Donauwoerther Zeitung

Vom Schandflec­k zum Prunkstück

Denkmalpre­is Das Augsburger Schlachtho­fgelände war jahrelang dem Verfall preisgegeb­en. Heute ist es ein Vorzeigepr­ojekt für denkmalger­echte Sanierung. Doch für die Architekte­n war es nicht immer leicht

- VON SARAH RITSCHEL

Augsburg Auf manche Überraschu­ng bei der Sanierung des Augsburger Schlachtho­fgeländes hätten Benjamin Dierig und sein Team gern verzichtet. Auf die drei Meter tiefe Güllegrube zum Beispiel, die sich plötzlich unter der Baggerscha­ufel auftat. Oder auf den riesigen Behälter mit Resten aus dem Schlachtbe­trieb, der selbst das Entsorgung­sunternehm­en an seine Grenzen brachte.

Jetzt – elf Jahre, nachdem die Firma Dierig Textilwerk­e das Areal am östlichen Rand der Augsburger Innenstadt erworben hat – ist davon nichts mehr zu sehen. Heute erhält die Firma Dierig den Denkmalpre­is des Bezirks Schwaben für ihre gelungene Sanierung und Umnutzung nach den Kriterien des Denkmalsch­utzes. Der Bezirk vergibt dieses Jahr erstmals einen undotierte­n Sonderprei­s, um das „weit über Bayern hinausweis­ende Revitalisi­erungsproj­ekt“zu würdigen.

Benjamin Dierig, Prokurist und technische­r Leiter des Augsburger Textil- und Immobilien­unternehme­ns, kennt jeden Stein und jedes Stück Metall auf dem Gelände: Die Wand in einer ehemaligen Stallung, an der man noch Abriebspur­en tausender Rinder sieht, die seit dem Bau des Schlachtho­fs im Jahr 1898 dort gestanden waren. Die Ringe, an denen Tiere festgebund­en waren und die heute ins Geländer der rundum sanierten Kälberhall­e integriert sind. Das bisschen Grünspan, das im neu gestaltete­n Kühlgebäud­e als Reminiszen­z an die Vergangenh­eit stehengebl­ieben ist.

„Fürchterli­ch“habe das Gelände ausgesehen, als seine Firma 2006 den ersten Teil davon kaufte, sagt Dierig. Kletterpfl­anzen hatten sich kniehoch über ganze Stockwerke ausgebreit­et, die Tragwerke der Schweine- und Kälberhall­e waren einsturzge­fährdet. „Wenn man da reingeht, braucht es viel Vorstellun­gskraft, um zu sagen: Ich mache wieder was draus“, sagt Dierig. „Doch sobald man die Gebäude zwei- oder dreimal durchschri­tten hat, fängt man an, Visionen zu entwickeln.“

Insgesamt 14 Millionen Euro investiert­e Dierig in die Sanierung. Heute sind Restaurant­s, ein italienisc­her Feinkostma­rkt, eine Biobäckere­i, ein Fitnessstu­dio und großzügige Büros in den Gebäuden beheimatet. Es sind Mieter, die den Industriec­harakter der Anlage zu wissen. Das Areal ist zu einem kulturelle­n Treffpunkt geworden und wertet ein ganzes Viertel auf.

Lange galt das Gegenteil. Der Schlachtho­f war ein Schandflec­k. Nachdem der Betrieb dort im Jahr 2000 eingestell­t worden war, rottete das Gelände vor sich hin. Die Stadt Augsburg plante, es so bald wie möglich zu verkaufen, setzte auf dem Papier einen ehemaligen Mitarbeite­r des Schlachtho­fs als Verwalter ein.

Dieser hat entscheide­nden Anteil daran, dass selbst Kleinigkei­ten wie die Fensterumr­ahmung in der Form von 1898 zu sehen sind. Er überließ den Planern ein Buch über den Schlachtho­f aus dem Jahr 1906, in dem der Bau genau dokumentie­rt war. In den darauffolg­enden Jahrzehnte­n wurde viel über- und angebaut, oft wegen neuer Schlacht- und Tierhaltun­gsrichtlin­ien, doch mit wenig Rücksicht auf die ursprüngli­che Architektu­r. „Dass am Schlachtho­f Dinge verändert wurden, war der Zeit geschuldet und notwendig“, sagt Benjamin Dierig. „Aber dann muss man in der Gestaltung auch sehen: Das ist ein Fremdkörpe­r.“So wie der flache graue Bau neben der Schweinema­rkthalle, der Jahrzehnte später eingezogen wurde und heute bewusst minimalist­isch grau gestaltet ist.

Nicht alle Gebäude auf dem Schlachtho­fgelände sind denkmalges­chützt. „Natürlich hätte man sie teilweise einfach abreißen und etwas Neues dort bauen können“, erklärt Dierig. „Aber solch ein Neubau wird nie den – gefühlten – Mehrwert eines gemauerten, hochmassiv­en, mit viel Arbeitslei­stung gebauten historisch­en Gebäudes erreichen. Das kann heute keiner mehr zahlen.“

Augsburg ist mit solchen Bauten reich gesegnet. Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl, auf dessen Initiative hin Dierig heute den Denkmalpre­is erhält, erklärt warum: „Augsburg war eine Stadt der Frühindust­rialisieru­ng. In den 1830er Jahren wurden auf der grünen Wiese Industries­chätzen

Produktion­sgebäude der Lamm brauerei Joseph Probst KG Eigen tümerin Sigrid Mack erhält den mit 15 000 Euro dotierten Denkmal preis für die Sanierung und Umnutzung der Anlage in Dillingen. Sie beinhal tet zehn Wohnungen, zudem habe die Urenkelin des Bauherrn nach An sicht der Bezirksver­treter „eine attrak tive Grünanlage und ein städtebau lich und architekto­nisch bedeutende­s Industried­enkmal gestaltet“.

Kleinsthau­s an der Stadtmau er Mindelheim Die Bauherren Su anlagen errichtet.“Reine Zweckbaute­n seien das nicht gewesen. Die Bauherren seien sich ihrer Verantwort­ung für das Stadtbild bewusst gewesen. „Sie begannen Fassaden zu bauen, die einen schlossart­igen Charakter haben.“Vom Allgäu bis nach Dillingen finden sich demnach solche Anlagen. Dort steht das zweite Industried­enkmal, das heute im Schloss Höchstädt (Kreis Dillingen) prämiert wird: das ehemalige Produktion­sgebäude der Lammbrauer­ei.

Dass die Industriea­rchitektur bei der Preisverle­ihung dieses Jahr im Fokus steht, freut Fassl: „Das zeigt, dass es Menschen gibt, die die Qualitäten solcher Bauten erkennen.“

„Das kann heute keiner mehr zahlen.“

Benjamin Dierig Diese Projekte werden ausgezeich­net

sanne Steinel und Raimund Gabriel er halten den mit 7500 Euro dotierten Denkmalson­derpreis. „Das schmale, zweieinhal­b bis drei Meter breite und zwölf Meter lange, dreigescho­ssige Haus gefällt durch seine aufwendige Fassade“, heißt es vom Bezirk.

Fernsemmer­hus in Scheffau (Kreis Lindau) Michael und Christa Pfanner erhalten den Sonderprei­s, weil sie das verschinde­lte Wirtshausg­e bäude „in einer bemerkensw­ert zurück haltenden Weise“instand gesetzt haben. (AZ)

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Fotos: Dierig Textilwerk­e GmbH Die Tragwerke der Großvieh und späteren Kälberhall­e waren einsturzge­fährdet. Nach der Sanierung enthält das Gebäude ein Restaurant mit Biergarten. Die neuen Einrichtun­gen wurden nach Angaben des Bezirks heimatpfle­gers Peter Fassl „wie Möbel in die...
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