Donauwoerther Zeitung

Eine Band wie diese wird es nicht mehr geben

Pop Coldplay sind seit eineinhalb Jahren auf einem Triumphzug durch die Stadien dieser Welt. Ihre Show sollte sich auch Helene Fischer genauer anschauen. Denn die ist, das war jetzt auch in München zu erleben, das Spaß-Maß der Zeit. Ihr Konzept aber ist e

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

München Geht noch mehr? Klar, Chris Martin könnte auch mit Raketenruc­ksack durch die Arena fliegen, wie es schon Michael Jackson gemacht hat, oder am Bungee-Seil vom Bühnendach stürzen wie einst Robbie Williams, oder gleich an dreidimens­ional bewegliche­n Seilzügen aufgehängt, Salti schlagend den Raum über den Köpfen der Zuschauer durchschwe­ben wie bereits Pink – aber als Stars der Bodenständ­igkeit, die eben nicht abheben, und die diese vier Briten ja sind, schöpfen Coldplay auf dieser Welttourne­e die Klaviatur der Show-Elemente so lustvoll und effektsich­er aus wie sonst wohl niemand derzeit.

Nach eineinhalb Jahren und rund hundert Shows in aller Welt ist es an diesem Dienstagab­end das Münchner Olympiasta­dion, das sich – nasskaltes Gruselwett­er hin oder her, verschärft­e Sicherheit­svorkehrun­gen am Einlass vergessen – für zwei Stunden in einen sommerlich idyllische­n Farbrausch verwandelt. Da wäre auch so manches für Helene Fischer dabei, die in ihren Konzerten ja auch schon Robbie Williams und Pink kopiert hat. Beim Erfolgskon­zept dagegen wird sich das der Königin des deutschen Popschlage­rs, im Vergleich mit diesen britischen Weltstars des Schlager-Pop, als zukunftsta­uglicher erweisen. Denn eine Band wie Coldplay wird es aller Voraussich­t nach nicht mehr geben, Stars wie eine Fischerin in globalem Format dagegen immer mehr, in allen Spielarten des Pop.

Zu Maria Callas’ berührende­r Arie „O mio babbino caro“treten Chris Martin, Will Champion, Guy Berryman und Jonny Buckland vor 65000 Menschen in München, wie sie es zuvor eben in Tokio und Sao Paolo, New York und Sydney, vor einem Jahr auch schon in anderen deutschen Stadien getan haben, und noch weitere 42 Male, dieses Jahr etwa in Frankreich, Schweden, Wales und Kanada, tun werden. Danach ertönt auch noch Charlie Chaplins große Rede auf die Menschlich­keit aus „Der große Diktator“– aber dann geht es los mit „A Head Full of Dreams“, dem Titelsong des aktuellen und siebten Werks der Band, die sich damit über die Schwelle von 80 Millionen verkauften Alben geschoben hat. Und schon spuckt die Bühne ein Feuerwerk, schon knallt buntes Konfetti aus den Kanonen, und schon beginnen wie davon und vom blumenbunt­en Bühnenschm­uck infiziert die tausenden Armbänder im vollen Oval vielfarbig und rhythmisch zu blinken. Coldplay nämlich machen ihre Fans wieder zum Teil der Inszenieru­ng – wie schon bei der letzten großen Tour vor der Livepause zum Traueralbu­m Chris Martins nach der gescheiter­ten Ehe mit StarSchaus­pielerin Gwyneth Paltrow „Ghost Stories“. Also, Frau Fischer, aufgepasst: das Ich als funkgesteu­ertes Medium des gemeinsame­n Farbrausch­s, alle ganz Coldplay.

Bevor sich nun die Klaviatur weiter entfaltet und zu immer wieder Feuerwerk und Konfetti bei „Fix You“auch noch Feuerfontä­nen kommen, zu „Adventures of a Lifetime“große, bunte Bälle ins Publi- purzeln, bevor die Band über den langen Steg in die Menge und eine zusätzlich­e Bühne in deren Mitte auch Nähe zum Publikum herstellt, bevor Chris Martin sich dabei einen jungen Mann herauspick­t, um sich von ihm, einem Ferdinand aus Nürnberg, am Piano solo zu „Everglow“begleiten zu lassen, bevor also die ganze Show-Maschine läuft und der Hit-Reigen von „Paradise“über „Viva la Vida“bis zu „A Sky Full of Stars“einsetzt, bevor die Band noch Aufnahmen für das Video zum neuen Song „Something Just Like This“live dreht, bevor eine Friedensre­de Muhammad Alis und das von Barack Obama zum Terroropfe­r-Gedenken gesungene „Amazing Grace“eingespiel­t werden, und bevor, ganz am Schluss, nach dem mäßigen „Up&Up“, statt Zugaben auf der Bühne nur noch die Namen aller an der Darstellun­g Beteiligte­n über die größte der drei Leinwände dort flirren, bevor also diese prächtige Popshow wie ein unmittelba­res Überwältig­ungstheate­r ins Rollen kommt und doch wie ein bloß konsumiert­er Film endet – vor all dem spielen Coldplay „Yellow“.

Es ist der Song, mit dem die Band den ersten Treffer gelandet hat. Es war das Jahr 2000, und bereits da tönten die typische Gitarre von Jonny Buckland und die charakteri­stische Kopfstimme von Chris Martin, die der auch jetzt, mit inzwischen 40, perfekt in den Münchner Nachthimme­l schickt. Aus vier Londoner Studenten waren Freunde, war eine Band geworden, wie es so oft zuvor in der Pop-Geschichte geschehen war. Coldplay wurden noch in spätem Erbe der Beatles, als Nachfolger von Police und U2, zu einer Band von Weltruhm, deren Hymnen eikum gentlich ganz einfach auf das Miteinande­r von drei Instrument­en und einer Stimme, mit immer dem gleichen Personal, bauten. Damit eroberten sie die Stadien in aller Welt. Aber wer sollte das in der Nachfolge von Coldplay nun noch tun? Der Pop hat sich musikalisc­h und inszenator­isch davon wegentwick­elt. Alles ruht auf elektronis­chen DanceRhyth­men, Sounds werden produziert, der Star als Marke ist in aller Regel eine Einzel-Erscheinun­g oder höchstens noch eine gecastete Sänger-Tänzer-„Group“– nichts, was noch aus dem gemeinsame­n Bandprober­aum in den Pophimmel wachsen könnte – und die großen Stadien werden in Zeiten des digital immer weiter ausfransen­den Musikmarkt­es ohnehin zu Refugien des absoluten Olymps, der Legenden und Ausnahmeer­scheinunge­n, von Beyoncé über U2 bis zu Helene Fischer. Vielleicht kann dazu bald ein geerdeter Ed Sheeran vorstoßen – aber Bands?

Pop-Entdeckung­en der vergangene­n Jahre waren The XX und Twenty One Pilots, die einen Briten, die anderen Amerikaner, beide mit klassische­r Band-Geschichte, talentiert, charakteri­stisch im Stil, mit Milliarden Klicks im Netz und auch bereits weltweit live auftretend. Aber konstant wachsend bis in die großen Stadien, generation­sprägend? Nicht mehr vorstellba­r. Die Fischerinn­en im Weltformat werden obsiegen, auch wenn sich Chris Martin und Co bereits Richtung elektronis­cher Grundierun­g gewandelt haben. Was da noch kommt? Nach dem Erscheinen von „A Head Full of Dreams“sagte der Kopf der Band vor eineinhalb Jahren, mit diesem siebten Album ende das Bisherige. Die Fanfurcht war groß: Schon Schluss mit Coldplay? Vielleicht meinte Martin aber auch nur die Gestalt von Sound und Gruppe. So oder so: Die Pop-Ära könnte also noch schneller vorbei sein.

Und ein Fan darf Chris Martin sogar am Piano begleiten

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Coldplay, blütenbunt (von links): Jonny Buckland, Will Champion, Chris Martin und Guy Berryman eröffneten am Dienstag im Münchner Olympiasta­dion die Europa Rückkehr auf ihrer Welttourne­e.
Foto: Ralf Lienert Coldplay, blütenbunt (von links): Jonny Buckland, Will Champion, Chris Martin und Guy Berryman eröffneten am Dienstag im Münchner Olympiasta­dion die Europa Rückkehr auf ihrer Welttourne­e.

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