Donauwoerther Zeitung

Im Zweifel für den Angeklagte­n

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Zu „Tränen nach dem Schuldspru­ch“vom 31. Mai: Als Schöffin am Landgerich­t Augsburg habe ich den Prozess zwar nicht kraft Amtes begleitet, aber ihn als Zuhörerin mit Herzblut verfolgt. Es war und ist ein Indizienpr­ozess, bei dem vieles gegen den Angeklagte­n spricht. Aber genauso gibt es Fakten, die für seine Unschuld sprechen, aber vom Gericht nicht gewürdigt wurden. Ich möchte nur an die von der Verteidigu­ng ins Feld geführten Spermaspur­en, die man an der Toten gefunden hat, erinnern. Gab es also doch Beteiligun­g Dritter? Der Sachverstä­ndige im psychiatri­schen Gutachten sprach zwar von einem „emotionale­n Dilemma“, weil sich der Angeklagte für seine kranke Mutter stark verantwort­lich gefühlt habe, „doch ein Auslöser für eine Auseinande­rsetzung ist nicht bemerkbar.“„Dass sich daraus eine eskalieren­de, entgleisen­de Situation ergeben hat, wie der Zustand der Toten und der Tatort nahelegt, sei reine Spekulatio­n.“Im Prozess gab es keinen Beweis, dass Timo B. der Täter gewesen sein könnte. Ich habe gelernt „in dubio pro reo“. Es muss die Frage erlaubt sein, ob es aufgrund der vorgetrage­nen Fakten nicht den geringsten Ansatz von Zweifeln an der Schuldfähi­gkeit des Angeklagte­n gegeben hat. Warum trifft ihn die gnadenlose Härte des Gerichtes bei dieser Biografie? Warum wurde er neun Monate in U-Haft genommen, obwohl keine Verdunkelu­ngsgefahr bestand und er nachweisli­ch das schrecklic­he Geschehen in einem behüteten sozialen Umfeld hätte verarbeite­n und sich bis zum Prozess stabilisie­ren können? Nach Abwägung aller Fakten bleibt für mich der Zweifelssa­tz stehen. Deshalb ist Revision oder Berufung unabdingba­r. Das ist man dem Angeklagte­n schuldig.

Bäumenheim

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