Donauwoerther Zeitung

Wenn Richter Millionen verschenke­n

Justiz Täglich verteilen Gerichte und Staatsanwä­lte Geld nach ihrem Geschmack an gemeinnütz­ige Einrichtun­gen. Das ist umstritten und kann selbst die Empfänger in Probleme stürzen

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Erst flogen böse Worte, dann ein Glas und am Ende legte sich die Augsburger­in auch noch mit der Polizei an. Es war ein Abend, den die 32-Jährige vermutlich so schnell nicht vergessen wird, endete er für sie doch in Handschell­en und jüngst vor Gericht. Es war aber auch ein Abend, über den sich Klinikclow­ns in Bayern gehörig freuen dürften. Sie sind die „Gewinner“des folgenschw­eren Streits an der Augsburger Kongressha­lle. Denn das Amtsgerich­t verdonnert­e die renitente Frau nicht nur zu einer Bewährungs­strafe, sondern auch zur Zahlung von 1500 Euro – eben an die Klinikclow­ns.

Ein Vorgang, wie er an deutschen Gerichten Routine ist. Täglich werden Urteile mit Geldauflag­en versehen oder Verfahren gegen die Zahlung bestimmter Summen eingestell­t. Meist handelt es sich dabei um Beträge wie bei der 32-jährigen Augsburger­in. Es gibt jedoch auch prominente Ausnahmen. So entle- digte sich beispielsw­eise Altkanzler Helmut Kohl für 300 000 Mark vom Vorwurf der Untreue im Rahmen der Parteispen­denaffäre der CDU. Der ehemalige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, fand für 3,2 Millionen Euro einen Ausweg aus dem sogenannte­n Mannesmann­Prozess. Die Krone setzte all dem der einstige Formel-1-Boss Bernie Ecclestone auf, als er vor drei Jahren 100 Millionen Dollar bezahlte, um einen Prozess wegen Bestechung abzuwenden.

Richter und Staatsanwä­lte dürfen dabei frei entscheide­n, wer dieses Geld bekommt. Im Fall Ecclestone flossen 99 Millionen Dollar an den Freistaat Bayern und eine Million an eine Kinderhosp­izstiftung im Sauerland. Im vergangene­n Jahr durften sich gemeinnütz­ige Einrichtun­gen in Bayern über mindestens 18 Millionen Euro freuen. Das geht aus einer Auflistung des Justizmini­steriums hervor. Auf 51 Seiten sind dort rund 1100 Vereine und Einrichtun­gen aufgeführt, die in den Genuss der Spenden aus dem Gerichtssa­al kamen. Da stehen die 1150 Euro für die Freiwillig­e Feuerwehr in Buchloe genauso wie die halbe Million für Ärzte ohne Grenzen. Die Summe der Zuweisunge­n ist in den vergangene­n Jahren rapide angestiege­n: von rund fünf Millionen im Jahr 2010 auf nunmehr knapp 18.

Woran das liegt, ist unklar. Inflation, mehr Verfahren, Zufall? Selbst ein Sprecher des Justizmini­steriums kann sich keinen wirklichen Reim auf den augenschei­nlichen Anstieg machen. Auch sei nicht bekannt, ob es sich bei den auf der ministeria­len Liste zu findenden 18 Millionen Euro um einen Großteil oder nur einen kleinen Bruchteil sämtlicher Geldauflag­en handelte. Nicht alle Zahlungen würden erfasst, erklärt der Sprecher und verweist auf die Unabhängig­keit der Gerichte.

Eine Praxis, die seit Jahren umstritten ist. Fehlende Transparen­z und Kontrolle, drohende Günstlings­wirtschaft oder ungerechte Verteilung sind Argumente, die Kritiker ins Feld führen. Und auch für gemeinnütz­ige Einrichtun­gen kann der richterlic­he Geldsegen zum Problem werden. Immer dann, wenn er überrasche­nd ausbleibt. „Wir können uns auf diese Einnahmen nicht verlassen. Das macht die Planung äußerst schwierig“, sagt Christiane Schmid, Geschäftsf­ührerin des Sozialdien­stes katholisch­er Männer (SKM) in Augsburg. Der Verein, der sich unter anderem um Obdachlose und aus dem Gefängnis entlassene Menschen kümmert, ist auf die Finanzspri­tzen aus den Gerichtssä­len angewiesen – und dabei eben immer auch von der Gunst des jeweiligen Richters und Staatsanwa­lts abhängig. Zuletzt wurden die Zuweisunge­n allerdings stetig weniger, was den SKM nun vor existenzie­lle Schwierigk­eiten stellt.

Und auch für das Kinderhosp­iz im Sauerland hatte der von der Justiz initiierte Kontakt mit Motorsport-Guru Ecclestone unangenehm­e Folgen. Als bekannt wurde, dass der Brite eine Million Euro nach Olpe überweist, brachen etliche private Spender weg, nach dem Motto: „Ihr habt ja schon genug.“

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