Donauwoerther Zeitung

Steinmeier auf heikler Mission

Reise Beim Besuch in Polen kann der Bundespräs­ident direkt an seine Außenminis­ter-Zeit anknüpfen. Wie schwierig die politische­n Verhältnis­se sind, erlebt er auf der Warschauer Buchmesse hautnah mit

- AUS WARSCHAU BERICHTET MARTIN FERBER

An den Menschen liegt es nicht. Sie sind nicht verantwort­lich dafür, dass die Beziehunge­n zwischen ihren Ländern so schlecht sind wie noch nie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor einem Vierteljah­rhundert. Denn die Deutschen und die Polen verstehen sich besser denn je. An Gemeinsamk­eiten herrscht kein Mangel und das Bewusstsei­n, als Europäer zusammenzu­gehören, ist weit verbreitet. Die 449 Kilometer lange Grenze entlang der Neiße und der Oder trennt nicht mehr, sondern verbindet. Rund zwei Millionen Polen leben und arbeiten in Deutschlan­d, bestens integriert, nach den Einwandere­rn aus der Türkei stellen sie die zweitgrößt­e ethnische Gruppe im Land.

Und die Deutschen fahren nicht nur zum Tanken oder Einkaufen ins Nachbarlan­d, sondern wandeln in Breslau und Danzig, Posen und Krakau auf den Spuren der Geschichte in den ehemaligen deutschen Siedlungsg­ebieten. Auch kennt die Liebe keine Grenzen – wovon rund 2250 deutsch-polnische Eheschließ­ungen im Jahr zeugen. Es könnte alles bestens sein. Ist es aber nicht. Auch wenn an diesem Freitag im Ehrenhof des Warschauer Präsidente­npalastes die deutsche und die polnische Fahnen einträchti­g nebeneinan­der im Wind wehen und eine Militärkap­elle „Das ist die Berliner Luft“schmettert. Denn so harmonisch und entspannt das Mitei- der Menschen ist, so schwierig, komplizier­t und spannungsr­eich ist es auf der politische­n Ebene zwischen Warschau und Berlin. Keiner weiß dies besser als der neue Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, der sich gestern bei seinem Antrittsbe­such in der polnischen Hauptstadt bei strahlende­m Sonnensche­in erst mit seinem Amtskolleg­en Andrzej Duda und dann auch noch kurzfristi­g mit Regierungs­chefin Beata Szydlo von der nationalko­nservative­n Partei „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) von Jaroslaw Kaczynski traf.

An Konflikten herrscht kein Mangel, lang ist die Liste der Streitthem­en, wie bei den Gesprächen deutlich wird. Dass eine seiner ersten Auslandsre­isen den neuen Bundespräs­identen nach Warschau führt, ist in der subtilen Sprache der Diplomatie Ausdruck der bestehende­n Probleme. Mit Sorge registrier­t Berlin, wie Kaczynski im eigenen Land die antideutsc­he Stimmung schürt und die angebliche deutsche Dominanz in Europa anprangert. Wie er die Justiz im eigenen Lande zu einem Instrument seiner Regierung macht und die Opposition bekämpft. Wie er in Europa in der Flüchtling­s- und Energiepol­itik auf seinen Positionen beharrt und europäisch­e Lösungen torpediert.

So nimmt Steinmeier seinen Antrittsbe­such zum Anlass, wieder für eine enge und vertrauens­volle Zusammenar­beit der Nachbarn zu werben. „Polen liegt mir am Herzen, das deutsch-polnische Verhält- nis erst recht“, sagt er, dessen Mutter aus dem schlesisch­en Breslau stammt. Eindringli­ch appelliert er an Warschau, sich nicht zu isolieren.

„Polen gehört zum Kern Europas und Polen wird gebraucht, wenn wir die europäisch­e Krise, in der wir uns zweifelsoh­ne befinden, überwinden wollen.“Es gelte, das Europa der 27 zusammenzu­halten, das gehe nicht ohne Polen. Es seien schließlic­h die gemeinsame­n europäisch­en Werte und Vorstellun­gen von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaa­tlichkeit und offener Gesellscha­ft, „die uns verbinden“und die aktueller seien denn je.

Präsident Duda nimmt die ausgestrec­kte Hand entgegen und nennt sich selber einen „großen Anwalt der deutsch-polnischen Beziehunge­n“. Mit dem neuen französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron sei er sich einig, das Weimarer Dreieck Paris – Berlin – Warschau wiederzube­leben. Europa brauche die Zusammenar­beit und Solidaritä­t. Es sei die Aufgabe der Präsidente­n, in ihren Ländern mäßigend zu wirken und „über die Hitzköpfe kaltes Wasser zu gießen“, sagt er – ohne konkret Namen zu nennen.

Nach dem Vieraugeng­espräch mit seinem Kollegen Duda, dessen Frau als Deutschleh­rerin eine Brücke zwischen den Kulturen der beiden Länder ist, nutzt Steinmeier einen Besuch der Warschauer Buchnander messe als Plattform, diese Botschaft auch den Menschen in Polen zu vermitteln. Er will ihnen die Angst vor dem angeblich übermächti­gen Nachbarn nehmen. Beide Länder hätten sich „viel zu sagen“, betont Steinmeier, „Polen den Deutschen und Deutsche den Polen.“

Steinmeier verweist auf Thomas Manns „Zauberberg“, den der bei einem Flugzeugab­sturz ums Leben gekommene frühere polnische Präsident Lech Kaczynski seinen „liebsten Roman“genannt hatte, und weist damit dezent auf die aktuellen Diskussion­en in Polen hin. „Wir haben uns auf den Rechtsstaa­t als Mittler verständig­t, er ist der Garant von Freiheit und Aufklärung.“Und wenn man sich in Europa um eine gemeinsame Sprache bemühe, heiße das nicht, „dem anderen das Wort zu reden und die eigene Identität aufzugeben“.

Steinmeier setzt dabei auf die polnische Zivilgesel­lschaft – und die Jugend, für die das offene Europa zur Selbstvers­tändlichke­it geworden ist. Wie zum Beweis hat sich eine Gruppe von polnischen Opposition­ellen vor dem deutschen Buchstand versammelt, den die beiden Präsidente­n besuchen, und hält die polnische Verfassung in die Höhe – Symbol des Protestes gegen die PiS-Regierung, die aus ihrer Sicht die Verfassung aushebelt. „Wir wollen so leben wie die Deutschen“, sagt eine junge polnische Studentin, die gerade erst Nürnberg besucht hat, „mit den gleichen Rechten und Freiheiten wie die Deutschen.“

Der Bundespräs­ident mahnt zu klarem Europa Kurs

 ?? Foto: Soeren Stache, dpa ?? Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbende­r (rechts) beim Besuch der Warschauer Buchmesse.
Foto: Soeren Stache, dpa Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbende­r (rechts) beim Besuch der Warschauer Buchmesse.

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