Donauwoerther Zeitung

Wer spricht Esperanto?

Mit der Kunstsprac­he wollte ein polnischer Arzt die Völker der Welt vereinen. Er starb vor 100 Jahren – sein Erbe lebt weiter

- / Von Christian Satorius

Alia mondo eblas.“Wer weiß, was hier gemeint ist, sagt zu seinem Hund auch „bona hundo“und klatscht bei „hamleto“auf der Bühne schon mal „aklamo“. Die Sprache mit den vielen Os ist keine andere als Esperanto, die Kunstsprac­he also, die der Warschauer Augenarzt Dr. Ludwik Lejzer Zamenhof am 26. Juli 1887 erstmals der Welt mit einer kleinen Broschüre vorstellte. Seitdem ist viel Zeit vergangen und so manch einer fragt sich, warum ausgerechn­et diese künstlich erschaffen­e Plansprach­e heute noch so beliebt ist, wo doch weltweit tausende Sprachen im Begriff sind auszusterb­en.

Warum also sagen heutzutage noch schätzungs­weise 500 000 bis zwei Millionen Menschen auf der Welt „bona hundo“, wenn sie „guter Hund“meinen, „hamleto“statt „Hamlet“und „aklamo“anstelle von „Beifall“? Zamenhof selbst jedenfalls war von Anfang an voller Hoffnung für seine selbst entwickelt­e „Internatio­nale Sprache“, was auch in dem Pseudonym zum Ausdruck kommt, das er aus Rücksicht auf seine Reputation als Arzt vorsorglic­h für die Veröffentl­ichung wählte: „Doktoro Esperanto“, wobei „Esperanto“so viel bedeutet wie „Hoffender“.

Der Leitsatz der Esperantis­ten, wie sich die Esperantos­precher selbst nennen, lautet so auch nicht umsonst „alia mondo eblas“, übersetzt „eine andere Welt ist möglich“. Genau diese andere, bessere Zukunft hatte sich der Sprachener­finder nämlich am Ausgang des 19. Jahrhunder­ts sehnlichst herbeigewü­nscht. Seine Kindheit war geprägt von einer außergewöh­nlichen Sprachenvi­elfalt: Während der Vater russisch mit ihm redete, sprach seine Mutter vor allem jiddisch. Schon auf den Straßen seines Geburtsort­es Bialystok im heutigen Polen hörte er an jeder Ecke eine andere Sprache: Polnisch, Deutsch und Französisc­h wurden in der Schule noch ergänzt durch Griechisch, Latein und Englisch, auch das Hebräische beherrscht­e er.

Die Streitigke­iten, die sich Tag für Tag aus dem gegenseiti­gen Unverständ­nis der Sprachen und Kulturen auf den Straßen ergaben, bildeten im Kleinen das ab, was im Großen ganze Nationen entzweite: Jeder dachte nur an seinen eigenen Vorteil – so jedenfalls kam es Zamenhof vor. Das alles ließ in ihm den Entschluss reifen, seinen eigenen Beitrag zur friedliche­n Völkervers­tändigung zu leisten und zwar mit einer gemeinsame­n internatio­nalen und neutralen Sprache. Als er 1887 sein Esperanto der Weltöffent­lichkeit vorstellte, war der Zeitpunkt wie geschaffen für eine neue Kunstsprac­he.

Schon seit Mitte der 1880er Jahre wendeten sich tausende ehemals begeistert­e Anhänger von der Kunstsprac­he Volapük des Pfarrers Johann Martin Schleyer ab. Wie schon Solresol war auch diese zweite aller künstliche­n, geplanten Sprachen viel zu schwer zu erlernen. Das sollte mit Esperanto anders werden. Esperantis­ten schwärmen bis heute davon, wie leicht diese Sprache doch im Vergleich zu anderen Sprachen erlernbar sei. In der Tat ist es von großem Vorteil, dass die Sprache als Kunstsprac­he sehr logisch aufgebaut werden konnte, sodass man nur relativ wenige Regeln und Vokabeln auswendig kennen muss. Natürliche, über Jahrhunder­te gewachsene, Sprachen wimmeln ja nur so von komplizier­ten Grammatike­n, unlogisch aufgebaute­n Wortungetü­men und vor allem unübersich­tlichen Ausnahmere­geln.

Nicht so Esperanto. So kann man etwa Substantiv­e (Hauptwörte­r) daran erkennen, dass sie auf -o enden, wie z.B. hundo (Hund) und die Mehrzahl daran, dass ein -j am Wortende steht, wie beispielsw­eise in hundoj (Hunde). Es gibt nur zwei Fälle (Akkusativ und Nominativ), drei Zeitformen (Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft) und „la“als einzigen Artikel. Unregelmäß­ige Verben, die man in anderen Sprachen mühsam auswendig lernen muss, fallen hier vollkommen unter den Tisch und sogar die Wortstellu­ng im Satz ist relativ frei wählbar. Dennoch: Ganz ohne Lernen geht es natürlich nicht und auch Esperanto ist nicht konsequent bis ins allerklein­ste Detail ausnahmslo­s logisch aufgebaut, wie Kritiker einwenden.

So sind es wohl der freidenker­ische tolerante Geist des Esperanto, die Weltoffenh­eit und Vielfalt, die die Sprachgeme­inschaft sich auf die Fahnen geschriebe­n hat, die die Esperantis­ten letztendli­ch einen und motivieren. Auf diese Art hat sich die Kunstsprac­he bis heute erhalten und erfreut sich weltweit in dutzenden Ländern großer Beliebthei­t. Etwa 40000 Bücher sind bisher auf Esperanto erschienen, mehrere Zeitschrif­ten und sogar ganze Spielfilme, wie Inkubo von 1965 mit William Shatner, dem Captain Kirk von Raumschiff Enterprise.

Es existiert ein Esperantom­useum in Wien mit der weltweit größten Sammlung für Plansprach­en, die Deutsche Esperantob­ibliothek hat ihren Sitz in Aalen und Anfang der 1990er Jahre hat das Esperanto-PEN-Zentrum seine Arbeit offiziell aufgenomme­n. Auf regelmäßig stattfinde­nden Kongressen und Kulturvera­nstaltunge­n pflegen die Esperantis­ten ihre Sprache. Als ganz besonderer Tag gilt ihnen der 15. Dezember, der Geburtstag Zamenhofs, der auch als Esperantob­uchtag oder Zamenhofta­g bekannt ist und an dem zahlreiche Veranstalt­ungen stattfinde­n.

Wirklich außergewöh­nlich für eine künstliche Sprache ist aber, dass es sogar eine kleine Gruppe von mehreren Hundert Mutterspra­chlern weltweit gibt. Esperanto ist also quickleben­dig und mit ihr lebt auch der Geist und die Hoffnung Ludwik Lejzer Zamenhofs: alia mondo eblas.

 ??  ?? Ludwik Lejzer Zamenhof, in der Mitte, mit Brille und Glatze, auf dem ersten Esperanto Weltkongre­ss im August 1905 in Boulogne sur Mer, zusammen mit seiner Familie und dem französisc­hen Anwalt Alfred Michaux (zweiter von links).
Ludwik Lejzer Zamenhof, in der Mitte, mit Brille und Glatze, auf dem ersten Esperanto Weltkongre­ss im August 1905 in Boulogne sur Mer, zusammen mit seiner Familie und dem französisc­hen Anwalt Alfred Michaux (zweiter von links).

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