Donauwoerther Zeitung

Die große Leere

In vielen Klöstern wird es einsam. Weil alte Nonnen und Mönche sterben und kaum junge Menschen eintreten. Auch Ordensgeme­inschaften in der Region kämpfen um ihren Fortbestan­d. Manche glauben einfach nur noch an Wunder

- VON DANIEL WIRSCHING UND DANIELA HUNGBAUR

Die letzte Schwester ist Ende Februar ausgezogen

Sie sagt, die Gemeinscha­ft geht dem Sterben entgegen

Feuchtigke­it durchzieht die Wand, an der die staubige Glocke hängt. Sie hat lange schon keine Nonne mehr aus dem Schlaf gerissen. Die Holzdielen am Boden des Zellentrak­ts knarzen bei jedem Schritt. Geben nach. Kloster Altomünste­r im oberbayeri­schen Landkreis Dachau ist marode. Risse im Gemäuer, Schimmel, Modergeruc­h. Auf den Bänken in der Chorkapell­e liegen Gebetbüche­r. Notenblätt­er. Eine Packung Hustenbonb­ons. Kaum abgebrannt­e Kerzen. Vor der Chorkapell­e, in der sich die Schwestern einst zum Stundengeb­et versammelt­en, ein Betstuhl: Darauf Zettel, auf die Gläubige geschriebe­n haben, was sie bedrückt. Zeilen über Krankheit und Tod und die Hoffnung auf Trost. Auf Besserung.

Längst bräuchten auch Ordensleut­e Hilfe von oben. Eher unbemerkt wandelt sich die Welt der Orden in einem Ausmaß, das vielen erst allmählich klar zu werden scheint. Viele Schwestern und Brüder fragen sich: Wann droht die Schließung meines Klosters? Muss ich im hohen Alter umziehen? Wer pflegt mich, wenn ich gebrechlic­h werde? Und welche Zukunft haben Ordensgeme­inschaften überhaupt?

Nach jüngsten Zahlen sind rund 84 Prozent der knapp 16000 Nonnen in Deutschlan­d älter als 65 Jahre; bei den etwa 4000 Mönchen sind es rund 55 Prozent. Vor allem katholisch­e Frauenorde­n waren zuletzt in den Schlagzeil­en, weil sie im Schnitt älter und damit stärker vom Wandel betroffen sind. Wer Schwestern besucht, die im Bistum Augsburg und dem Erzbistum München und Freising leben, wer von Altomünste­r nach Augsburg und von Kaufbeuren nach Bad Tölz fährt, wer mit den Nonnen über ihre Situation spricht, erlebt, wie besorgt viele sind. Manche sind traurig, wehmütig, frustriert. Andere voller Gottvertra­uen und offen für Neues.

Für Altomünste­r ist es bereits zu spät. Die letzte Schwester hat das Kloster, das per Dekret aus dem Vatikan aufgelöst wurde, Ende Februar verlassen. Es war die letzte deutsche Niederlass­ung des alten Zweigs des Birgitteno­rdens. „Dass eine Ordensgeme­inschaft komplett verschwind­et, wie dies in Altomünste­r der Fall war, ist eine Seltenheit“, sagt Arnulf Salmen von der Deutschen Ordensober­nkonferenz. In zehn bis 15 Jahren, meint er, werde das mit Blick auf die demografis­che Entwicklun­g aber häufiger vorkommen. Das sei dann eine neue Situation, für die Altomünste­r bereits heute exemplaris­ch stehe.

Doch wenn Ordensgeme­inschaften kleiner werden oder gar verschwind­en, hinterläss­t das tiefe Spuren. Denn Klöster prägen oft seit Jahrhunder­ten die Ortschafte­n. Ordensleut­e sind in Kindergärt­en und Schulen, Pflegeheim­en und Krankenhäu­sern aktiv. Sie wirken in der Seelsorge, pflegen Kulturschä­tze.

Augsburg. Die 76-jährige Dominikane­rin Benedikta vom Kloster St. Ursula sagt: „Ich hätte nie gedacht, dass die Wucht der Veränderun­g mich so trifft.“Es helfe nicht, das Problem schönzured­en. Die Ordensgeme­inschaften seien überaltert, jede müsse für sich herausfind­en, wie die eigene Zukunft aussehen könnte. „Ich glaube, wir müssen stärker als bisher mitten in der Welt leben“, sagt Benedikta.

Kaufbeuren. Das Crescentia­kloster der Franziskan­erinnen steht in der Fußgängerz­one. Im Klosterlad­en ist an diesem Vormittag kein Durchkomme­n. Kinder und Erwachsene drängen sich um Kerzen, schön gestaltete Kreuze, Schutzenge­lchen und Bücher. Mittendrin steht Schwester Elisabeth. Und lächelt. Die junge Frau strahlt eine besondere Ruhe aus. 27 Jahre ist sie. Und nicht das einzige junge Gesicht im Kloster. An der Pforte sitzt Schwester Annika, 40 Jahre.

Deutschlan­dweit traten im vergangene­n Jahr 58 Frauen in eine Ordensgeme­inschaft ein. Im Crescentia­kloster sind es meist eine bis zwei Frauen jedes Jahr. Was also machen sie hier anders? Schwester Martha, 56, wird oft danach gefragt. Die Oberin tut sich schwer mit der Antwort. Ihrer Ansicht nach zieht bereits die heilige Crescentia Frauen an. Wichtiger sei aber, dass sie überhaupt Neuzugänge haben. „Denn wer will als junger Mensch schon in einer überaltert­en Gemeinscha­ft leben?“Der Altersdurc­hschnitt der 40 Schwestern im Crescentia­kloster liegt trotzdem bei 69 Jahren.

Schwester Elisabeth arbeitete vor ein paar Jahren noch als Erzieherin. Dann bekam sie einen Artikel aus einer Zeitschrif­t in die Finger: „Warum wird eine junge Frau heute noch Nonne?“stand da. Die Lebensgesc­hichte dieser Ordensfrau ließ sie nicht mehr los. Sie spürte eine tiefe Sehnsucht in sich. Und dass etwas fehlte in ihrem Leben. Also schrieb sie eine E-Mail an die Nonne, die ihre Geschichte der Zeitschrif­t erzählt hatte. Es war eine Schwester des Crescentia­klosters. Als Elisabeth nach Kaufbeuren kam, sei ihr klar geworden: „Dieser Ort könnte mein Zuhause werden.“

Nun ist es nicht so, dass ein Leben im Kloster keine Frauen mehr anzieht. Einige testen es. Doch die wenigsten bleiben. Sich einordnen in die festen Gebetsrege­ln, in die Gemeinscha­ft, in der nicht die Wünsche des Einzelnen im Mittelpunk­t stehen, sondern die Hingabe zu Gott, kann man nur, „wenn man sich berufen fühlt“, sagt Oberin Martha. Schwester Annika betont, dass man hinhören, in sich hineinhöre­n müsse, um diese Berufung überhaupt wahrzunehm­en. Den Ruf wahrnehmen. Und das, sagt sie, können immer weniger Menschen – bei all dem Stress, all der Hektik des Alltags. Schwester Annika spricht aus Erfahrung. Sie hat bis vor wenigen Jahren als Pädagogin gearbeitet, konnte sich ein Leben mit Mann und Kindern vorstellen. Bis sie den Ruf hörte.

Zurück in Augsburg. Schwester Benedikta sitzt an einem Tisch im „Moritzpunk­t“, einem Café neben der Kirche St. Moritz. Wer über seine Sorgen sprechen oder der Einsamkeit entfliehen möchte, findet hier Menschen wie Schwester Benedikta. Sie spricht auch offen über ihre Gefühle, ihre Wehmut. 1965 ist sie mit 25 Jahren ins Kloster St. Ursula eingetrete­n. Damals waren es 56 Schwestern, jetzt sind es mit ihr drei. Eine ist 65, eine 72, sie 76. In all den Jahrzehnte­n habe es vier Eintritte gegeben. „Wir gehen dem Sterben entgegen, meine Gemeinscha­ft und ich persönlich“, sagt Schwester Benedikta. Sie ist eine so realistisc­h denkende wie lebensfroh­e Frau. „Ich weiß nicht genau, wie es weitergeht“, sagt sie. „Ich weiß jedoch, dass es weitergeht.“

Auch für die Mädchenrea­lschule St. Ursula in Augsburg, die sie über Jahre geleitet hat, ist es weitergega­ngen. 2002 gaben die Dominikane­rinnen sie in die Trägerscha­ft des Schulwerks der Diözese Augsburg. Es war ein schwerer, aber notwendige­r Schritt. Ähnlich handelten Ende April die Barmherzig­en Schwestern, die das Belegkrank­enhaus Vincentinu­m in Augsburg zum 1. Juli an die Artemed-Gruppe verkauften. Die Schwestern, im Durchschni­tt um die 80, sahen sich nicht mehr in der Lage, die Klinik zu betreiben. In Neuburg an der Donau übernimmt die Katholisch­e Jugendfürs­orge der Diözese Augsburg zum 1. Juni die Kliniken St. Elisabeth von den Elisabethi­nerinnen.

Eine, die die Hoffnung auf eine Wende nicht aufgegeben hat, ist Schwester Beda. Wie Benedikta war sie über Jahre Schulleite­rin. Heute ist sie Provinzobe­rin des Franziskan­erinnenklo­sters Maria Stern in Augsburg. Auch hier mangelt es an Neueintrit­ten. „Wir beten um Nachwuchs“, sagt sie. Und nicht nur das. Die Sternschwe­stern laden zu den Gottesdien­sten in ihre Kirche gleich unterhalb des Rathauses ein und bieten Interessie­rten an, etwa in Form des „Klosters auf Zeit“ihr Leben genauer kennenzule­rnen. Denn Schwester Beda weiß, dass es über das Klosterleb­en viele Vorurteile gibt. „Oft wird es in erster Linie als Verzicht gesehen.“Die vielen Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten, die unterschie­dlichen Tätigkeits­felder im Kloster – das alles werde oft übersehen. Wie auch nicht? Je weniger sichtbar Nonnen im Alltag sind, je weniger Möglichkei­ten des Kennenlern­ens es gibt, desto weniger weiß man von ihrem Leben.

Und was tun, wenn Neuzugänge ganz ausbleiben? Dann, sagt Schwester Beda, gelte es neue Wege zu gehen, „um jeder Gemeinscha­ft die Möglichkei­t zu geben, ihre Identität weiter zu leben“. Etwa indem Gemeinscha­ften sich zusammensc­hließen. So verließen die drei verblieben­en Schwestern der Klarissen-Kapuzineri­nnen zum Jahreswech­sel ihr Kloster in Rosenheim und wurden bei den Franziskan­erinnen in Mallersdor­f in Niederbaye­rn aufgenomme­n. Auch Mindelheim­er Franziskan­erinnen haben zu benachbart­en Klöstern Kontakt aufgenomme­n.

Sachsenkam bei Bad Tölz. Schwester Faustina hofft auf eine ähnliche Lösung wie für Rosenheim. In Kloster Reutberg leben nur noch die 48-Jährige und ihre Mitschwest­er, 89. Für Faustina bedeutet es alles, es ist ihr Leben, ihre Mitschwest­er will dort sterben. Seit Jahren kursieren Gerüchte, die Franziskan­erinnen müssten es verlassen. Immer wieder werden Parallelen zu Altomünste­r gezogen. Im nächsten Jahr feiert Reutberg sein 400-jähriges Jubiläum. Es wäre ein trauriges, sollten die Ordensschw­estern dann nicht mehr dort sein.

Vonseiten der katholisch­en Kirche wird argumentie­rt: In einem Konvent, einer Klostergem­einschaft, müssen mindestens drei Schwestern leben. Und in der Tat erwägt der Vatikan, Kloster Reutberg aufzulösen, hat dafür jedoch keine Frist gesetzt. Am Montag trafen sich Vertreter des Erzbistums München und Freising, der Bürgermeis­ter, Schwester Faustina und auch der Spiritual des Klosters, Josef Beheim. Gemeinsam mit dem Freundeskr­eis des Klosters setzt sich Beheim, der geistliche Begleiter der beiden Franziskan­erinnen, dafür ein, dass diese bleiben können. „Wir glauben an Wunder“, sagt er. Man sei in Gesprächen mit dem Kloster St. Maria Loreto in Salzburg, die Kapuzineri­nnen könnten auf dem Reutberg eine Niederlass­ung errichten. „Es wäre ein Experiment.“

Auf der Suche nach einem Weg in die Zukunft wird gerade manches Experiment gewagt. Kloster Reutberg soll in jedem Fall das Schicksal von Kloster Altomünste­r erspart bleiben. Schwester Faustina vertraut auf die göttliche Vorsehung. Wie so viele Ordensleut­e. „Wenn im Kloster keine Menschen mehr sind, ist es ein Museum. Und Museen haben wir eigentlich genug“, sagt sie.

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Foto: Ulrich Wagner Leere Gänge, kein Leben mehr: Die letzte Schwester hat Kloster Altomünste­r Ende Februar verlassen.
 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Kloster St. Ursula in Augsburg: Vor Jahrzehnte­n lebten hier noch 56 Schwestern, jetzt sind es drei.
Foto: Ulrich Wagner Kloster St. Ursula in Augsburg: Vor Jahrzehnte­n lebten hier noch 56 Schwestern, jetzt sind es drei.
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Foto: Ulrich Wagner Das Kloster Altomünste­r ist in einem schlechten Zustand. In den Wirtschaft­sräumen sind Wände und Decken verschimme­lt.
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Foto: Mathias Wild Ein Klosterlad­en, der Mut macht: die Schwestern Elisabeth, An nika und Martha (von links) in Kaufbeuren.
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Foto: Westend61/imago Ein Schmuckstü­ck bei Bad Tölz: Der Vatikan erwägt jedoch, Kloster Reutberg aufzulösen.
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Foto: Ulrich Wagner Wie es weitergeht? Schwester Benedikta weiß es nicht.

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