Die Kunst des Anzapfens
Mess’ Beim ersten Fass muss jeder Schlag sitzen, sonst wird es peinlich. Wenn der Braumeister gemein ist, hilft die beste Vorbereitung nichts
Nördlingen In diesem Moment ist es ausnahmsweise ruhig im Festzelt. Nur für wenige Sekunden. Der Oberbürgermeister betritt die Bühne, eine Schürze um den Bauch gebunden. Wohlwissend, dass es gleich nass wird, wenn er versagt. Hunderte Augen verfolgen jede seiner Bewegungen. Er nimmt den schweren Holzhammer und holt aus zum wuchtigen Schlag.
Trifft er, jubeln die Gäste. Das Bier des ersten Fasses geht schließlich aufs Haus. Geht der Schwung daneben, gibt es dagegen nur Spott und Häme – inklusive einer Bierdusche. Ob der Nördlinger Oberbürgermeister da schon einen gewissen Druck verspürt? „Nein, ich sehe das ganz entspannt“, sagt Hermann Faul. Eine große Vorbereitung brauche er nicht, denn Erfahrung habe er in den vergangenen Jahren schon zur Genüge gesammelt. „Wer einen Schlegel in die Hand nehmen und gerade draufhauen kann, bekommt das schon hin“, meint der Oberbürgermeister.
Na ja, ganz so reibungslos lief es dann doch nicht immer. 2006 durfte Faul zum ersten Mal das Stabenfest mit dem Bieranstich eröffnen. Das Ergebnis: ein durchnässter Oberbürgermeister. „Da haben die Festwirte das Fass aber irgendwie präpariert“, ist er sich ganz sicher. Denn, so erinnert sich Faul, für gewöhnlich sei es immer reibungslos gelaufen. Beim Spitalhoffest habe er das Bierfass gar mit nur einem Schlag angezapft. „Es ist kein Hexenwerk.“
Das sollte er lieber nicht zu laut sagen. Denn, so erzählt man sich, für besonders talentierte Bürgermeister gibt es auch besonders schwierig zu öffnende Fässer. In einem gewöhnlichen Holzfass steckt in dem Spundloch – also dort, wo der Zapfhahn hineingeklopft werden muss – ein Stück Naturkork, erzählt Braumeister Volker Röthinger von der Fürst Wallerstein Brauerei, die in diesem Jahr das Messbier braut. Das metallene Spundloch sei stabil, der Kork leicht in das Fass hineinzuschlagen. Eine elastische Gummidichtung, die vorher auf den Zapfhahn gestülpt wird, verhindert, dass Bier ausläuft. Röthinger empfiehlt: „Einen kräftigen Schlag, um den Zapfhahn in das Fass hineinzutreiben, einen zweiten präzisen zur Sicherheit hinterher.“Wer geübt sei, schaffe es auch mit einem Versuch.
Doch die Eröffnung eines Volksfestes ist nun einmal ein Spektakel. Ein nach dem Anzapfen blitzsauberer Bürgermeister? Langweilig. Gut, dass Röthinger das ähnlich sieht. „Wenn einer es zu gut kann, muss man die Schwierigkeit eben ein bisschen erhöhen“, sagt der Braumeister, lacht herzlich und empfiehlt eine Nachfrage beim Bopfinger Bürgermeister Gunter Bühler. Der sei ein echter Profi, normale Fässer waren für ihn stets mit maximal zwei Schlägen geöffnet und bereit zum Ausschank, erzählt Röthinger. Also beschloss der Braumeister, ihm bei der nächstes Ipf-Mess ein spezielles Fass bereitzustellen. Das wurde nicht mit Kork verschlossen, sondern mit einem sogenannten Schrödel aus Holz.
Der Zapfhahn für diese Art von Fass ist konisch geformt und besitzt keine Gummidichtung. Mit einem kräftigen Hieb müsse man den Holzschrödel durchschlagen, dann würde es spritzen, beschreibt Röthinger und lacht wieder. Nach vier Schlägen hätte es der Bopfinger Bürgermeister geschafft, den Zapfhahn unter großer Anstrengung weit genug hineinzutreiben, um das Fass abzudichten.
Ähnliche Gemeinheiten hat Hermann Faul auf der Mess’ nicht zu befürchten – zumindest noch nicht. Das sei auch in Röthingers Interesse. „Der Braumeister steht ja immer mit vorne dabei und bekommt im Zweifelsfall auch alles ab.“Zumindest darauf will sich der Nördlinger Oberbürgermeister vorbereiten. „Ich sage meiner Frau, dass sie mir ein zweites Hemd zum Wechseln mitbringen soll“, verrät Faul. Man wisse ja nie...