Donauwoerther Zeitung

Wenn Notfälle gar keine Notfälle sind

Gesundheit Wie die Ärzteorgan­isation Marburger Bund das Problem der überfüllte­n Notaufnahm­en in den Kliniken lösen will

- VON MARTIN FERBER

Berlin Samstagabe­nd in der Notaufnahm­e eines Krankenhau­ses. Der enge, stickige Raum ist überfüllt, doch ständig kommen neue Patienten. Aber nicht jeder Notfall, der die Notaufnahm­e in Anspruch nimmt, ist tatsächlic­h ein Notfall. Fast jeder zweite Patient kann nach kurzer Behandlung wieder nach Hause geschickt werden. Von den 25 Millionen Menschen, die im vergangene­n Jahr die Notaufnahm­e einer Klinik aufsuchten, konnte elf Millionen mit einer ambulanten Behandlung geholfen werden.

Der Marburger Bund, der Verband der angestellt­en und beamteten Ärztinnen und Ärzte in Deutschlan­d, schlägt angesichts zum Teil unzumutbar­er Zustände in den Notaufnahm­en Alarm und fordert eine völlige Neustruktu­rierung der medizinisc­hen Notfallver­sorgung in Deutschlan­d. Viele Menschen wüssten gar nicht, dass es am Abend und an den Wochenende­n einen eigenen Notfalldie­nst der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g gibt, der bundesweit über die Rufnummer 116117 angeforder­t werden kann. Sie suchen stattdesse­n sofort die nächstgele­gene Klinik auf. Deshalb plädiert der Ärzteverba­nd dafür, das System aus ambulanter und stationäre­r Versorgung an den Kliniken zusammenzu­legen, zentrale Anlaufstel­len einzuricht­en und einheitlic­he Behandlung­sstandards zu schaffen.

Die Patienten hätten sich bei akuten Schmerzen oder Verletzung­en außerhalb der Öffnungsze­iten der Arztpraxen mit den Füßen für das Krankenhau­s entschiede­n, sagte der Vorsitzend­e des Marburger Bundes, Rudolf Henke. „Wir fangen sie nicht mit dem Lasso ein, wir suchen sie nicht“, insofern sei der Vorschlag seines Verbandes, die Notdienste an den Kliniken anzusiedel­n, „keine Kampfansag­e an die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung“.

Geht es nach den Vorstellun­gen des Marburger Bundes, sollen in den durch Vertragsär­zte betriebene­n Notdienstp­raxen an den Kliniken Patienten ohne Gebühr behandelt werden, wobei nach bundesweit einheitlic­hen Standards die Dringlichk­eit der Behandlung festgelegt wird. Bei sehr schweren Erkrankung­en kann der Patient sofort ins Krankenhau­s eingewiese­n werden, bei leichteren Fällen erfolgt die ambulante Weiterbeha­ndlung durch den Kassenarzt. „Das erhöht die Akzeptanz der Patienten, verkürzt die Wartezeite­n und verbessert die Zusammenar­beit der unterschie­dlichen Versorgung­sebenen.“

Die Ärztin Susanne Johna, die als Mitglied des Bundesvors­tands des Marburger Bundes das Konzept erarbeitet­e, plädierte in diesem Zusammenha­ng für eine enge Vernetzung von ambulanter und stationäre­r Versorgung und die Möglichkei­t eines Datenausta­usches.

Auch sollten die Rufnummern 112 für dringende Notfälle und 116117 für den Kassenärzt­lichen Notfalldie­nst zusammenge­legt werden und bereits am Telefon eine erste medizinisc­he Einschätzu­ng erfolgen. Die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen ihrerseits müssten sicherstel­len, dass hilfesuche­nde Patienten auch außerhalb der üblichen Sprechstun­denzeiten eine ambulante Versorgung erhalten, indem sich beispielsw­eise niedergela­ssene Ärzte im näheren Umfeld von Kliniken bereit erklären, Notfallpat­ienten in weniger dringenden Fällen zu behandeln. „Die Strukturen müssen dem Patientenv­erhalten folgen“, sagte Johna.

Geklärt werden müsste nach Ansicht des Marburger Bundes die Finanzieru­ng der Notfallver­sorgung. Die Krankenhäu­ser, die in diesem Bereich nach eigenen Berechnung­en pro Jahr ein Defizit von rund einer Milliarde Euro anhäufen, können seit 1. April eine Pauschale von 4,47 Euro pro Notfallpat­ient abrechnen, nachts das Doppelte. Doch dies ist nach den Worten Henkes viel zu wenig, da dabei eine Behandlung­szeit von zwei Minuten zugrunde gelegt wurde. Um weder die Budgets der niedergela­ssenen Ärzte noch die Etats der Kliniken zusätzlich zu belasten, sollte ein gemeinsame­r Topf eingericht­et werden, in den neben den Kassen auch der Bund, die Länder und die Kommunen einbezahle­n.

Viele Patienten kennen sich im Notfallsys­tem nicht aus

 ?? Foto: dpa, Archiv ?? In ganz Deutschlan­d klagen Kliniken über überfüllte Notaufnahm­en. Die Ärzteorgan­i sation Marburger Bund will das System grundlegen­d reformiere­n.
Foto: dpa, Archiv In ganz Deutschlan­d klagen Kliniken über überfüllte Notaufnahm­en. Die Ärzteorgan­i sation Marburger Bund will das System grundlegen­d reformiere­n.

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