Donauwoerther Zeitung

In Zukunft mit Gefühl

Roboter können erstaunlic­he Dinge. Doch unser Tastsinn ist ihnen noch überlegen. Warum sich das bald ändern könnte – und was das heißt

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Wenn man spontan die menschlich­en Sinne nach ihrer Bedeutung für das tägliche Leben ordnen müsste, käme er wohl nicht an erster Stelle: unser Tastsinn. Dabei wäre unser Leben ohne ihn gar nicht möglich. Kein Mensch kommt ohne Tastsinn auf die Welt, sogar bei Embryos in einer ganz frühen Entwicklun­gsphase kann man ihn nachweisen. Dem Tastsinn verdanken wir entwicklun­gspsycholo­gisch so bedeutsame Dinge wie die Erkenntnis, wo unser Körper aufhört und die Umwelt beginnt. Darüber denkt man im Alltag nicht nach, wenn man seine Katze streichelt oder mit einem Druck auf einen Pfirsich prüft, ob er schon reif ist. Blinde können mittels der Braillesch­rift Text lesen. Wenn wir den Wind auf der Haut spüren, wissen wir, dass wir besser eine Jacke anziehen, um nicht krank zu werden. Ständig verarbeite­n wir eine riesige Menge an taktilen Informatio­nen – ohne sie wären wir ziemlich hilflos.

Forscher wollen nun auch Computern und Robotern zu einer haptischen Wahrnehmun­g verhelfen. Dadurch sollen sie eine größere Zahl von Aufgaben erledigen können. Vor allem aber soll dies helfen, die Interaktio­n von Mensch und Maschine einfacher und intuitiver zu gestalten. Eine der weltweit führenden Wissenscha­ftlerinnen auf diesem Gebiet ist die Amerikaner­in Katherine J. Kuchenbeck­er, die seit wenigen Wochen als Direktorin am Max-Planck-Institut für Intelligen­te Systeme in Stuttgart forscht.

In einem Vortrag vor der Royal Society, der im Internet abrufbar ist, zeigt sie das Video eines berühmten Experiment­s aus den 70er Jahren: Eine Frau, der für diesen Versuch drei Finger der rechten Hand betäubt wurden, sollte mit dieser Hand ein Streichhol­z aus einer offenen Packung nehmen und es an der fixierten Schachtel anreißen. Sie fingert umständlic­h in der Schachtel herum, mehrmals fällt ihr das Hölzchen aus der Hand. Es dauert, bis sie es in der richtigen Position hält – aber sie schafft es letztendli­ch doch. Das Experiment zeigt sehr plastisch die Bedeutung des Tastsinns. Und, so sagt es Kuchenbeck­er, es zeigt, warum auch Roboter so viel besser sein könnten, wenn sie einen Tastsinn bekommen.

Rund zehn Jahre lang hat Kuchenbeck­er an der Universitä­t von Pennsylvan­ia in Philadelph­ia genau daran gearbeitet. Eines der Projekte, das sie dort entwickelt­e, hat sie nun auch nach Stuttgart begleitet. Kuchenbeck­er arbeitet an roboterunt­erstützten Operations­systemen, wie sie längst in vielen Kliniken eingesetzt werden. Solche Systeme erlauben schonende, minimal-invasive Eingriffe. Der Chirurg ist weiterhin im OP. Er steht aber nicht am OP-Tisch, sondern sitzt vor einem Schirm und blickt auf ein 3D-Bild der Operations­stelle. Mittels Handsteuer­ung und Datenleitu­ng fernsteuer­t er seine Werkzeuge, die am Patienten schneiden, nähen oder schaben. Das Problem: Bislang hat der Chirurg keine haptische Rückmeldun­g, er sieht nur, spürt aber nicht, wenn er zu tief schneidet oder auf wie viel Widerstand im Gewebe er stößt. Da setzt Kuchenbeck­ers Team an. Ihr Ziel: die Maschinen um haptische Komponente­n zu erweitern, um das Operieren präziser und leichter erlernbar zu machen.

In ihrem neuen, noch etwas leeren Labor in Stuttgart zeigt Kuchenbeck­ers Mitarbeite­r Gunhyuk Park die neueste Entwicklun­gsstufe der Technik. Mittels Bewegungss­ensoren und Motoren – Bauteilen, die seit der Smartphone-Revolution viel besser und günstiger geworden sind – kann der Operations­roboter dem Chirurgen nun haptische und akustische Rückmeldun­gen geben. Unter Parks Anleitung darf man sogar selbst Chirurg spielen und die Greifer, die in der aktuellen Konfigurat­ion an den Roboterarm­en montiert sind, bewegen.

Der Kopf muss tief in eine Art Haube geschoben werden, bis man mit der Stirn an eine Vertiefung stößt. Auf einem Schirm sieht man dreidimens­ional vor sich die Zangen – die in Wirklichke­it über einem kleinen Tisch hinter dem Operateurs­platz schweben – sowie eine Art Mininagelb­rett mit bunten Plastikfor­men, die man mit den Greifern packen und von einem Nagel auf den anderen bugsieren kann. Auch ein kleines Metallgitt­er liegt da, das man mit etwas Übung von der einen in die andere Zange geben kann. Sogar als Anfänger hat man den Dreh schnell raus, nur ab und zu stößt man irgendwo gegen – und hört dann ein Schaben oder Scheppern. Zusammen mit den Vibratione­n und den Widerständ­en, die man von der Handsteuer­ung bekommt, fühlt sich das tatsächlic­h so an als hätte man die Instrument­e selbst in der Hand.

Ist das also die Zukunft des Operierens? Sitzt bald irgendwo in einem Niedrigloh­nland ein Operateur, der über Internet am Fließband Blinddärme und Tumore herausschn­eidet? „Das ist nicht unser Ziel und das würde momentan auch nicht funktionie­ren, da die Verzögerun­gen bei der Datenweite­rleitung noch viel zu groß sind“, sagt Park. Prinzipiel­l ausschließ­en will er so ein Szenario aber nicht. Vor allem aber könnten Roboter so lernen, irgendwann selbst zu operieren…

Die Medizintec­hnik ist nur eines der Gebiete, auf denen Kuchenbeck­er forscht. Ihre Pläne für die Roboter der Zukunft gehen viel weiter. Sie präsentier­t sie am Ende des Vortrags vor der Royal Society: Allein durch das Anschauen von Bildern haben wir eine Vorstellun­g davon, wie sich die Dinge in der echten Umwelt anfühlen. Wenn wir ein Ei sehen, wissen wir, wir dürfen beim Greifen nicht zu fest zudrücken. Wenn wir Glatteis sehen, wissen wir, wir müssen vorsichtig laufen. Roboter können auf Bildern nur Formen und Farben wahrnehmen. Bislang. Aber die Forscher tasten sich voran. Matthias Zimmermann

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Screenshot: Skinmotion/Youtube
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Foto: MPI für Intelli gente Systeme/Ku chenbecker Katherine J. Ku chenbecker an ih rem digitalen OP Tisch. Im Hinter grund die Robo terarme mit den ferngesteu­erten Instrument­en.
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