Tschechischer Vize Regierungschef besucht Sudetentag
Interview Für den Sprecher der Landsmannschaft, Bernd Posselt, ist die Zusage von Belobrádek Zeichen der Verständigung
Welche Akzente setzt der Sudetendeutsche Tag, der am 3. Juni in Augsburg beginnt? Die Versöhnung und Zusammenarbeit mit Tschechien ist für Sie auch ein persönliches Anliegen. Bernd Posselt: Das ist in der Tat so. Für mich brachte der Sudetendeutsche Tag 2016 in Nürnberg einen Durchbruch. Dort gab es eine Premiere: Der tschechische Kulturminister Daniel Herman trat offiziell auf und verurteilte die Vertreibung mit klaren Worten. Das war etwas Besonderes. Man darf ja nicht vergessen, dass Politiker aus der Tschechischen Republik, die an einem Sudetendeutschen Tag teilnehmen, in ihrer Heimat noch immer mit scharfer Kritik rechnen müssen. Kommunalpolitiker und Gruppen aus Neudeck oder Reichenberg kommen schon seit Jahren zu unseren Veranstaltungen.
Wie geht es in diesem Jahr in Augsburg weiter? Posselt: Ich bin sehr erfreut, dass sich in diesem Jahr eine Verstetigung dieses Prozesses abzeichnet. In Augsburg nehmen mehrere hochrangige Politiker aus der Tschechischen Republik teil. Darunter der stellvertretende Premierminister und Parteivorsitzende der Christdemokraten, Pavel Belobrádek. Damit dürfte klar sein, dass der Auftritt Hermans in Nürnberg keine Eintagsfliege gewesen ist. Die Zusage Belobrádeks ist umso bemerkenswerter, da es in der Tschechischen Republik nach einer Krise innerhalb der Regierung des Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka im Herbst Neuwahlen gibt. Das ist ein mutiges Zeichen der Verständigung. Im Herzen Europas wächst endlich wieder zusammen, was jahrhundertelang zusammengehörte.
Es gibt ein Thema, das alle Vertriebenenverbände beschäftigt: Wie steht es um den Nachwuchs bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft? Posselt: Wir sind eigentlich sehr zufrieden. Zwei Drittel der Delegierten, die zu der letzten Bundesversammlung im hessischen Landtag kamen, haben die Vertreibung persönlich nicht mehr miterlebt. Wir arbeiten gerade an der Erstellung einer zentralen Mitgliederkartei. Natürlich haben wir deutlich weniger Mitglieder als noch vor 20 oder gar 30 Jahren. Wir wissen aber, dass sich tausende junge Mitglieder in der Landsmannschaft engagieren.
Wie verändert sich die Organisation, wenn die Zahl derjenigen, die noch persönlich von der Vertreibung betroffen waren, immer geringer wird? Posselt: Das ändert natürlich einiges. Auch für mich persönlich. Ich bin der erste Posselt in unserer 800-jährigen Familiengeschichte, der in Deutschland geboren wurde. Natürlich war der schlimme Akt der Vertreibung für viele Betroffene traumatisierend. Dennoch ist die Vertreibung für mich nur ein Teil unserer Geschichte. Auch die vielen hundert Jahre davor und die Jahrzehnte danach sind für mich spannend. Es geht um die Bewahrung der eigenen Identität und Kultur.
In der Landsmannschaft schwelt seit vielen Monaten ein Streit über die Satzungsänderung, nach der das Ziel, die alte Heimat wiederzugewinnen, aufgegeben wird. Wie ist der Stand? Posselt: Über die Veränderung der Satzung wurde zweimal in der Bundesversammlung abgestimmt. Zweimal gab es eine klare Mehrheit, zuletzt waren es 72 Prozent. Dagegen wurde von einer kleinen Gruppe mit formaljuristischen Argumenten geklagt. Wir müssen abwarten, wie die Gerichte entscheiden. Viel zu wenige wissen zudem, dass die Bundesversammlung auch eine Grundsatzerklärung verabschiedet hat, in der die Gründe für die Satzungsänderung detailliert ausgeführt werden. Ich sage ganz klar: Eine „Wiedergewinnung“der Heimat ist Unfug. Wir machen Schluss damit.
Heftige Kritik an der Satzungsänderung kam nicht zuletzt vom rechtsgerichteten Witikobund. Wie ist derzeit das Verhältnis zu der Gruppe? Posselt: Die Beziehungen sind offiziell suspendiert. Der Witikobund wird jetzt beim Sudetendeutschen Tag weder einen Stand betreiben noch Veranstaltungen anbieten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Der Witikobund hat Reichsbürger in seinen Publikationen zu Wort kommen lassen. Auch gibt es Kontakte zur Pegida. Wir recherchieren zurzeit, ob es auch Verbindungen zur Identitären Bewegung gibt. Der Witikobund hat die Wahl: Entweder er räumt in seinen Reihen auf oder er muss sich fernhalten.
Wie laufen die Arbeiten am großen Museum im Sudetendeutschen Haus in München-Haidhausen? Es geht ja immerhin um ein 30-Millionen-EuroProjekt auf einer Fläche von 1500 Quadratmetern. Posselt: Es läuft sehr gut. Wir gehen davon aus, dass das Haus Mitte
„Ich sage ganz klar: Eine ,Wiedergewinnung‘ der Heimat ist Unfug. Wir machen Schluss damit.“
Bernd Posselt
nächsten Jahres eröffnet werden kann. Da entsteht in einem architektonisch interessanten Gebäude ein modernes Museum mit einer erstklassigen Sammlung. Das wird ganz großartig.
Interview: Simon Kaminski
Bernd Posselt, geboren 1956 als Sohn sudetendeutsch steirischer El tern, ist Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft. In den 1970er Jah ren arbeitete er als Zeitungsredakteur bei den „Badischen Neuesten Nachrich ten“. Der CSU Politiker war von 1994 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parla ments. Posselt ist auch Präsident der Pan europa Union Deutschland.