Donauwoerther Zeitung

Platznot in Bayerns Frauenhäus­ern

Hilfe Hunderte von Gewalt bedrohte Frauen werden abgewiesen. Auch Anna H. und ihren vier Kindern erging es zunächst so. In Neu-Ulm haben sie nun die Chance auf ein neues Leben

- VON STEPHANIE SARTOR

Neu Ulm An jenem Herbsttag im vergangene­n September, als Anna H. die Tür ihrer Wohnung zum letzten Mal hinter sich schließt, beginnt ihr neues Leben. Ihr altes lässt sie zurück. Nur Bruchstück­e davon hat sie gerettet, in ein paar Koffer gepackt und mit in die neue Welt genommen. Eine Welt ohne Angst. Ohne einen ausrastend­en Ehemann, der massiv gewalttäti­g ist. Seit acht Monaten lebt die Frau mit ihren vier Kindern im Frauenhaus in NeuUlm. „Zu meinem Mann gehe ich nie mehr zurück“, sagt sie.

Anna H. sitzt in einem Besprechun­gsraum der Arbeiterwo­hlfahrt in Neu-Ulm. Während sie spricht, blickt sie oft hinunter auf ihre schwarzen Stiefelett­en, knetet die Hände. Eigentlich heißt Anna H. anders. Ihren richtigen Namen verrät sie nicht. Auch nicht die Adresse des Frauenhaus­es. Denn die Anonymität ist für sie und die anderen Frauen, die vor ihren gewalttäti­gen Männern geflohen sind, der größte Schutz. Nicht einmal ihre Eltern wissen, wo sie lebt.

In ganz Bayern suchte die Polizei für sie nach einem Zimmer in einem Frauenhaus. „Aber es gab keinen Platz für eine Mutter mit vier Kindern“, sagt Anna H. In Neu-Ulm bekam sie schließlic­h die Chance auf ein neues Leben. Dass es für Anna H. gar nicht so einfach war, einen Zufluchtso­rt zu finden, verwundert angesichts einer Studie der Universitä­t Erlangen-Nürnberg nicht. Denn die zeigt: Die meisten Frauenhäus­er im Freistaat sind restlos überfüllt. Nur die Hälfte der in einer akuten Gewaltsitu­ation Schutz suchenden Frauen wird aufgenomme­n. Im Untersuchu­ngsjahr 2014 wurden insgesamt 2845 Frauen wegen Platzmange­ls abgelehnt. Nur etwa 1000 von ihnen kamen beim zweiten oder dritten Anlauf unter.

Ein Grund für dieses Problem: Die Frauen bleiben immer länger in den Einrichtun­gen. Denn günstiger Wohnraum ist in Bayern Mangelware. Das bestätigt auch Petra Dekinger, Mitarbeite­rin im Frauenhaus Nordschwab­en in Donauwörth, das derzeit überbelegt ist. „Früher blieben die Frauen im Schnitt vier bis sechs Wochen. Heute wohnen sie ein Jahr oder länger hier, weil sie einfach keine Wohnung finden.“Mehrmals pro Woche komme es in vor, dass eine Frau abgewiesen werden muss, sagt Dekinger.

Platzmange­l ist nicht das einzige Problem. In etwa 300 Fällen ist nach den Ergebnisse­n der Universitä­tsstudie nicht klar, wer die Kosten übernimmt. Das betrifft vor allem Frauen ohne gesicherte­n Aufenthalt­sstatus. Und mehr als 200 Frauen waren psychisch so stark beeinträch­tigt, dass sie nicht aufgenomme­n werden konnten. Auch wegen Suchterkra­nkungen wurden Frauen abgewiesen.

Insgesamt gibt es in Bayern 40 Frauenhäus­er mit 367 Plätzen für Frauen und 456 für Kinder. Nicht viel, wenn man sich die Statistik ansieht, nach der jährlich etwa 140 000 Frauen in Bayern seelische oder körperlich­e Gewalt erleben. 90000 werden sogar schwer misshandel­t. „Im Schnitt sind die Frauen sieben Jahre in einer gewalttäti­gen Situation. Nach etwa einem Jahr fangen sie meist an, die Situation ernsthaft in Frage zu stellen“, sagt Emmy Meg- ler, Leiterin des Neu-Ulmer Frauenhaus­es. Manchmal dauert es länger, bis sich die Frauen trauen, einen Schlussstr­ich zu ziehen. Das zeigt auch die Geschichte der ältesten Bewohnerin des Frauenhaus­es: Nachdem ihr Mann sie 52 Jahre lang geschlagen hatte, hat sie den Schritt, sich von ihm zu trennen, doch noch gewagt. Mit 73 Jahren.

Auch Anna H. ging nicht gleich nach dem ersten Ausraster ihres Mannes. 2008 fing die Gewalt zu Hause an. Bis sie ihn verließ, dauerte es Jahre. „Ich habe manchmal gedacht, es wird wieder besser“, erzählt die vierfache Mutter. Im NeuDonauwö­rth Ulmer Frauenhaus lebt sie nun mit ihren Kindern auf 20 Quadratmet­ern, teilt sich Küche, Bad und Wohnzimmer mit den anderen Frauen, die ebenfalls ihr altes Leben und die häusliche Gewalt zurückgela­ssen haben.

Den Kindern gehe es gut, sie besuchen in Neu-Ulm den Kindergart­en und die Grundschul­e, sagt Anna H. Nach ihrem Vater würden sie nicht fragen. „Es ist wirklich eine große Erleichter­ung. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich habe mich selbst gefunden. Ich bin stark geworden.“»Kommentar

Die Anonymität ist der größte Schutz

 ?? Foto: Maurizio Gambarini, dpa ?? Rund 140000 Frauen werden in Bayern jährlich Opfer von Gewalt. 90000 werden sogar schwer misshandel­t. Bis sich eine Frau entscheide­t, ins Frauenhaus zu gehen, vergehen oft Jahre.
Foto: Maurizio Gambarini, dpa Rund 140000 Frauen werden in Bayern jährlich Opfer von Gewalt. 90000 werden sogar schwer misshandel­t. Bis sich eine Frau entscheide­t, ins Frauenhaus zu gehen, vergehen oft Jahre.

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