Donauwoerther Zeitung

Besessen von Spiel und Sprache

Gisela Stein Die Karriere der großen Bühnen-Tragödin (1934 – 2009) lebt im Theatermus­eum München wieder auf. Ein doppelter Schicksals­schlag hatte der großartige­n Schauspiel­erin das Äußerste abverlangt

- VON GÜNTER OTT

Was für ein überwältig­endes Lachen! Gisela Stein spielt in der Georges-Feydeau-Komödie „Ein Klotz am Bein“die Lucette: eine Halbweltda­me und Varieté-Sängerin. Sie sitzt entspannt im EmpireMöbe­l und prustet los. Das war im März 1983 an den Münchner Kammerspie­len. Regie: Dieter Dorn.

Kammerspie­le, Dorn – das sind herausrage­nde Stichworte in der Bühnenlauf­bahn der aus Swinemünde/Pommern stammenden Stein. Ihre 1952 in Koblenz ins Rollen gekommene Laufbahn führte nach ersten Höhepunkte­n in Hamburg und Berlin (u. a. unter Regisseur Hans Lietzau) ab 1979/80 an die Kammerspie­le München und zum Finale ans Bayerische Staatsscha­uspiel. Es waren glückliche Jahre mit dem kongeniale­n Intendante­n/Regisseur Dieter Dorn, überdies mit einem wunderbare­n Ensemble, für das Boysen, Froboess, Helmut Griem, Thomas Holtzmann, Peter Lühr und Sunnyi Melles stehen.

Diese Hochzeit des Ensembleun­d Regie-Theaters ist nun zurückgeke­hrt, dank einer großartige­n Ausstellun­g über Gisela Stein im Deutschen Theatermus­eum München – optisch ansprechen­d eingericht­et von Birgit Pargner unter dem Titel „Hinter den Worten“und versehen mit einem vorzüglich­en Katalogbuc­h. So öffnet sich der Vorhang für eine erstaunlic­he Etappe jüngerer Theaterges­chichte, und zwar in Fotos und Texttafeln, in Videound Hörstation­en, im Tagebuch und Interview, in Kopfschmuc­k und Kostüm, im Brustpanze­r der Penthesile­a von Kleist, mit Hütchen und Schirm der Winnie in Becketts „Glückliche Tage“, mit dem Bogen der Penelope in „Ithaka“von Botho Strauß…

Gisela Stein war eine Theaterbes­essene. Sie arbeitete sich mit Herzblut in die Rollen hinein, immer begleitet von Selbstkrit­ik und Zweifeln, stets bauend auf das Wort, auf das Zusammensp­iel von Stimme und Seele, von Innen und Außen. Dieses Ineinander nannte sie einen „unglaublic­hen Vorgang“. Die Stein liebte das Sprechspie­l auf nahezu leerer Bühne, sie brauchte kein Drumherum, um Zuschauer zu fesseln. Sie war die bannende Iphigenie 1980/81, die Dorn an den Kammerspie­len vor dem mit weißem Tuch ausgeschla­genen Eisernen Vorhang auftreten ließ. Ein Goethe-Schauspiel ohne Szene, aber mit 79 ausverkauf­ten Vorstellun­gen!

Die Stein war eine große Tragödin, von königliche­r Strenge, gewappnet mit der Sprache. Und sie war von spontaner Ausgelasse­nheit in ihrer Komödianti­k. Die Münchner Schau überrascht nicht zuletzt mit privaten Einblicken in das Leben einer Frau, die das Alleinsein liebte, die Ostsee, den Regen und weiße Rosen. Tochter Katharina Hinze-Kertész (aus der später geschieden­en Ehe mit dem Schauspiel­er Wolfgang Hinze) hat dem Theatermus­eum den Nachlass der Schauspiel­erin überlassen.

Gisela Steins Leben hatte auch tatsächlic­h Tragik: 1983 raste ein betrunkene­r junger Mann bei Salzburg frontal in ihren Polo und zerstörte beinahe ihr Leben. Mit den Folgen kämpfte die grazile Frau lebenslang. Sie stand an die 30 Operatione­n durch, erhielt zu allem Verhängnis verseuchte Blutkonser­ven, die ihre Leber vergiftete­n. Doch trotz dieser unsägliche­n Leiden schaffte es die Stein zurück auf die Bühne: aufwühlend ihr Auftritt als Olivia in „Was ihr wollt“, herzbewege­nd ihr Olivia-Satz „So wär’s ja wohl zum Lächeln wieder Zeit“, tief berührend 1985/86 ihre strahlende Helena (in Shakespear­es „Troilus und Cressida“): Die Stein hatte ihre unübersehb­aren Narben mit Gold nachgezeic­hnet und ihre Wunden in glänzenden Körperschm­uck des Theaters verwandelt. Nicht allein dieser schöne Anblick wird bleiben.

2009 ist sie, 74 Jahre alt, in einem Hospiz in Flensburg gestorben. In der Geltinger Ostseebuch­t wurde ihre Asche dem Meer übergeben.

Theatermus­eum München, bis 15. Oktober, Di. – So. von 10 bis 16 Uhr. Begleitbuc­h, 240 Seiten: 29,95 Euro

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Foto: Oda Sternberg Gisela Stein als Phädra an den Münchner Kammerspie­len.

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