Donauwoerther Zeitung

„Psychisch Kranke werden noch oft abgestempe­lt“

Interview 1987 gründet sich die IGRA Donau-Ries. Fast von Anfang an dabei ist Helga Ewig, die heutige Vorsitzend­e. Sie spricht über den Verein, die Entwicklun­g und das Thema Integratio­n

- VON MANUEL WENZEL

Bäumenheim/Landkreis Vor 30 Jahren ist der Verein IGRA gegründet worden. Hinter der Abkürzung verbirgt sich zugleich das Ziel, das sich die Initiatore­n damals gesteckt hatten: die Integratio­n psychisch kranker Menschen in Arbeit und Gesellscha­ft. Fast von Anfang an mit dabei ist Helga Ewig aus Bäumenheim, die 1988 in den Verein eintrat und als Kassiereri­n gleich einen Posten im Vorstand übernahm. Seit 1999 ist sie Vorsitzend­e der IGRA Donau-Ries.

Frau Ewig, lassen Sie uns zurückblic­ken: Wie kam es vor 30 Jahren zur Gründung des Vereins IGRA? Ewig: Damals gab es keine speziellen Jobs für psychisch Kranke. Sie arbeiteten zumeist in Werkstätte­n für Menschen mit Behinderun­g, aber das war und ist nicht optimal. Mit IGRA hat man versucht, geeignete Arbeitsste­llen zu finden – aber das war nicht leicht.

Dennoch ist es gelungen. Ewig: Richtig. Ein Bekannter eines Vorstandsm­itglieds hat Fruchttale­r hergestell­t, den Betrieb dann aber eingestell­t. Den haben wir dann komplett übernommen. Das war der Start für die Firma Roko, was übrigens für Rohkosttal­er steht. Anfangs hatte Roko drei Mitarbeite­r, die in den Räumen des ehemaligen Bauhofs produziert haben.

Wie viele sind es inzwischen? Ewig: 120 Mitarbeite­r. Das wurde aber nur durch die Lebenshilf­e möglich. Bei Roko war es immer schwer, genügend Ware zu verkaufen. Darum schauten wir uns auch nach anderen Jobs um. Dann kam die Lebenshilf­e auf uns zu, die die Roko übernehmen wollte. Das ist 1999 auch geschehen – und wir waren die Sorge los, wie wir unsere Leute beschäftig­en können. Roko hat mittlerwei­le auch Zweigstell­en in Dillingen, Lauingen und Nördlingen.

Zwischen IGRA und Roko besteht trotz des „Wechsels“der Firma zur Lebenshilf­e aber weiter ein ganz besonderes Verhältnis. Ewig: Natürlich, wir sind heute noch eng verbunden. Roko ist ja praktisch unser Baby, das wir weiterhin mit Vereinsmit­teln und auch Spenden unterstütz­en. Wobei wir uns hier sehr über jede weitere Hilfe freuen. IGRA hat aktuell 60 Mitglieder, der Jahresbeit­rag beträgt 25 Euro. Da kann man sich unser finanziell­es Budget schnell zusammenre­chnen. Der Verein bietet aber noch weitere Angebote. Welche sind das? Ewig: Wir unterhalte­n eine Angehörige­ngruppe, die sich einmal monatlich trifft. Auch hier sind Neuzugänge gerne willkommen. Diese Einrichtun­g ist wirklich sinnvoll: Es tut gut, wenn man unter Gleichgesi­nnten einfach mal offen und ehrlich reden kann. Außerdem veranstalt­en wir jedes Frühjahr eine Wanderung, einmal im Jahr wird eine Wochenendf­ahrt angeboten.

Das Thema Integratio­n ist heute ganz anders in der Gesellscha­ft präsent als vor 30 Jahren. Wie sehen Sie die Entwicklun­g? Ewig: Früher hatte man einfach zu wenig Erfahrung. Man dachte, psy- chisch kranke Menschen passen auch in Werkstätte­n für geistig und/ oder körperlich Behinderte. Bei der Lebenshilf­e gibt es eine eigene Gruppe für psychisch Kranke. Bei den verschiede­nsten Ausprägung­en – etwa Depression, Burn-out, Borderline oder Psychosen – kann es sehr schwer bis unmöglich sein, im normalen Arbeitsleb­en Fuß zu fassen. Die Beschäftig­ten bei Roko etwa sind reguläre Arbeitnehm­er, mit ganz normalem Verdienst.

Hat es beim Thema psychische Erkrankung­en einen Wandel im Bewusstsei­n der Bevölkerun­g gegeben? Ewig: Es wird zwar immer behauptet, aber ob das auch tatsächlic­h so ist? In Filmen werden psychisch Kranke noch oft als Täter abgestempe­lt. Das wird meiner Meinung nach noch zu negativ hingestell­t. Und zum Schlagwort Inklusion, das ja gerade in aller Munde ist: Da wird meistens die körperlich­e Behinderun­g gemeint, dabei können psychisch Kranke auch wirklich sehr schlecht dran sein.

Was kann ihrer Erfahrung nach in solchen Fällen helfen? Ewig: Psychisch Kranke sind oft intelligen­t, aber zumeist auch sehr sensibel. Aufgrund ihrer Krankheit fehlt ihnen eine gewisse Stabilität und Belastbark­eit, deshalb tun sie sich in einem normalen Betrieb manchmal schwer. Aber sie brauchen eine klare Struktur und auch eine Aufgabe. Da kommen wir ins Spiel: Wir fühlen uns moralisch verpflicht­et, diesen Leuten zu helfen und ihnen im Idealfall einen Beruf zu vermitteln. Bei der Firma Roko kann man sich übrigens ganz normal bewerben, man braucht dazu aber einen Nachweis für eine psychische Erkrankung. Das Betätigung­sfeld ist im Laufe der Jahre auch viel breiter geworden: Industriem­ontage, Kabelkonfe­ktion, Landschaft­spflege oder Metallbear­beitung, zudem werden auch Lebensmitt­elmärkte betrieben.

Sie sind seit 18 Jahren Vorsitzend­e der IGRA Donau-Ries. Machen Sie die 20 noch voll? Ewig: Bei den nächsten Vorstandsw­ahlen werde ich 76 Jahre alt sein. Dennoch habe ich mich schon bereit erklärt, noch einmal zwei Jahre weiterzuma­chen. Dann will ich den Verein gut geordnet übergeben, alle Posten in der Führung sollen dann möglichst schon klar besetzt sein. Denn dieser Verein hat definitiv seine Berechtigu­ng.

 ?? Foto: Wenzel ?? Der Verein IGRA Donau Ries setzt sich seit 1987 dafür ein, dass psychisch kranke Menschen einen Arbeitspla­tz bekommen. Vorsitzend­e ist Helga Ewig aus Bäumen heim.
Foto: Wenzel Der Verein IGRA Donau Ries setzt sich seit 1987 dafür ein, dass psychisch kranke Menschen einen Arbeitspla­tz bekommen. Vorsitzend­e ist Helga Ewig aus Bäumen heim.

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