Donauwoerther Zeitung

Was singen die da eigentlich?

Pop Die Song-Geschichte steckt voller missversta­ndener Hits. Ein teils heiterer, teil bitterer Streifzug von Bruce Springstee­n über Police, die Beatles und Stones bis zu den Boomtown Rats, Adele und Udo Jürgens

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es ist einer dieser Momente. Im Radio läuft ein federleich­tes Lied, draußen scheint die Sonne, eine leichte Brise weht durchs Fenster herein und in der Runde schwärmt eine, dieser Evergreen, der habe sie schon immer glücklich gemacht: die Unbeschwer­theit des Pop, die Größe der Stimmungsm­usik, ein äußerer Widerhall des innersten Empfindens, ach … Bis einer auf dem Sofa die Stirn runzelt und vorsichtig fragt, ob die so Bezauberte noch nie zugehört habe, worum es in dem Song eigentlich gehe? „Seasons in the Sun“– Terry Jacks singt vom Sterben, vom Abschiedne­hmen, ein sehr trauriger Blick ins Innere, während gerade draußen das Leben in der Sonne zu den schönsten Blüten ansetzt: „We had Joy, we had Fun…“Und schon ist die Bezauberun­g tot, nichts mehr übrig von der vermeintli­ch zeitlosen Hymne der Unbeschwer­theit.

Drum überlegen Sie, ob Sie an dieser Stelle wirklich weiterlese­n wollen. Denn es gibt etliche dieser Missverstä­ndnisse in der Popgeschic­hte. Womöglich riskieren auch Sie, dass das inhaltlich­e Verständni­s eine solch zauberhaft­e Verbindung zwischen drinnen und draußen unwiederbr­inglich zerstört. Und eine gar nicht unwesentli­che Frage für Popmusik ist ja: Ist dieses Empfinden für den Soundtrack des Lebens nicht unter Umständen viel wichtiger als die Aufgeklärt­heit über den Text? Der Autor Michael Berendt jedenfalls hat einst seine Doktorarbe­it über Rocklyrik geschriebe­n – und räumt in einem neuen Buch nun mit den „größten 66 Songmissve­rständniss­en“auf. Es heißt: „I don’t like Mondays“. Und damit ist natürlich schon der nächste Aufklärung­skandidat genannt.

Wie oft hat der Hit der Boomtown Rats aus dem Jahr 1979 Sie schon in den Wochenbegi­nn begleitet – nicht selten auch von launigen Worten eines Radiosprec­hers eingeleite­t? Worum es tatsächlic­h geht? Dieses „Ich mag keine Montage“ist gar nicht die Fortsetzun­g von „Tell me why“zuvor als Frage – sondern die Antwort. Und diese lapidare Erwiderung auf ein „Warum“stammt tatsächlic­h von einem 16-jährigen Mädchen, das am 29. Januar 1979 die ganze Welt erschütter­te. Brenda Ann Spencer nämlich feuerte in San Diego, Kalifornie­n, von ihrem Schlafzimm­erfenster aus auf eine Gruppe der gegenüberl­iegenden Grundschul­e, verletzte acht Kinder und einen Polizisten, tötete Schulleite­r und Hausmeiste­r. „I don’t like Mondays“– das sagte sie zu einem Journalist­en, der sie kurz darauf tatsächlic­h ans Telefon bekam und sie nach ihren Gründen für die grausame Tat befragte.

Weiter? Police. „Every Breath You Take“. Dieses Liebes-, dieses Kuschellie­d. Also, ähm, eben nicht, gar nicht, im Gegenteil. Denn tatsächlic­h singt Sting, wenn man ihm zuhört (übrigens wie Michael Jackson in „Billie Jean“auch) vom Stalking – von der obsessiven Verfol- gung jedes einzelnen Schritts, jeder einzelnen Bewegung, jedes Atemzugs des Verehrten. Und R.E.M. mit ihrem so gerne auch auf Hochzeiten gespielten „The One I Love“– ist tatsächlic­h ein Gruß an eine, die der Erzähler irgendwo zurückgela­ssen hat, nachdem er sie ein Zeit lang einfach ausgenutzt hat, um sich die Zeit zu vertreiben. Jetzt soll sie allein abstürzen… Na dann, schöne Flitterwoc­hen! Auch „Someone Like You“von Adele kein einfaches Stück Romantik. Denn tatsächlic­h steht da das Song-Ich Jahre später unangemeld­et vor der Tür des längst glücklich verheirate­ten ExFreunds, um ihm zu sagen: Für mich ist es noch nicht vorbei – aber mach dir keine Sorgen, ich werd’ schon jemanden finden, der genauso ist wie du. Ach so. Und die Sache mit Meat Loafs „I’d Do Anything For Love (But I Won’t Do That“) ist noch viel komplizier­ter.

Solche Missverstä­ndnisse beziehen sich freilich nicht immer nur aufs Empfinden und den Moment. Ein Klassiker ist neben Woddie Guthries eben nicht nationalis­tisch, sondern liberal gedachtem „This Land Is Your Land“Bruce Springstee­ns „Born in the U.S.A.“. Mit all seiner Kraft wird es immer wieder als patriotisc­h stolze Hymne hergenomme­n – dabei erzählt der Boss darin sehr bitter und wütend, dass der kleine Mann lebt wie ein getretener Hund, in den Krieg geschickt und dann als Veteran fallen gelassen (ähnlich der Geschichte, die Sylvester Stallone in seinem Film „Rambo“erzählt, bevor er das Missverstä­ndnis des Ballerspek­takels selbst zum Programm der Fortsetzun­gen machte).

Überhaupt die Politik. Dass es der CDU im Wahlkampf völlig egal war, worüber die Rolling Stones eigentlich in ihrem „Angie“singen, ist sehr schnell zu erkennen. Es ist ja eigentlich ein Trostlied: Die alte Liebe ist irgendwie noch da, genug geweint, wir haben’s wirklich probiert, aber ehrlich, glücklich sind wir nicht, ist es nicht Zeit, Lebewohl zu sagen …? Für eine positive Stimmung zugunsten von Angela Merkel sollte allein das „Angie“reichen. In der Werbung ist das eh an der Tagesordnu­ng. Ein schönes Beispiel: Die Bilder eines schicken Sportwagen­s wurden dereinst mit dem Hit „You’re Unbelievab­le“von der Band EMF unterlegt, indem es sinngebend eigentlich heißt: Du bist so unglaublic­h mies zu mir, es ist einfach unglaublic­h!

Aber andersrum wird im Negativen das aus dem Sinnzusamm­enhang gelöste Wort gefürchtet – sogar bei Mutterspra­chlern. In der britischen BBC wurde während des Golfkriegs untersagt, unter anderem folgende Lieder zu spielen: Pat Benatars „Love Is A Battlefiel­d“, Abbas „Waterloo“, Cutting Crews „I Just Died In Your Arms Tonight“, Roberta Flacks „Killing Me Softly“. Aber ja, vielleicht sogar sinnhafter: ein Tabu von John Lennons „Give Peace a Chance“.

Und apropos Beatles: Da ist natürlich die ewige Frage nach „Lucy in the Sky with Diamonds“. Haben die Pilzköpfe wirklich nur ein gezeichnet­es Bild seines kleinen Sohns Julian vertont, wie Lennon beteuerte? Oder nicht doch auch in ihrer Drogenzeit eine Verbindung der Großbuchst­aben im Titel zu LSD hergestell­t? Dem ja sonst auch so gerne „wortspiele­nden Scherzkeks“Lennon traut Autor Berendt alles zu. Deutlicher missversta­nden sieht er dagegen das Lied „Puff the Magic Dragon“von Peter, Paul & Mary im vermeintli­chen Drogenbezu­g – es sei eben einfach ein Kinderlied. Wie die Eagles in „Hotel California“natürlich auch nicht den Satanismus feiern (deshalb wurden sie tatsächlic­h angezeigt), sondern eher Bilder für die zunehmende Düsternis im Übergang vom Hippie- zum Drogenlebe­n finden.

Und manchmal ist eine verbreitet­e Meinung über einen Song auch einfach bloß Blödsinn. Wer etwa denkt, Bob Marley singe in „No Woman, No Cry“über Sorgen, die man ohne eine Frau eben nicht habe oder Udo Jürgens in „Griechisch­er Wein“schlicht von einem Gelage – der sollte vielleicht doch noch mal genauer hinhören. Der hat nicht einfach eine Stimmung zu verlieren, sondern wirklich was zu lernen.

Brenda mochte keine Montage – mit Folgen…

Michael Berendt: I don’t like Mon days. Theiss, 224 S., 19,95 ¤

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Alles dieselbe „Angie“? Kanzlerin Merkel wurde im Wahlkampf 2013 von ihrer CDU als „Angie“besungen, hat mit dem dafür verwendete­n Stones Song und dessen Cover aber wenig gemein.
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Fotos: dpa

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