Hirntumor und Handystrahlen
Medizin Italienische Richter sehen da einen Zusammenhang. Studien allerdings nicht
Rom Der Fall sorgt für Aufsehen: Ein Manager telefoniert 15 Jahre lang mehrere Stunden am Tag mit dem Handy am Ohr. Irgendwann stellt er fest, dass er nicht mehr richtig hört. Er hat einen Tumor. Bei einer Operation wird ihm der Hörnerv entfernt, seitdem ist der Italiener auf dem Ohr taub. Er klagt gegen seinen Arbeitgeber, einen Telekommunikationskonzern. Und die Richter sprechen ihm eine monatliche Invalidenrente zu.
Es gebe einen Kausalzusammenhang zwischen seiner Handynutzung und seiner Erkrankung, stellten sie kürzlich fest. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber ein großes Gesprächsthema. „Das Handy provoziert Krebs“, lauten die Schlagzeilen in italienischen Medien – auch wenn es sich bei der Erkrankung des Mannes um einen gutartigen Tumor handelte, keine bösartige Gewebeneubildung.
Und ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Handynutzung und Tumorerkrankung besteht? Seit etwa 20 Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft damit – eine Antwort hat sie nicht gefunden. „Aktuelle Studien geben derzeit keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Handystrahlung auf der einen und Tumorerkrankungen auf der anderen Seite“, sagt eine Sprecherin des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS). Eine Untersuchung des BfS habe ergeben, dass es innerhalb der gültigen Grenzwerte keine Hinweise auf eine schädigende Wirkung des Mobilfunks gebe.
Bestätigt wird dies von anderen Studien. Die US-Krebsbehörde sagt zwar, dass es eine begrenzte Zahl an Studien gibt, die Hinweise auf einen statistischen Zusammenhang zwischen der Nutzung des Mobiltelefons und dem Risiko für einen Gehirntumor gefunden haben. „Aber die meisten Studien haben keinen Zusammenhang gefunden.“
Wie können dann Richter zu einem solchen Schluss kommen? Der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Joachim Lüblinghoff, sagt: „Nichts ist undenkbar.“Entscheidend für ein Urteil sei, dass der Schaden nachgewiesen werde. „Bei einem Gehirntumor müssten wir einen Spezialisten dafür haben, einen Onkologen, einen Neurochirurgen oder einen anderen Facharzt, der uns die Kausalkette erklären kann“, sagt er. Gelange der Facharzt zu der Ansicht, dass im diesem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit die Handynutzung ausschlaggebend für die Erkrankung war, wäre der Vollbeweis erbracht.
Paolo Crosignani war als Physiker und Mediziner im Fall des Italieners der Sachverständige, der die Richter beraten hat. Er warnte vor Verallgemeinerungen. „Oft hängt das Risiko, wie bei so vielen Dingen, von der Dosis ab.“Der Mann habe die meiste Zeit ein altes Handy genutzt, das höhere Radiofrequenzen aussendete als etwa Smartphones. Außerdem habe es sich bei seinem Tumor um eine seltene Form gehandelt. Sein Fall sei ein Einzelfall. Ähnlich sieht es der frühere Manager: Er wolle nicht, dass das Urteil nun Angst verbreite, sagte er.