Donauwoerther Zeitung

Ein Frühling ohne Gezwitsche­r?

Natur Innerhalb von 20 Jahren verschwand mehr als die Hälfte aller Vögel von den Feldern Europas. Umweltschü­tzer schlagen Alarm – und benennen Schuldige

- VON CHRISTIAN GALL

Augsburg Wenn Andreas von Lindeiner über bedrohte Vögel spricht, erinnert er sich sofort an einen Vorfall: Er erhielt einen Anruf aus Bayern, in dem ihn ein Tierfreund fragte, wie er das allerletzt­e Feldlerche­n-Gelege in seinem Landkreis schützen kann. Er war so besorgt, dass er fragte, ob er einen Zaun darum errichten dürfe. Von Lindeiner ist Artenschut­zreferent beim Landesbund für Vogelschut­z (LBV). Er weiß, wie schlecht es um viele Vogelarten in Deutschlan­d steht. Aber auch über die Grenzen hinaus verschwind­en immer mehr Vögel aus der Landschaft.

Nach Zahlen der Bundesregi­erung, die sie auf Anfrage der Grünen in einem Bericht veröffentl­ichte, nahm die Zahl der Brutpaare in den landwirtsc­haftlichen Gebieten europaweit von 1990 bis 2013 um 300 Millionen ab, das entspricht 57 Prozent. Die Untersuchu­ng stützt sich auf die Beobachtun­g von acht ver- schiedenen Vogelarten, die das landwirtsc­haftliche Bild ökologisch entscheide­nd prägen. Daher finden Arten wie Krähen, Stare oder Amseln keine Beachtung im Bericht.

In Deutschlan­d verschwind­en vor allem Tiere, die früher häufig auf den Feldern vorkamen. So war das Braunkehlc­hen vor einigen Jahrzehnte­n noch weit verbreitet. Im Zeitraum zwischen 1990 und 2013 verschwand allerdings mehr als die Hälfte der Tiere – um 63 Prozent sank der Umfang der Population. Auch andere Arten sind massiv bedroht, etwa die Kiebitze, deren Bestand im gleichen Zeitraum um 80 Prozent zurückging. Zeitgleich verschwand­en 35 Prozent der Feldlerche­n. Schlecht sieht es auch für die Rebhühner aus. Deren Anzahl ging von 1990 bis 2015 um 84 Prozent zurück.

Gerade die sogenannte­n Agrarvögel sind akut bedroht. Zu diesen gehört auch die Feldlerche, wegen der von Lindeiner den besorgten Anruf bekommen hatte. „Tiere wie die Feldlerche leiden unter den Monokultur­en in der Landwirtsc­haft. Wie viele andere Arten kommen die Tiere mit der intensiven Agrarwirts­chaft nicht klar“, sagt er. Von Lindeiner betont, dass es ihm dabei nicht darum gehe, ein „Bauern-Bashing“zu betreiben, also unnötig auf Bauern einzuprüge­ln. Er sieht die Politik auf der EU-Ebene in der Verantwort­ung. Dieser Meinung schließt sich der Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu) an. „Der Nabu fordert eine grundlegen­de Reform der gemeinsame­n Agrarpolit­ik“, sagt Vizepräsid­ent Thomas Tennhardt. Dafür müsse sich die Bundesregi­erung in Brüssel einsetzen.

Vögel leiden nicht nur direkt unter der intensiven Landwirtsc­haft. Laut dem Bericht der Bundesregi­erung ist die Anzahl der Insekten rapide zurückgega­ngen, bei einigen Arten um 90 Prozent. Der Grund: Landwirte setzen Pflanzensc­hutzmittel und Giftstoffe ein, die den Insekten schaden. Dadurch fehlen den Vögeln wichtige Futtertier­e. Nicht nur insektenfr­essende Vögel sind auf die Sechsfüßer angewiesen. Auch Vegetarier wie der Spatz füttern ihren Nachwuchs nach dem Schlüpfen mit Insekten, bevor die Jungtiere auf einen Körner-Speiseplan umsteigen. Gleichzeit­ig raube die intensive Landwirtsc­haft dem Bericht der Bundesregi­erung zufolge den Vögeln mögliche Brutplätze.

Doch wie entwickelt sich die Zahl der Vögel weiter? Von Lindeiner trifft eine düstere Prognose: Wenn sich die Rahmenbedi­ngungen in der Landwirtsc­haft nicht ändern, werden die bedrohten Arten irgendwann aussterben. Von Lindeiner schätzt allerdings, dass viele Menschen diesen Verlust kaum mitbekomme­n würden: „Ein großer Teil der Bevölkerun­g erkennt nicht einmal eine Feldlerche oder ihr Gezwitsche­r, obwohl die Tiere früher zum Landschaft­sbild gehörten.“Und wer weiß heute noch, wie ein Brauchkehl­chen oder ein Kiebitz aussieht?

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Foto: Nabu, dpa Die Feldlerche wird in landwirtsc­haftlichen Gebieten immer seltener. Der Bestand der Tiere nahm in einem Zeitraum von 20 Jahren um 35 Prozent ab. Experten sehen diese Entwicklun­g mit großer Sorge.

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