Holt Deutschland diesmal die Palme?
Film In Cannes ist Regisseur Fatih Akin im Wettbewerb vertreten. Derweil plagen das Festival Sorgen mit dem Streamingdienst Netflix
Cannes Vielleicht kann Fatih Akin in diesem Jahr den Bann brechen. Mehr als drei Jahrzehnte ist es her, dass ein deutscher Regisseur den Hauptpreis in Cannes gewonnen hat. Nun hat es Akin in den Wettbewerb des wichtigsten Filmfestivals geschafft – und tritt dort unter anderem gegen Michael Haneke an. Überhaupt waren selten zuvor so viele deutschsprachige Filmemacher in Südfrankreich vertreten: Nach ihrem Kritikererfolg mit „Toni Erdmann“im vergangenen Jahr gehört jetzt auch Maren Ade zur Wettbewerbs-Jury unter Vorsitz von Pedro Almodóvar. Und Valeska Griesebach schaffte es mit einem von Ade mitproduzierten Film in eine bedeutende Nebenreihe.
Den Auftakt macht am kommenden Mittwoch das französische Liebesdrama „Les Fantômes d’Ismaël“mit Marion Cotillard und Charlotte Gainsbourg. In den folgenden Tagen steht dem Filmfest dann ein Spagat bevor: Einerseits ist es die 70. Ausgabe, was natürlich mit zahlreichen Stars gefeiert wird. Nicole Kidman scheint mit vier Projekten fast omnipräsent, weiter stehen Namen wie Julianne Moore, Kristen Stewart, Colin Farrell, Vanessa Redgrave und viele andere auf der Gästeliste. Andererseits lässt sich trotz allen Glamours am Prachtboulevard der Croisette auch die aktuelle politische Wirklichkeit nicht ausblenden. Schon in den vergangenen Jahren waren die Sicherheitsvorkehrungen vor den Kinos erhöht worden. Das dürfte sich nun, nachdem Frankreich in den vergangenen Monaten Terroranschläge erlebte, weiter verschärfen.
Doch auch in den Kinos stehen bis zum 28. Mai auffallend häufig politische Themen an. Der Österreicher Haneke, der als erster drei Goldene Palmen gewinnen könnte, erzählt in „Happy End“eine Geschichte vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise. In „Aus dem Nichts“von Fatih Akin verliert Diane Kruger bei einem Anschlag ihre Familie – verdächtigt werden Neonazis. Zu den 19 Beiträgen im Wettbewerb gehören auch Werke weiterer etablierter Regisseure wie François Ozon, Todd Haynes und Sofia Coppola – eine von drei Frauen. Doch es gibt auch unbekanntere Gesichter wie den in Berlin lebenden Ukrainer Sergei Loznitsa („A Gentle Creature“) und die US-Brüder Benny und Josh Safdie, die Robert Pattinson als Bankräuber zeigen („Good Times“). Die größten Überraschungen aber betreffen die Produktionsfirmen und Formate. So zeigt Cannes zum ersten Mal in der 70-jährigen Geschichte zwei Serien in Sondervorführungen: Teile der zweiten Staffel von „Top of the Lake“der Oscar-Preisträgerin Jane Campion sowie David Lynchs Fortsetzung der bahnbrechenden Serie „Twin Peaks“, die zu Beginn der 90er Jahre ein Meilenstein in der TV-Unterhaltung war. Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass im Wettbewerb große Hollywoodstudios wie Sony, Warner und Fox fehlen. Stattdessen ist der US-Streamingdienst Netflix gleich mit zwei Produktionen im Palmenrennen vertreten: mit dem Drama „The Meyerowitz Stories“mit Ben Stiller und Emma Thompson sowie dem südkoreanischen Beitrag „OKJA“mit Tilda Swinton und Jake Gyllenhaal.
In welch einem tief greifenden Wandel sich die Filmwelt gerade befindet, zeigt auch ein Konflikt zwischen der Festivalleitung und Netflix. Der Streamingdienst weigert sich nämlich, seine beiden im Wettbewerb vertretenen Filme auch in den Kinos zu zeigen. Wie die Festivalleitung erklärte, bat sie Netflix vergeblich darum. Zugleich kündigte sie an, die geltenden Regelungen für das Festival ab dem kommenden Jahr zu ändern. Zukünftig muss demnach jeder Wettbewerbsfilm auch in die französischen Kinosäle kommen.