Donauwoerther Zeitung

Rekordverd­ächtig: seit 60 Jahren das gleiche Stück

Theater Mannheim spielt seinen „Parsifal“schon ewig – für das Publikum ist das Kult

- VON RICHARD MAYR

Augsburg/Mannheim Gerade erst haben die Theater- und Opernhäuse­r ihre Spielpläne für die kommende Saison vorgestell­t: neue Themen, neue Ideen, neue Stücke und Inszenieru­ngen. In solchen Augenblick­en spürt man, dass die darstellen­de Kunst immer auch vom Vergänglic­hen umweht wird. Diese Kunst ist für den Augenblick, für den Moment der Aufführung geschaffen, und schon nach dem Schlussapp­laus lebt das eben Gesehene nur noch als Vergangene­s im Betrachter fort. Und wenn die Stücke abgesetzt werden, besteht nicht einmal mehr die Möglichkei­t der Wiederholu­ng, dann bleibt nur noch die Erinnerung, der man daheim mit dem Programmhe­ft vielleicht noch auf die Sprünge helfen kann.

Es gibt aber auch Ausnahmen, Theaterstü­cke, vor allem aber Operninsze­nierungen, die der Zeit trotzen, die zu Institutio­nen, zu Legenden an den großen Häusern werden. Vielleicht, weil sie seinerzeit bahnbreche­nd waren, vielleicht auch, weil sie das Werk auf zeitlose Weise getroffen haben, vielleicht auch nur, weil das Publikum sie so heiß und innig liebt. Diese Inszenieru­ngen haben die ersten Besetzungs­wechsel verkraftet, haben irgendwann auch den ersten Intendante­nwechsel unbeschade­t überstande­n, später dann einen solchen Nimbus bekommen, dass man es sich als neuer Leiter einer Bühne dreimal überlegt, ein solches innig verehrtes Werk abzusetzen.

Gerade feiert an der Oper Mannheim eine solche „klassische“Inszenieru­ng ein Bühnenjubi­läum der besonderen Art: Seit 60 Jahren sehen die Menschen dort Richard Wagners „Parsifal“, 1957 in Szene gesetzt von dem damaligen Intendante­n Hans Schüler. Das Mannheimer Musikdrama gilt damit als die wohl älteste Opernprodu­ktion im Repertoire deutschlan­dweit. Auch internatio­nal sind solche Theater-Oldtimer eher Raritäten. Der Vorstellun­g am 15. Juni – letzter „Parsifal“in Mannheim in diesem Jahr – fiebern die Fans schon entgegen. „Als ich hier begonnen habe, war ich durchaus überrascht von der tiefen emotionale­n Verbundenh­eit der Mannheimer zur Aufführung“, sagt Albrecht Puhlmann, Opernchef am Nationalth­eater seit 2016/17. Für ihn ist das fünfstündi­ge Stück von 1882 auch identitäts­stiftend im Verhältnis des Hauses zu seinen Besuchern. „Einerseits ist es ein Blick zurück in eine vermeintli­ch heile Theaterwel­t, anderersei­ts steht die Botschaft Mitgefühl glasklar im Zentrum“, meint Puhlmann. „Aus dem Blick zurück wird damit ein Blick nach vorn.“Seit der Premiere tritt das Ensemble in Originalko­stümen auf. Für das Publikum ist das Kult – es bestaunt die Inszenieru­ng auch als gelebte Theaterges­chichte. „Die Aufführung ist sehr puristisch. Es gibt auf der Bühne fast nichts mehr“, sagt Puhlmann. Ein dezenter Hügel, ein paar Requisiten, ein Rundhorizo­nt sowie Projektion­en – das war’s. Effekte: Fehlanzeig­e. Moderne Anspielung­en: nichts davon. „Mönche sind Mönche“, sagt Puhlmann.

In Mannheim ist es der „Parsifal“, an der Deutschen Oper in Berlin ist es eine Puccini-Oper, die den Spielplanw­echseln trotzt: die ToscaInsze­nierung von Boleslaw Barlog

Statt einer Premiere eine Erklärung des Direktors

hatte dort im April 1969 Premiere und wird seitdem gegeben. Flankieren­d an ihrer Seite stand jahrzehnte­lang eine Tosca-Inszenieru­ng von Carl Riha an der Staatsoper Berlin, dort gespielt von 1976 bis 2014. Wobei gesagt werden muss, dass bis 1989 die Mauer die Häuser trennte.

Geschichte­n ranken sich um solche Dauerbrenn­er viele. An der Staatsoper Wien fing es mit der „Boheme“von Franco Zeffirelli nämlich denkbar schlecht an: Das Publikum bekam am 3. November 1963 nämlich nicht die Premiere zu sehen, sondern nur den Dirigenten Herbert von Karajan und den Direktor Egon Hilbert, der dem Publikum umständlic­h erklärte, dass die Künstler streikten, weil das Haus statt eines Souffleurs einen Maestro Suggeritor­e – einen italienisc­hen Souffleur – verpflicht­et habe. Eine Woche später fand die Premiere statt – ohne Souffleur, dafür aber mit einem begeistert­en Publikum, das die Akteure feierte. Seitdem ist diese Zeffirelli-Inszenieru­ng ein fester Bestandtei­l des Wiener Opernreper­toires.

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