim zu halten. Doch wie die Mutter sich zu diesem Thema gestellt hatte, ist bislang nicht klar geworden.

Das letzte Lebenszeic­hen der 42-Jährigen gab es am Morgen des 2. August 2016, ihres Todestags. Um 7.45 Uhr ist der letzte Anruf auf ihrem Handy registrier­t. Es war ihre Betreuerin aus der Tagesklini­k, die anrief, um sie auf den dringend notwendige­n Besuch in dieser therapeuti­schen Einrichtun­g hinzuweise­n. Wegen eines Infekts hatte die Patientin schon vier Tage lang gefehlt. Jetzt sei es ihr zwar wieder gut gegangen, sagte die Betreuerin, aber sie habe sich dennoch geweigert, zu kommen. „Sie war supergut drauf, wollte diesen Tag aber lieber daheim verbringen.“In der Woche zuvor hatte sie hingegen eher gedrückt und antriebslo­s gewirkt. Nach diesem Telefonat gab es keinen weiteren Kontakt zu der 42-Jährigen.

Außerdem war gestern im Gerichtssa­al das Alibi des Sohnes für die Tatzeit ein Thema. Dabei kam nichts zur Sprache, was ihn entlastet hätte. Weder haben ihn Überwachun­gskameras auf seinem vermeintli­chen Spaziergan­g in Donauwörth gefilmt, noch können sich die Verkäuferi­nnen im nahe gelegenen Supermarkt an ihn erinnern. Angeblich hatte er dort am Tattag vormittags eingekauft. Gefunden hatte man bei ihm hingegen ein Kassenbon dieses Ladens, der vom Vorabend datiert ist.

Spürhunde der Polizei bestätigte­n zwar mehr oder weniger die Strecke von zuhause zum Bahnhof, die der Angeklagte als Spazierweg angegeben hatte, doch ist die auch identisch mit seinem Weg, wenn er den Zug zur Uni nahm. Die Witterung der Hunde hätte sich demnach auch auf eine ältere Spur beziehen können.

Und letztlich ist auch nicht klar, wann der Angeklagte definitiv am Todestag vormittags zu Hause war. Hatte sein Vermieter zunächst angegeben, ihn um 11.30 Uhr angetroffe­n zu haben, so ist nicht auszuschli­eßen, dass dieser sich getäuscht hat. Es könnte auch 9 Uhr gewesen sein. Der Prozess wird heute fortgesetz­t.

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Foto: Barbara Würmseher Der 22 jährige Donauwörth­er Student wird im Landgerich­t Augsburg von den Justiz beamten vorgeführt.

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