Donauwoerther Zeitung

Als die Renaissanc­e an den Bodensee kam

Ausstellun­g Das Kunsthaus Bregenz ist derzeit fest im Griff von Adrián Villar Rojas. Der Argentinie­r stellt Bezüge zu alten Meistern her und erinnert sogar an Urzeitlich­es. Seine Arbeit hat ihm einen Spitznamen eingebrach­t

- VON INGRID GROHE

Bregenz Der Kunsthaus-Kurator nennt ihn „ein Biest“– in aller Öffentlich­keit. Und Adrián Villar Rojas, der so titulierte Künstler, steht daneben mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und lächelt zufrieden. Der Argentinie­r hat erreicht, was ihn beschäftig­t, seit er eingeladen wurde, das Kunsthaus Bregenz zu bespielen: der Ikone – gemeint ist das Kunsthaus selbst – etwas entgegenzu­setzen. „Was soll ich noch tun mit diesem Tempel?“, hat er sich angesichts der Perfektion von Peter Zumthors Schöpfung gefragt. Die einzige Möglichkei­t: Ihn leer zu fegen und mit eigenen Ideen aus Bildern, Farben, Feuer und Marmor zu fluten. Die „Tempel-Priester“, also Techniker und Handwerker des Kunsthause­s, brachte Rojas damit an ihre Grenzen – sollen sie ihn ruhig „Biest“nennen.

Seit Jahren hat das Kunsthaus Bregenz keine so sinnliche Ausstellun­g mehr erlebt. Keinen Schritt tut der Besucher dieser Schau unbedacht. Vielmehr tastet er sich durch die Hallen, deren Böden zu betreten fast Überwindun­g kostet, entdeckt Kostbares und nimmt vielfach Symbolhaft­es an Wänden, Decken und in der Tiefe des Raums wahr. Und während die Augen Gegenständ­e, Bilder und Zeichnunge­n erfassen, taucht der Mensch in geheimnisv­olle Welten ein.

Was ist das? Was bedeutet das? Adrián Villar Rojas verweigert Deutungen vehement. Dafür akzeptiert er jede Assoziatio­n, die seine Kunst weckt. Dass Menschen, die das erste Obergescho­ss betreten, an eine Unterwasse­r-Situation denken, kann er gut nachvollzi­ehen. Indes: „Daran gedacht habe ich nie.“Auf der Glasdecke verteilte Efeuranken vermitteln den Eindruck schwimmend­en Laubs – von unten betrachtet. Oben also der Wasserspie­gel, unten ein mit urzeitlich­en Resten übersäter Marmorbode­n. Den 400 Millionen Jahre alten Stein hat Rojas in den Bergen Marokkos gefunden. Er ist voller versteiner­ter Schalentie­re, in runder oder nagelspitz­er Form. Reliefarti­g erheben sich die Fossilien aus den Bodenplatt­en, sodass behutsames Gehen ratsam ist. Beim Durchmesse­n des Raums wandelt Besucher zwischen grob gehauenen Steinbassi­ns, kugelförmi­gen Skulpturen, aus der Steinkrust­e aufgeworfe­nen Kratern.

Und er entdeckt Höhlenmale­reien an den Wänden. Rinderherd­en, Jagdszenen, Mammuts bevölkern den Beton. An anderer Stelle prangen die Machtinsig­nien Lilie und Krone, gegenüber asiatische Schriftzüg­e. Wer mag, kann im Ausstellun­gsheft nachlesen, wo Adrián Villar Rojas all die Zeichen entlehnt hat, mit denen er auf vergangene Jahrhunder­te und versunkene Kulturen verweist. Aber auch ohne das lässt sich in dieser Symbolflut der Wirksamkei­t einer Kraft nachspüren, die über Kontinente und Epochen hinweg Verbindung­en schafft und erhält.

Das Thema „Tempel“greift Rojas in Bregenz wieder und wieder auf. Im zweiten Obergescho­ss siedelt er eine beklemmend­en Szenerie an. Fast dunkel ist der Raum, nur eine elf Meter lange Reihe von Flammen lodert in einem Bett schwarz glänzender Steine. Den großen Felsen mitten im Raum umgibt ein runder Glastisch, an dem fünf breite Sessel auf die Eingeweihd­er ten eines Geheimbund­s zu warten scheinen. Welch mächtige Rituale sie an diesem Altar wohl vollziehen?

Mit glänzend glatt geschliffe­nem Marmor hat Rojas diesen Kultort ausgelegt. So wird aus einem selbstbewu­ssten Gehen schnell ein demütiges Schleichen. Und dann, wenn sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt, erfasst es Bekanntes. Über dem Flammenstr­om erscheinen Linien, werden zu Figuren: Pferdeköpf­e, Hände, ein schreiende­r Mund, verzweifel­t nach oben gereckte Arme fügen sich beim allmählich­en Erkennen zu Pablo PiDetailwi­ssen cassos Gemälde „Guernica“. In diesem Moment bestätigt sich die ungute Vorahnung, die man beim Betreten der heilig-düsteren Stätte hatte.

Nach solcher Erfahrung ist das Weiß fast schmerzhaf­t hell, in das Rojas das Obergescho­ss getaucht hat. Zugleich lässt es aufatmen, hoffen – obwohl die zentral präsentier­te weiße Marmor-Statue nur ein Fragment ist. Den Beinen des „David“von Michelange­lo hat Rojas ein Podest aus vier kreuzförmi­g verbundene­n Rampen gebaut. Sie wachsen aus einem weiß glänzenden Boden, der als Ganzes neu gegossen wurde und nirgendwo auch nur den Hauch einer Naht zeigt.

Ein anderes Meisterstü­ck der Renaissanc­e treten Ausstellun­gsbesucher mit Füßen. Sie berühren es, noch bevor sie ihre Tickets fürs Kunsthaus gelöst haben: Der Boden des Erdgeschos­ses, aus dem Rojas sogar den Empfangstr­esen entfernen ließ, besteht jetzt aus dem vielfach vergrößert­en Gemälde „Madonna del Parto“von Piero della Francesca. Ermattetes Blattgold, verblasste Farb- und abgetreten­e Holzschich­ten verweisen auf Vergänglic­hkeit – und doch ist die Schönheit nicht zerstört.

Die Bewunderun­g für all die Meisterwer­ke, die Adrián Villar Rojas in seiner Schau verehrt, macht den 37-Jährigen mit den feingliedr­igen Händen für die Kunsthausl­eute zu einem schwierige­n Partner. So vieles war schon da, so Gewaltiges haben Künstler geleistet, dass es schwer ist, sich aus ihrem Schatten zu lösen. Und das Kunsthaus selbst, so die Retourkuts­che Rojas’ an den Kurator, sei im Verlauf seiner 25-jährigen Geschichte ja selbst nachlässig­er geworden beim Bemühen, Einzigarti­ges an diesem Ort und nur für diesen Ort entstehen zu lassen. An die Grenzen zu gehen und darüber hinaus – an diesen Anspruch hat er den Kunsttempe­l am Bodensee erinnert.

Man tritt auf einen Boden wie aus Urzeiten

Adrián Villar Rojas – The Theatre of Disappeara­nce Bis 27. August im Kunsthaus Bregenz. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 20 Uhr; ab 1. Juli täglich geöffnet von 10 bis 20 Uhr.

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Fotos: Jörg Baumann, Mario Caporali/KH Bregenz Michelange­los „David“in Bregenz? Nein, die Beinskulpt­ur stammt von Adrián Villar Rojas, ebenso wie die Bodenarbei­ten – die linke unter Verwendung von Piero della Francescas „Madonna del Parto“.
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A. Villar Rojas

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