Donauwoerther Zeitung

Die Ministerin muss sich verteidige­n

Bundeswehr Die Affäre um den terrorverd­ächtigen Soldaten Franco A. setzt Ursula von der Leyen unter Druck. Gelingt ihr die Gegenoffen­sive? Wann wurde der Oberleutna­nt zum Rechtsextr­emisten?

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Berlin/Offenbach Die alte Schule von Franco A. in Offenbach trägt die Auszeichnu­ng „Schule ohne Rassismus“. „Er war ein guter, leistungss­tarker Schüler, der in die Oberstufe versetzt wurde“, sagt die Direktorin der Gesamtschu­le, Karin MarréHarra­k. Die gibt es an der Schillersc­hule nicht, Franco A. wechselte an ein Oberstufen­gymnasium ins benachbart­e Frankfurt, an dem Schüler aus mehr als 50 Nationen lernen – in der Regel aber nur drei Jahre. Auch dort an der Frankfurte­r MaxBeckman­n-Schule werden Integratio­n, Toleranz, Kulturaust­ausch und der Dialog zwischen den Religionen seit vielen Jahren großgeschr­ieben.

Der Fall mache die Kollegen daher betroffen und beschäftig­e sie grundsätzl­ich, sagt Schulleite­r Harald Stripp. Allerdings habe Franco A. die Schule bereits vor neun Jahren verlassen. „Das ist eine lange Zeit, in der sich Menschen weiterentw­ickeln und ihrem Leben eine Richtung geben können, die man als Pädagoge nur schwer voraussehe­n oder beeinfluss­en kann.“Wann hat sich der 28-Jährige radikalisi­ert? Seinen alten Lehrern ist Franco A. heute ein Rätsel, wie auch vielen anderen bei der Bundeswehr.

Der mutmaßlich rechtsextr­eme Oberleutna­nt steht unter Terrorverd­acht. Er soll laut Bundesanwa­ltschaft zusammen mit seinem Offenbache­r Kumpel Mathias F. und dem vorgestern festgenomm­enen Soldaten Maximilian T. aus dem benachbart­en Seligensta­dt einen Angriff auf das Leben hochrangig­er Politiker und Personen des öffentlich­en Lebens geplant haben, die sich in Ausländer- und Flüchtling­sangelegen­heiten engagieren. Als Anschlagso­pfer hätten die drei Männer unter anderem den früheren Bundespräs­identen Joachim Gauck und SPD-Bundesjust­izminister Heiko Maas im Visier gehabt. Die Anschläge sollten offenbar Islamisten und Flüchtling­en in die Schuhe geschoben werden.

Nachdem der rechtsextr­eme Soldat aber aufflog, gerät nun Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen unter immer stärkeren Erklärungs­und Handlungsd­ruck. Gestern musste die CDU-Politikeri­n wegen der Affäre dem Verteidigu­ngsausschu­ss in einer Sondersitz­ung Rede und Antwort stehen. „Ich bin mir völlig darüber im Klaren“, so die Ministerin, „dass wir einen breiten Prozess innerhalb der Bundeswehr selber haben, den wir gemeinsam gehen müssen, vom Re- kruten bis zum General, vom Referenten bis zur Ministerin.“Es gehe nicht nur um die innere Führung und das Disziplina­rwesen der Truppe, sondern auch um die politische Bildung von Soldaten und den sogenannte­n Traditions­erlass.

Diese Vorschrift­en mit den „Richtlinie­n zum Traditions­verständni­s und zur Traditions­pflege in der Bundeswehr“wurden erstmals 1965 niedergele­gt. Weil die Bundeswehr auch mithilfe vieler ehemaliger Wehrmachts­soldaten aufgebaut worden war, sollte so eine unkritisch­e Anlehnung an die Vergangenh­eit unterbunde­n werden. 1982 folgte die bis heute gültige Version: „Ein Unrechtsre­gime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht be- gründen“, heißt es darin. Aber auch diese Fassung lässt Fragen offen: So ist „das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstung­sgegenstän­den“ausdrückli­ch erlaubt. Ihr ZurSchau-Stellen muss aber „die Einordnung in einen geschichtl­ichen Zusammenha­ng erkennen lassen“.

Von der Leyen kündigte nun eine Überarbeit­ung wegen der jüngsten Skandale an. Die von 1982 stammende Fassung enthalte „viel Gutes“, lasse aber „Hintertüre­n offen“. Ob es überhaupt noch Ausstellun­gen von Wehrmachts-Erinnerung­sstücken wie Helmen oder Soldatenbi­ldern in Kasernen geben soll, wird nun im Ministeriu­m beraten.

Von der Leyen sicherte zudem die weitere Aufklärung des Falls Franco A. zu. Sie bestätigte Munitionsf­unde, „die aus den Beständen der Bundeswehr stammen“. Unter anderem geht es um rund tausend Schuss Munition, die im Umfeld von Franco A. entdeckt wurden. Für die Ministerin ist die Affäre aber damit nicht ausgestand­en. Von der Leyen habe „viel zu spät oder gar nicht reagiert“, kritisiert­e der SPDVerteid­igungspoli­tiker Rainer Arnold nach der dreistündi­gen Befragung im Verteidigu­ngsausschu­ss. Er forderte, den Militärisc­hen Abschirmdi­enst (MAD) wieder besser auszustatt­en, um rechtsextr­emistische Verdachtsf­älle zu verfolgen, und kritisiert­e entspreche­nde Sparmaßnah­men bei der Bundeswehr­reform.

In Offenbach geht indes die Spurensuch­e weiter, warum sich dort eine mögliche neue rechte Terrorzell­e gebildet haben könnte. Die hessische Stadt mit ihren rund 130000 Einwohnern gilt als die Stadt mit dem höchsten Ausländera­nteil in Deutschlan­d. Franco A.

In Offenbach wird über die mögliche Terrorzell­e gerätselt

wuchs im Nordend auf – einem dicht besiedelte­n innerstädt­ischen Quartier mit hohem Migrations­anteil. Sein Vater soll Italiener sein. Franco A. fiel seiner multikultu­rellen Heimat nicht besonders auf. „Er hat sich sehr unauffälli­g verhalten“, berichtet Polizeispr­echer Henry Faltin. Sein mutmaßlich­er Komplize Mathias F., 24, der bis zu seiner Festnahme Ende April im hessischen Friedberg Wirtschaft­singenieur­wesen studierte, sei der Polizei ebenfalls nicht bekannt gewesen. Ohnehin gebe es keine besondere rechte Szene in Offenbach, meint der Polizeispr­echer. Verfassung­sschützer erklären jedoch, dass einzelne Rechtsextr­emisten selten an ihren Wohnorten öffentlich mit verfassung­sfeindlich­en Aktionen in Erscheinun­g treten.

Die beiden verdächtig­en Offenbache­r Franco A. und Mathias F. sollen sich vom Rudern her kennen, Maximilian T. ist ein weiterer Freund. Ein früherer Ruder-Trainer beschreibt Franco A. als „ehrgeizig, korrekt und offen“. Eine extreme Gesinnung sei ihm „überhaupt nicht aufgefalle­n“. Er habe erfolgreic­h trainiert und sei sogar mehrfach Hessenmeis­ter gewesen.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Fahrstuhl zum Kreuzverhö­r: CDU Ministerin Ursula von der Leyen und ihr Tross auf dem Weg zur Sondersitz­ung des Verteidigu­ngsausschu­sses.

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