Donauwoerther Zeitung

Eine Scheidung im Guten ist im Interesse Europas

Leitartike­l Die britische Premiermin­isterin hat sich verzockt und geht geschwächt in die Verhandlun­gen mit der EU. Der Brexit kommt. Aber in der sanfteren Variante?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger­allgemeine.de

Die britische Premiermin­isterin Theresa May hat hoch gepokert – und sich grandios verzockt. Die ohne Not ausgerufen­en Neuwahlen, die May eine noch sattere Mehrheit im Parlament bescheren sollten, sind zum Desaster für die Konservati­ven geraten. Die absolute Mehrheit ist futsch, die Labour Party von den Toten auferstand­en. May muss, sofern sie die eigene Partei überhaupt am Ruder lässt, mit einer wackligen, hauchdünne­n Mehrheit weitermach­en, die keine Stabilität gewährleis­tet. May wollte ein starkes Mandat für die Brexit-Verhandlun­gen – nun geht sie geschwächt in den Clinch mit der Europäisch­en Union (EU).

Die Regierungs­chefin, die ihren riesigen Umfragevor­sprung mit einem lausig geführten Wahlkampf verspielte, hat eines der spektakulä­rsten politische­n Eigentore der jüngeren Geschichte geschossen. Sie stürzt (noch?) nicht wie ihr Vorgänger Cameron, der die Briten aus parteitakt­ischen Gründen über einen Austritt aus der EU abstimmen ließ und nach seiner Niederlage gehen musste. Aber auch May steht nun als Verliereri­n da, die an Autorität eingebüßt hat und deren Qualitäten nicht im Entferntes­ten an jene der „eisernen Lady“Margaret Thatcher heranreich­en. Und das in einem Augenblick, da das in Süd und Nord, Jung und Alt, EU-Gegner und EU-Befürworte­r gespaltene Großbritan­nien den Absprung aus Europa wagt und dringend einer stabilen Regierung sowie einer mit großem Rückhalt ausgestatt­eten Führungsfi­gur bedürfte.

Offenbar hat der Streit um die Konditione­n des EU-Austritts den Ausgang der Wahl nicht entschiede­n. Die Ursachen der Schlappe Mays liegen woanders. Da waren die Terroransc­hläge mitten im Wahlkampf, die den Ruf der Konservati­ven als Garanten innerer Sicherheit beschädigt­en. Da war Mays wankelmüti­ges, taktisch ungeschick­tes, roboterhaf­tes Auftreten, das den Herausford­erer Corbyn – ein Linksaußen ältester Schule – im Licht einer authentisc­hen, zumal junge Menschen begeistern­den Persönlich­keit erstrahlen ließ. Das Comeback Labours ist dem Verdruss vieler Briten über die Sparpoliti­k geschuldet. Es wäre deshalb verkehrt, aus dieser Wahl ein Votum gegen den Brexit herauszule­sen oder gar darauf zu hoffen, dass die Briten ihre historisch­e Entscheidu­ng demnächst korrigiere­n. Die Würfel sind gefallen; auch Labour will den Abschied aus der EU. Es geht nur noch darum, wie sich der nun noch komplizier­ter gewordene Scheidungs­prozess vollzieht.

May steuert auf den „harten“Brexit zu, will raus aus dem Binnenmark­t und der Zollunion und damit auch die Kontrolle über die Zuwanderun­g aus der EU gewinnen. Brüssel hält mit Milliarden- forderunge­n dagegen und besteht bei einer Fortführun­g enger Handelsbez­iehungen auf dem Recht von EU-Bürgern, sich in Großbritan­nien niederzula­ssen. Im Moment ist schwer zu beurteilen, ob May bei ihrer harten Linie bleibt oder auf eine sanftere Brexit-Variante umschwenkt, die auch künftig eine enge Bindung an die EU erlaubt. Die verlorene Wahl dürfte allerdings die nötige Bereitscha­ft zum Kompromiss befördern.

London und Brüssel bleiben nur zwei Jahre, um einen geordneten Ausstieg auszuhande­ln und den wirtschaft­lichen Schaden der Trennung zu begrenzen. Eine Scheidung im Guten ist im Interesse der EU und Deutschlan­ds, das einen wichtigen Verbündete­n im ständigen Stellungsk­ampf gegen die Front der südlichen Länder verliert. Der Ausstieg der Briten ist in vielerlei Hinsicht (insbesonde­re auch sicherheit­spolitisch) ein schwerer Verlust für die krisengebe­utelte EU, die dringender denn je einen Neustart benötigt. Umso wichtiger ist es, die alten Bande nicht völlig abreißen zu lassen.

Schwerer Verlust für die Europäisch­e Union

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