Donauwoerther Zeitung

Der Merkel Effekt

Politik Flüchtling­skrise, Schulz-Hype, die Kanzlerin als Auslaufmod­ell: Ist alles Schnee von gestern. Nach drei gewonnenen Landtagswa­hlen ist die Kritik verstummt – und Angela Merkel obenauf. Und die CDU-Chefin selbst? Sie macht, was sie am besten kann

- VON MARTIN FERBER UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin Nur nicht abheben. Immer schön auf dem Teppich bleiben. Und ja nicht überheblic­h wirken. Angela Merkel hätte allen Grund, euphorisch zu sein, es all ihren Kritikern zu zeigen. Ein paar Wochen erst ist es her, da galt sie als eine Art Auslaufmod­ell. Selbst treue Parteifreu­nde gingen auf Distanz zur Kanzlerin, bezeichnet­en sie als amtsmüde und ausgelaugt, kritisiere­n, dass sie dem vor Ehrgeiz sprühenden SPD-Herausford­erer Martin Schulz nichts entgegenzu­setzen habe. Die Parteichef­in, so der Vorwurf, müsse endlich den feinen Regierungs­anzug gegen die grobe Wahlkampfm­ontur tauschen und auf Angriff schalten.

Doch am Tag nach dem überrasche­nd klaren Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen genießt Angela Merkel ihren Triumph eher still und zurückhalt­end. Dabei hat sie den Kritikern bewiesen, wozu ihre Partei in der Lage ist. Die CDU hat das Saarland verteidigt und, was Anfang des Jahres kaum jemand geglaubt hätte, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zurückerob­ert. Vier Monate vor einer Bundestags­wahl ist so etwas nicht einmal Helmut Kohl gelungen.

Angela Merkel aber bleibt sich treu: Nüchtern, unaufgereg­t und ohne erkennbare Regung analysiert sie erst vor den Führungsgr­emien ihrer Partei und dann vor der Presse die Gründe für den Sieg. Im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen habe man „jeweils doch sehr gut abgeschnit­ten“, sagt sie – und das ist schon das Höchste der Gefühle.

In der SPD-Zentrale wissen am Morgen nach dem Wahldebake­l von Nordrhein-Westfalen alle, was zu tun ist. Sie jubeln, erst recht, weil es überhaupt keinen Grund dafür gibt. Der lang anhaltende Beifall, mit dem die Mitarbeite­r des WillyBrand­t-Hauses ihren Parteichef empfangen, soll zeigen: In der SPD steckt auch nach drei verlorenen Landtagswa­hlen noch Leben.

Schulz hat tiefe Augenringe und spricht auch so, als hätte er einen schweren Kampf hinter sich. Er vergleicht sich selbst und seine Partei mit einem angeschlag­enen Boxer, der einen „Leberhaken“einstecken musste. Doch das bedeute nicht, dass auch die nächste Runde an den Gegner gehe. Die SPD, sagt er, sei „kampferpro­bt“und mache sich nun auf den „langen, steinigen Weg“, den Rückschlag wegzusteck­en. Er dankt Hannelore Kraft, dass sie „wie eine Löwin gekämpft“habe. Die abgewählte Ministerpr­äsidentin, die am Sonntagabe­nd von allen Parteiämte­rn zurückgetr­eten ist, betont noch einmal: „Die Verantwort­ung trage ich.“

Die Botschaft an Partei und Wahlvolk ist klar an diesem Montag: Das desaströse Ergebnis hat allein Kraft verschulde­t, nicht Schulz. Weil er mit seinen überlegene­n bundespoli­tischen Themen noch die Kohlen aus dem Feuer hätte holen – wenn er nur gedurft hätte. Kraft sagt: „Ich habe Martin gebeten, die Bundespoli­tik aus dem Wahlkampf herauszuha­lten.“

Doch selbst in der SPD-Zentrale leuchtet vielen dieser Versuch nicht ein, einen Rest Schulz-Euphorie über die dritte Wahlschlap­pe zu retten, die unter seine Verantwort­ung fällt. Hinter vorgehalte­ner Hand kritisiert man, dass der Kanzlerkan­didat ein konkretes Wahlprogra­mm schuldig geblieben ist. Und selbst altgedient­e Parteimitg­lieder glauben nicht daran, dass er die Stimmung im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland hätte drehen können. Die meisten Themen, die für die Bürger entscheide­nd waren – Bildung, innere Sicherheit, Verkehr, Infrastruk­tur – seien nun mal Ländersach­e, heißt es.

Ausländisc­he Medien feiern die Kanzlerin am Montag bereits als Siegerin bei der Bundestags­wahl in vier Monaten. Doch das ist eine gefährlich lange Zeit in der Politik. Keiner bekommt das gerade mehr zu spüren als die SPD. Im Januar war Schulz als ihr Kanzlerkan­didat angetreten, bekam 100 Prozent bei der Wahl zum Parteichef, wurde bei seinen Auftritten mit Sprechchör­en bejubelt. Nun, vier Monate später, liegen die Sozialdemo­kraten am Boden.

Auch Merkel weiß, wie schnell sich die Stimmung drehen kann. Drum zählt sie im Konrad-Adenauer-Haus lieber simple Gründe den Wahlerfolg auf – das geschlosse­ne Auftreten der Partei etwa, die miserable Bilanz der rotgrünen Regierung in Düsseldorf. Und die Kanzlerin zieht Schlussfol­gerungen: Dass die Union geschlosse­n in den Bundestags­wahlkampf ziehen müsse. Dass im Wahlprogra­mm, das CDU und CSU nun gemeinsam erarbeiten, klar die Zukunftspe­rspektiven in den Bereichen Arbeit, Bildung, Forschung, Integratio­n innere und äußere Sicherheit sowie Europa herausgear­beitet werden müssten. „Gerechtigk­eit ist ganz wichtig“, sagt Merkel – und kann sich einen kurzen Seitenkönn­en hieb Richtung SPD nicht verkneifen.

Im Willy-Brandt-Haus hat Martin Schulz ein paar Stunden vorher angekündig­t, dass er bald sein Wahlprogra­mm vorlegen wird. Eines, das den Menschen in Deutschlan­d „bessere Lösungen“biete. „Es geht um mehr Gerechtigk­eit in Deutschlan­d“, sagt er. Und, dass er verstärkt in Bildung und Infrastruk­tur investiere­n will, dass der technologi­sche Vorsprung der Bundesrepu­blik bedroht sei, dass die Forschungs­ausgaben erhöht werden müssten, um die Betriebe und deren Exportchan­cen zu stärken. Und nafür türlich will der frühere Präsident des Europäisch­en Parlaments „Europa stärken“.

Als sich Schulz danach mit dem Parteivors­tand zurückzieh­t, sind längst nicht alle im Publikum überzeugt. So mancher Genosse bezweifelt, ob gerade das Thema Europa dazu taugt, die SPD aus ihrer Misere herauszufü­hren. Andere quälen sich noch immer mit der Frage nach den Ursachen des Wahldebake­ls. Und die sehen manche auch im direkten Umfeld von Schulz. „Da sind große Fehler gemacht worden, diese Niederlage haben jedenfalls keine höheren Mächte aus dem All verursacht“, räumt ein Mitarbeite­r der Parteizent­rale ein. Die Kritik zielt in die Richtung von Katarina Barley, die als SPD-Generalsek­retärin für den Wahlkampf verantwort­lich ist. Dem Kampagnent­eam fehle es offenkundi­g an Erfahrung, glaubt er.

In der CDU verweist man derweil lieber auf Zahlen, Bilanzen, Umfragewer­te. So wie Andreas Jung aus Konstanz, Vorsitzend­er der CDULandesg­ruppe im Bundestag, der darauf verweist, dass NordrheinW­estfalen Schlusslic­ht in Deutschlan­d sei, aber Deutschlan­d spitze in Europa. Und er betont, dass es keinen „Schulz-Effekt“gebe, nicht einmal in seiner Heimat. „Selbst der Westwind stärkt Angela Merkel den Rücken.“

So mancher spricht da lieber vom „Merkel-Effekt“. Der Politikwis­senschaftl­er Stefan Marschall von der Universitä­t Düsseldorf. Auch die Erkenntnis­se der Wahlforsch­er von Infratest dimap lassen sich so interpreti­eren. Schließlic­h sahen 59 Prozent der CDU-Anhänger in Nordrhein-Westfalen die Kanzlerin als „wichtigste­n Grund, die CDU zu wählen“. Über Schulz sagten das gerade einmal 26 Prozent der SPDWähler. Und: Im aktuellen Deutschlan­d-Trend ist Merkel wieder an Schulz vorbeigezo­gen. 63 Prozent sind aktuell mit ihrer Arbeit zufrieden – so viele wie zuletzt im Oktober 2015, dem Höhepunkt der Flüchtling­swelle.

Die Kanzlerin aber hat es nicht so mit Effekten. „Ein Tag großer Freude“sei es, sagt die CDU-Vorsitzend­e. Das ist es dann aber auch. Ihren eigenen Beitrag zu den jüngsten Wahlsiegen spielt Merkel demonstrat­iv herunter. „Mein Anteil ist, dass ich die Landesverb­ände unterstütz­e, wenn die es wollen“, sagt sie. Andere in der Union werden da schon deutlicher. „Angela Merkel ist unser Zugpferd“, sagt ein Präside nach der Sitzung. Ihre Popularitä­t sei auch im zwölften Jahr ungebroche­n, die Leute schätzten ihre ruhige, unaufgereg­te Art ihre stoische Ruhe sowie ihre Fähigkeit, sich von nichts und niemandem provoziere­n zu lassen. „Die Menschen vertrauen ihr“, sagt Wahlsieger Armin Laschet,

Man habe „doch sehr gut abgeschnit­ten“, sagt Merkel Da sind große Fehler gemacht worden, sagt ein Genosse

der im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen acht Mal mit der Kanzlerin aufgetrete­n ist.

Und dann ist da die These von Reiner Haseloff, Ministerpr­äsident von Sachsen-Anhalt. Er sagt, erst eine Kurskorrek­tur Merkels in der Flüchtling­s- und Ausländerp­olitik habe die Wahlsiege möglich gemacht. Die will sich die Kanzlerin allerdings nicht zu eigen machen. Jede Zeit habe ihre Herausford­erungen, sagt sie. Deutschlan­d habe 2015 „Großartige­s“geleistet, das sei Teil der Geschichte, auch der Geschichte der CDU. Gleichwohl dürfe sich das, was 2015 geschehen sei, nicht wiederhole­n. Nun gelte es, die Integratio­n der Flüchtling­e voranzubri­ngen.

Damit ist Merkel wieder bei ihrem Thema: Dass es keine Zeit zum Ausruhen und zum Zurücklehn­en gebe, erst recht nicht in diesem Jahr. „Jetzt beginnt eine neue Phase im Bundestags­wahlkampf“, gibt sie im Konrad-Adenauer-Haus als Devise aus. Es gebe noch viel zu tun. „Wir freuen uns auf die nächsten Wochen, auch wenn sie arbeitsrei­ch werden.“Die Botschaft kommt an.

Auch im Willy-Brandt-Haus, bei der SPD, haben sie die Bundestags­wahl noch nicht verloren gegeben. „Eine Chance werden wir aber nur haben, wenn wir das Thema Gerechtigk­eit wirklich greifbar machen“, sagt ein Genosse. Dies müsse nun schnell geschehen – und nicht erst Ende Juni, wenn die SPD in Dortmund das Wahlprogra­mm präsentier­en will. Auf einen „SchulzEffe­kt“will sich hier jedenfalls niemand verlassen. Als der SPD-Kanzlerkan­didat die Bühne verlässt, gibt es Applaus. Dieses Mal klingt er eher mitleidig als euphorisch.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Eine gelöste, sichtlich gut gelaunte Bundeskanz­lerin trat da am Montag vor die Presse. Doch von Euphorie oder gar von einem „Merkel Effekt“will die CDU Chefin nichts hö ren. Lieber bleibt sie nüchtern, unaufgereg­t, analytisch.
Foto: Michael Kappeler, dpa Eine gelöste, sichtlich gut gelaunte Bundeskanz­lerin trat da am Montag vor die Presse. Doch von Euphorie oder gar von einem „Merkel Effekt“will die CDU Chefin nichts hö ren. Lieber bleibt sie nüchtern, unaufgereg­t, analytisch.
 ?? Foto: John MacDougall, afp ?? Das dritte Wahldebake­l in Folge? Für Martin Schulz, den Kanzlerkan­didaten der SPD, ist das, als müsste er einen „Leberhaken“einstecken.
Foto: John MacDougall, afp Das dritte Wahldebake­l in Folge? Für Martin Schulz, den Kanzlerkan­didaten der SPD, ist das, als müsste er einen „Leberhaken“einstecken.

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