Sind Kinder nur Problemverursacher?
Zeitgeist Filme, in denen junge Protagonisten die Hauptrolle spielen, gibt es nur selten. Warum Medienexperten darin ein Indiz für eine kinderfeindliche TV-Welt sehen
Seit sich die Mehrzahl der TV-Sender an immer speziellere Ziel- und Altersgruppen richtet, hat das Fernsehen als „Lagerfeuer der Nation“ausgedient. Allenfalls der „Tatort“oder Sport-Großveranstaltungen gelingt es noch, so etwas wie Lagerfeuer-Atmosphäre zu verbreiten. Ein Gemeinschaftsgefühl, zu dem auch gehört, dass man am Tag nach der Ausstrahlung darüber spricht, was man gesehen hat. Früher tat man das – nach jeder „Wetten, dass ...?“-Folge.
Das Erlöschen des TV-Lagerfeuers hat einen Nebeneffekt. Kinder unter zwölf Jahren, kritisieren Medienexperten, kämen deshalb im Abendprogramm kaum noch vor; und wenn doch, dann nur als „Little Big Stars“in der gleichnamigen Sat.1-Show mit Thomas Gottschalk. In der sollten Kinder kürzlich zeigen, was sie können. Ohne Druck. Ein Gegenentwurf zu all den Castingshows mit ihren strengen, teils hämischen Juroren. Klingt nach einem guten Konzept; es funktionierte allerdings nicht. Eine Kritikerin vom stern schrieb, die Show sei „totaler Schrott“. Sie sei „der Beweis dafür, dass man eine nette Idee mit Effekthascherei und schlechtem Zusammenschnitt ins Aus manövrieren kann“. Die Quoten waren schlecht, Sat.1 enttäuscht.
Auch in Familienserien spielen Kinder offenbar keine große Rolle mehr. Eine Erklärung ist Medienexperten zufolge, dass Deutschland kein kinderfreundliches Land sei. Und das spiegle sich eben in Fernsehen und Film wider. Die Forscher stellen ebenso fest, dass Kinder in fiktiven Produktionen häufig als Problemverursacher dienen. Sie kurbeln also die Geschichte an.
Dass die Zahl der Filme und Serien mit Kindern überschaubar ist, hat auch mit den Jugendschutzbestimmungen zu tun: Kinder zwischen sechs und 15 Jahren dürfen maximal drei Stunden pro Tag vor der Kamera stehen. Produktionen mit jungen Hauptdarstellern sind daher deutlich teurer, weil sich die Drehzeit verlängert. Aber das sei nur die halbe Wahrheit, sagt Regisseur Bernd Sahling: „Filme, die auch für Erwachsene funktionieren sollen, aber aus Sicht eines Kindes erzählt werden, passen nach Ansicht der Verantwortlichen nicht ins Abendprogramm.“Sein preisgekröntes ADHS-Drama „Kopfüber“von 2013 ist bis heute nicht im deutschen Fernsehen gelaufen.
Autoren machen ähnliche Erfahrungen. „Wenn ich eine Kindheitsgeschichte vorschlage, die alle Altersgruppen anspricht, stoße ich sofort auf eine Blockadehaltung“, sagt Martin Busker. „Weil sich Erwachsene angeblich nicht mit Kindern identifizieren können.“Sein Kollege Fabian Hebestreit hat das Gleiche mit Jugendlichen erlebt: „Erwachsene, hieß es, interessieren sich nicht für Jugendliche.“Deshalb sollte er aus einer Geschichte über eine 15-Jährige, die ein Junge sein möchte, ein „Transgender-Drama mit einer verheirateten Frau machen, erzählt aus der Sicht ihres Mannes“.
Bei den Sendern stößt die These vom Verschwinden der Kinder auf energischen Widerspruch. ARDProgrammdirektor Volker Herres kann in den Angeboten seines Programms „keine zunehmend kinderlose oder auch kinderfeindliche Welt erkennen“. Bei Serien über Anwälte, Ärzte, Polizisten oder Nonnen stünden Kinder „naturgemäß eher selten im Mittelpunkt“, sagt er. Aber die Koordination des Familien- und Tagesprogramms bemühe sich sehr um mehr Serien und Filme mit Kindern als Akteuren.
Gerade in den von der ARDTochter Degeto verantworteten Freitagsfilmen spielen Kinder in der Tat eine große Rolle, weil die Familie, wie Redaktionsleiter Sascha Schwingel versichert, „in ihrer klassischen Form wie auch in modernen Patchwork-Konstellationen ein zentrales Thema ist. Die Kinderfiguren sind mitnichten reine Problemverursacher, sondern tragen und bestimmen die Handlung entscheidend mit.“Bestes Beispiel sei der Zweiteiler „Neu in unserer Familie“, den das Erste am 7. und am 9. Juni zeigt: Ein Elternpaar entscheidet sich, eine offene Beziehung zu führen. Die Kinder seien „gleichwertige Diskussionspartner und in ihrer Emotionalität, Verstrickung und Reife komplex dargestellt“.
Mit Blick auf den publikumsstärksten Freitagsfilm 2016, die Tragikomödie „Mein Sohn, der Klugscheißer“über einen hochbegabten 13-Jährigen, stellt Schwingel eine Gegenthese auf: „Filme, in denen Kinder und Heranwachsende authentische, gleichwertige und ernst zu nehmende Spielpartner sind, sind die erfolgreicheren.“Auch Sat.1-Sprecherin Diana Schardt versichert, man wolle „moderne Geschichten erzählen. Daher kommen Kinder sehr facettenreich vor; mal als Problemverursacher, aber oft auch vernünftiger, als ihre Eltern es je sein werden.“Sie nennt die Reihe „Allein unter …“mit Hannes Jaenicke als alleinerziehendem Vater, „Die Ungehorsame“, ein Drama über häusliche Gewalt, und das Cybermobbing-Drama „Nackt. Das Netz vergisst nie“.
Sämtliche Beispiele taugen jedoch nur bedingt als Gegenbeweis: Weil es sich dabei meist um Jugendliche handelt oder weil die Geschichten aus Sicht der Erwachsenen erzählt
„Erwachsene können sich angeblich nicht mit Kindern identifizieren.“
Martin Busker, Autor „Es braucht keine besondere Überzeugungsarbeit, um uns dafür zu gewinnen.“
Bettina Ricklefs, BR
werden. Bettina Ricklefs, Programmbereichsleiterin Spiel Film Serie beim Bayerischen Rundfunk, erwähnt unter anderem „Homevideo“, „Seit du da bist“oder „Die Drachen besiegen“: Diese Produktionen entstünden nun mal „für ein erwachsenes Publikum, das sich für solche Stoffe nur dann interessiert, wenn es sich mit einer Figur oder einem Thema identifizieren kann“. Wenn eine Geschichte jedoch „am wirksamsten aus der Perspektive von Kindern oder Jugendlichen erzählt werden kann, dann braucht es keine besondere Überzeugungsarbeit, um uns dafür zu gewinnen“.
Auch Heike Hempel, Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Fernsehfilm/ Serie II, zitiert neben „Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen“vor allem Serien, in denen es um Heranwachsende geht, etwa „Sibel und Max“zum Thema Teenagerschwangerschaft. Sie sagt, Kinder und Jugendliche seien im fiktionalen Fernsehen durchaus Protagonisten, aber kleine Kinder sind dabei offenbar nicht vorgesehen. In dieser Hinsicht ist der ARD-Freitagsfilm „Eltern und andere Wahrheiten“, der am 2. Juni ausgestrahlt wird, über die Herausforderung, Kita-Kinder und Beruf miteinander zu kombinieren, eine echte Rarität.