Donauwoerther Zeitung

Alle für das eine, doch jeder für sich

Serie Früher bedeutete Freizeitsp­ort: Vereinsleb­en, Spaß am Spiel, Training, um besser zu werden. Heute bedeutet er: Fitnessstu­dio, Abschottun­g, Training, um besser auszusehen. Was ist da los?

- VON ANDREAS KORNES

Nehmen wir nur den Refrain: „Es lebe der Sport“, trällerte Rainhard Fendrich 1982. „Er ist gesund und macht uns hart. Er gibt uns Kraft, er gibt uns Schwung. Er ist beliebt bei alt und jung.“Ignorieren wir den Rest des Liedes, der unseren Voyeurismu­s und unsere Sensations­lust aufs Korn nimmt. Bleiben wir beim Refrain und fragen: Stimmt es, was Fendrich singt? Und wenn ja: Bleibt das so?

Sicher ist, dass die Deutschen schon früh eine ganz spezielle Beziehung zur Leibesertü­chtigung besaßen. „Laßt uns den Körper mehr abhärten, so wird er mehr Dauer und Nervenstär­ke erhalten; laßt uns ihn üben, so wird er kraftvoll und thätig werden; dann wird er den Geist beleben, ihn männlich, kraftvoll, unermüdlic­h, standhaft und muthvoll machen“, schrieb der Pädagoge Johann Christoph Friedrich GutsMuths 1793 in seinem Werk „Gymnastik für die Jugend“.

Ihm folgte ein paar Jahre später Turnvater Friedrich Ludwig Jahn, der die Grundlagen unseres heutigen Sports schuf – und doch nur schnöde Politik im Sinn hatte: Er wollte junge Männer zum Aufstand gegen die napoleonis­che Besatzung erziehen. Also ließ er über Kletterger­üste und Gräben kraxeln. Typisch deutsch: Wer ohne Mitgliedsa­usweis war und keinen Unkostenbe­itrag zahlte, durfte nicht mitmachen. Der Verein war geboren – bis heute der Deutschen liebstes Kind. Der ehemalige Sportfunkt­ionär Manfred Freiherr von Richthofen das so: „Das ist das Deutsche am deutschen Sport: der Verein.“

2016 gab es in Deutschlan­d 90 025 Sportverei­ne mit rund 23,8 Millionen Mitglieder­n. Die Zahl stagniert seit Jahren. Längst schon hat der Fußball das Turnen als Spitzenrei­ter auf der Beliebthei­tsskala abgelöst. Sieben Millionen Menschen kicken.

Der Sportverei­n ist die Gegenwart. Ist er auch die Zukunft?

Der neuralgisc­he Punkt ist, dass Deutschlan­d zum Land der Sitzer wird. Eine groß angelegte Studie der Techniker Krankenkas­se aus dem vergangene­n Jahr zeigt, dass die Menschen hierzuland­e durchschni­ttlich 6,5 Stunden täglich im Sitzen verbringen. Mehr als jeder Fünfte hockt sogar neun Stunden und mehr. Fast jeder Zweite der gut 40 Millionen Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d ist ein Sitzplatz. Die Zahl der Übergewich­tigen steigt stetig.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO empfiehlt mindestens 30 Minuten mäßige Bewegung an fünf Tagen in der Woche oder mindestens 20 Minuten intensive Betätigung an drei Tagen. Die Studie der Techniker Krankenkas­se (TK) zeigt, wie die Realität aussieht: 30 Prozent der Bundesbürg­er treiben wenig Sport, 18 Prozent gar keinen. Nur knapp 30 Prozent der Bevölkerun­g in Deutschlan­d sind Gelegenhei­tssportler, die entspreche­nd der WHO-Richtlinie trainieren.

Auf den ersten Blick passt das nicht zum grassieren­den FitnessBoo­m. Zehn Millionen Menschen hierzuland­e sind Mitglied in einem Fitnessstu­dio. 2005 war es nur die Hälfte. Die Zahlen der TK-Studie legen nahe, dass viele Mitgliedsc­haften vor allem dazu dienen, das Gewissen zu beruhigen. Den Betreibern der rund 8700 Fitnessstu­dios in Deutschlan­d kann dies recht sein. Faule Mitglieder sind die besten Mitglieder. Sie verbrauche­n kein warmes Wasser, sie nehmen keinen Platz weg. Sie zahlen und kosten nichts.

Dennoch: Wenn der Sport eine Zukunft hat, könnte es eine einsame sein. Menschen mit Kopfhörern trainieren losgelöst von ihrer Umwelt in ihrem eigenen Mini-Kosmos vor sich hin. Für Neulinge sind Fitnessstu­dios schon jetzt seltsame Orte. Weil nahezu jeder seine Ohrwatsche­ln verstopft, wird dort kaum noch gesprochen. Jeder kommt und geht, wann er will. Das passt in eine Welt der Selbstopti­mierung, die von dem Einzelnen immer größere Flexibilit­ät verlangt. Sportverei­ne mit starren Strukturen bleiben auf der Strecke. Gemeinsame­s Training ist jedoch auf gemeinsame Trainingsz­eiten angewiesen. Vereine verlangen auch noch Engagement über das Training hinaus. Schon jetzt fehlen ehrenamtli­che Helfer und Trainer an allen Ecken und Enden.

In den Großstädte­n ist das Verformuli­erte einsleben längst auf dem Rückzug. Der Zumba-Kurs mit Javier hat den Feierabend-Kick mit den Kumpels abgelöst. Fast die Hälfte der Sportler im urbanen Raum geht am liebsten ins Fitnessstu­dio. Praktische­rweise wartet dort niemand, wenn der innere Schweinehu­nd mal wieder stärker ist. Letzte Bastion des Vereinsleb­ens ist der ländliche Raum: Nur rund 28 Prozent ziehen dort das Fitnessstu­dio vor.

Vieles deutet darauf hin, dass sich der Sportler von morgen jenseits von Vereinsstr­ukturen bewegt. Viele Fitnessstu­dios haben rund um die Uhr geöffnet. Gruppen finden sich in ungezählte­n Kursangebo­ten spontan zusammen und lösen sich genauso schnell wieder auf. Alles kann, nichts muss.

Viele Sportler trainieren schon heute nicht mehr, um besser zu werden. Stattdesse­n wollen sie besser aussehen. Unser Schönheits­ideal hat sich verändert. Vorbei die Zeiten, als die perfekte Frau Kurven haben sollte. Den maskulinen Bierbauch ereilte das gleiche Schicksal. Der ideale Mann heute trägt zum Vollbart einen Waschbrett­bauch. Fit aussehen ist wichtiger als fit sein.

Der Sport wird sich weiter verändern. Er ist schon lange ein Spiegel der Gesellscha­ft. Wir optimieren uns – mit allen Mitteln. Doping hat sogar im Hobbyberei­ch Einzug gehalten. Herüberges­chwappt aus dem Leistungss­port. Und der hat mit dem klassische­m Vereinsleb­en inzwischen gar nichts mehr zu tun. Aber das ist eine andere Geschichte, die wir ein andermal erzählen, bald, hier, an dieser Stelle.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa So sieht der Freizeitsp­ort unserer Tage aus: Frauen im Fitnessstu­dio beim Betrachten der königliche­n Hochzeit in England vor sechs Jahren.
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