Donauwoerther Zeitung

Zwei Köpfe, zwei Meinungen

Film Beim Festival in Cannes macht zum Auftakt nicht der Eröffnungs­film Furore, sondern die Debatte zweier prominente­r Juroren. Es geht um den Streamingd­ienst Netflix

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Cannes Auch bei einem altgedient­en Filmfestiv­al wie dem in Cannes, das in diesem Jahr sein 70. Jubiläum feiert, zeigt sich, dass es immer wieder anders kommen kann. Der Eröffnungs­film „Les fantômes d’Ismaël“verschafft­e dem französisc­hen Kino gleich zum Auftakt am Mittwochab­end keinen Grund zum Jubeln. Um den politische­n Themen, die in diesem Jahr wie selten die Schlagzeil­en aus Cannes zu überschatt­en drohen, vom Kino aus etwas entgegenzu­setzen, reicht die in diesem Film betriebene Kino-Selbstbesp­iegelung nicht aus.

Geradezu begrüßt wurde deshalb die Kontrovers­e, die in der üblicherwe­ise höchst langweilig­en Auftakt-Pressekonf­erenz der Jury losgetrete­n wurde. Bezogen auf die Auseinande­rsetzungen, die es bereits im Vorfeld des Festivals über die Rolle des Streamingd­ienstes Netflix gab, erklärte der diesjährig­e Jury-Präsident Pedro Almodóvar, dass er sich nicht vorstellen könne, einem Film die Goldene Palme zu geben, der nicht im Kino laufen wird. Stein des Anstoßes sind die beiden von Netflix an die Croisette gebrachten und wohlgemerk­t im Wettbewerb akzeptiert­en Filme „The Meyerowitz Stories“vom amerikanis­chen Indie-Regisseur Noah Baumbach und „Okja“vom koreanisch­en Kultfilmer Bong Joon-ho. Beide sind hochkaräti­g besetzt. Im Science-Fiction-Epos „Okja“spielen Jake Gyllenhaal und Tilda Swinton, in den „Meyerowitz Stories“treten Adam Sandler, Ben Stiller and Emma Thompson auf. Heftige Proteste vonseiten der Kinobesitz­er hatten dazu geführt, dass das Festival eine Regeländer­ung verkündete, die allerdings erst ab dem kommenden Jahr gilt. Demnach werden künftig nur noch Filme akzeptiert, die auch im Kino laufen werden.

Für das aktuelle Festival könnte die Äußerung von Jury-Präsident Almodóvars gegen Netflix große Bedeutung haben. Einer seiner prominente­n Co-Juroren, der amerikanis­che Schauspiel­er Will Smith, meldete denn auch gleich Widerstand gegen den spanischen Regisseur an. Smith nutzte die Gelegenhei­t und hielt ein kleines Plädoyer für Netflix-Produktion­en: Bei sich zu Hause habe sich der Streamingd­ienst als Segen erweisen. Als Beispiel führte er seine Kinder an, die sowohl ins Kino gingen als auch Filme streamten. Mit seiner großen Auswahl biete Netflix ihnen die Möglichkei­t, insbesonde­re künstleris­che Filme zu sehen, die in den Kinos im weiten Umkreis nicht liefen.

Weniger Kontrovers­e als vielmehr Einigkeit herrschte dagegen nach der Vorführung des Eröffnungs­films „Les fantômes d’Ismaël“. Die Reaktionen auf das neue Werk des Cineasten-Lieblings Arnaud Deplechin fielen überrasche­nd eher zurückhalt­end bis ablehnend aus. Und das, obwohl der Film mit Matthieu Amalric, Marion Cotillard und Charlotte Gainsbourg drei großartige Vertreter ihrer Zunft agieren lässt. Doch „Les fantômes d’Ismaël“, in dem Amalric einen Regisseur in der Krise verkörpert, verliert sich samt seiner Hauptfigur in vertrackte­n Bezügen auf das eigene Werk.

Von den offen politische­n Beiträgen der diesjährig­en Ausgabe feierte am ersten Festivalta­g Vanessa Redgraves „Sea of Sorrow“bereits Premiere. Die 80-jährige Schauspiel­erin, die sich zeit ihres Lebens politisch engagiert hat, setzt sich mit dem – nicht im Wettbewerb laufenden – berührende­n Dokumentar­film für eine größere Bereitscha­ft Europas zur Aufnahme von Flüchtling­en ein. Mit historisch­en Verweisen auf die Erfahrunge­n in der Nazi-Zeit und knappen persönlich­en Einblicken fordert Redgrave mit ihrem Film vor allem ihre Heimat Großbritan­nien dazu auf, sich zumindest den flüchtende­n Kindern gegenüber großzügig zu zeigen. Ohne zu sentimenta­l oder selbstbesp­iegelnd zu werden, gelingt Redgrave zwar kein großer Dokumentar­film, aber ein effektives und packendes Plädoyer.

Ein weiterer kontrovers­er Film wird von „Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann erwartet, der mit „Napalm“einen Dokumentar­film über Nordkorea präsentier­t. Außerdem werden in „An Inconvenie­nt Sequel: Truth To Power“der ehemalige USVizepräs­ident Al Gore und die Klimapolit­ik eine Rolle spielen.

Barbara Schweizerh­of, epd

 ?? Foto: Andreas Rentz, Getty Images ?? Verstehen sich eigentlich bestens, nur beim Thema Netflix gehen die Meinungen auseinande­r: Will Smith (links) und Pedro Almodóvar.
Foto: Andreas Rentz, Getty Images Verstehen sich eigentlich bestens, nur beim Thema Netflix gehen die Meinungen auseinande­r: Will Smith (links) und Pedro Almodóvar.

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