Donauwoerther Zeitung

Ein letztes Mal auf Tour

Der große Liedermach­er Hannes Wader wird 75 und nimmt Abschied von seinen Fans – nach 50 Jahren. Warum? Eine Lebensbila­nz

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Sie sind im selben Alter wie Bob Dylan, der seit 30 Jahren auf seiner „Never Ending Tour“ist. Warum wollen Sie nächstes Jahr mit der ewigen Tourerei aufhören? Hannes Wader: Ich werde in diesem Jahr 75. Es beginnt, mich anzustreng­en. In den letzten 50 Jahren habe ich nie länger als ein Vierteljah­r ausgesetzt. Ich war immer auf der Straße. Bevor nicht nur ich, sondern noch andere das Alter bei mir bemerken, möchte ich lieber mit dem Herumreise­n aufhören. Im Grunde sind es noch fünf Tourneen, die ich bis Anfang 2018 spielen werde. Und dann tschüss! Es wird danach sicher noch vereinzelt Auftritte geben, aber nicht mehr ein Dutzend am Stück.

Was macht Sie beim Rückblick auf Ihre bisherige Karriere zufrieden? Wader: Daran habe ich bisher noch gar nicht gedacht. Meine Karriere ist ein Wechsel von Siegen und Niederlage­n, da muss ich erst Papier und Kugelschre­iber in die Hand nehmen und das aufschreib­en. Ich muss mich noch mit dem Gedanken anfreunden und aufzuhören. Jetzt gucke ich erst mal nach vorne.

Haben Sie für Ihren Erfolg einen Preis zahlen müssen? Wader: Es kommt mir so vor, dass der Preis, den ich gezahlt habe, gar nicht so hoch war, sondern dass andere dafür einen hohen Preis zahlen mussten. Mir war das alles nur möglich mit einer Art von Rücksichts­losigkeit.

Was meine Sie damit? Wader: Ich war auf diese Karriere am Anfang nicht vorbereite­t, ich habe Dekorateur in einem Schuhgesch­äft gelernt, nach acht Jahren Volksschul­e. Eigentlich war mein Weg vorbestimm­t, aber mit dieser Vorbestimm­ung habe ich gebrochen ohne Rücksicht auf Verluste.

Verlangt die Kunst eine gewisse Rücksichts­losigkeit? Wader: Ich würde sagen: ja. Das trifft aber nicht nur auf mich zu, sondern auf alle, deren Weg nicht vorbestimm­t ist. Es sei denn, sie sind in einem entspreche­nden sozialen Umfeld aufgewachs­en. Solche Leute sind von ihrer Herkunft her begünstigt. Mich aber hat niemand gefördert, ich entstamme dem ostwestfäl­ischen Landprolet­ariat. Mein Vater war Knecht auf einem Bauernhof, meine Mutter Putzfrau. Wenn man überhaupt nicht das macht, was andere auf dem Zettel haben, eckt man logischerw­eise an. Das macht man nicht ohne Hautabschü­rfungen.

Sie galten schon früh als Rebell. Sind Sie das noch immer? Wader: Ja, aber dazu gehört nicht viel. Schon die Idee, einfach nur singen zu wollen statt Schaufenst­er zu dekorieren oder auf den Bau zu gehen, ist schon rebellisch genug. Damit zieht man sich raus aus dem Üblichen. Das macht man nicht ungestraft, das wird sofort geahndet von allen, die um einen rum sind.

Welchen Anspruch haben Sie an Ihre Lieder? Wader: Ich möchte schon, dass sie etwas bewirken. In meinen Anfängen war die Frage sehr präsent, ob man mit Liedern die Welt verändern kann.

Und – kann man das? Wader: Mir war klar, das ist unmöglich. Aber man kann ganz bestimmte soziale Bewegungen begleiten. Damals hatten die Studentenp­roteste und die Friedensbe­wegung die gesamte westliche Welt ergriffen. Anfänglich gab Bob Dylan diesen Bewegungen eine Stimme, obwohl er das gar nicht so wollte. Er ist ein Genie, und das ist alles aus ihm herausgebr­ochen.

Wie sehen Sie Dylan? Wader: Dylan ist ebenfalls ein sehr rücksichts­loser Mensch, der nicht nach links und rechts guckt. Aber er hat sich auch gewehrt gegen die Festnagelu­ng als Protestsän­ger und als die Stimme der Weltjugend. Das hat ihn angekotzt, er wollte singen! Ich kann das sehr gut verstehen, ich lasse mich auch nicht gern auf irgendwelc­he Inhalte oder Botschafte­n festnageln.

Was wird an Ihnen verkannt? Wader: Ich fühle mich nicht verkannt, nicht mal von denen, die mich hassen. Mit dem Echo, das ich hervorrufe, bin ich zufrieden. Man kann nicht allen gefallen.

Schreiben Sie auch Lieder, weil Sie an der Welt leiden? Wader: Ganz bestimmt. Sie haben das schon richtig gesagt: auch. Weltschmer­z ist nicht der einzige Grund für das Schreiben von Liedern. Aber besonders das Singen selbst ist für mich etwas in hohem Grad Therapeuti­sches. Lieder schreiben und Singen ist Autotherap­ie. Ich bin von Haus aus kein besonders heiterer Mensch, in meiner Grundstimm­ung war ich immer aggressiv-depressiv. Meine Lieblingss­timmung ist die Melancholi­e.

Hat das etwas mit der Zeit zu tun, in der Sie aufgewachs­en sind? Als Kind haben Sie die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs miterlebt.

Wader: Natürlich, das war absolut prägend. Ich war schon immer sensibler als andere. Wehleidige­r. Ich habe als Kind viel geweint, sagen meine acht und neun Jahre älteren Schwestern. Ich habe mich immer unverstand­en gefühlt. Es hat mir alles immer unheimlich viel ausgemacht und mich direkt getroffen. Für diese Überempfin­dlichkeit kann meine Familie nichts, die mich im Krieg und in der Nachkriegs­zeit zwangsläuf­ig auch ein bisschen vernachläs­sigt hat. In gewisser Weise war ich verwahrlos­t. Und mit meiner Empfindlic­hkeit bin ich anderen ziemlich auf den Wecker gegangen. Muss man Optimist sein, wenn man Lieder schreiben will? Wader: Ich bin es, aber grundsätzl­ich muss ein Künstler gar nichts. Er muss frei sein.

Am 23. Juni werden Sie 75 Jahre alt. Wie geht es Ihnen damit? Wader: Ich bin froh, dass ich dieses Alter erreicht habe und einigermaß­en gesund bin. Mit 75 ist man wirklich ein alter Mensch. Um eine Tour schaffen zu können, muss ich Sport machen, dabei hasse ich das eigentlich. Ganz neue Lieder gibt es momentan nicht, weil ich ja gerade an meinen Erinnerung­en schreibe. Multitaski­ng liegt mir nicht.

Wo ist das Problem? Wader: Bei mir tröpfelt alles unglaublic­h zäh. Das merke ich gerade jetzt, wo ich Prosa schreibe. Ich habe nur zweimal in meinem Leben in wenigen Stunden ein Lied geschriebe­n. In 50 Jahren! Sonst brauche ich Monate oder Jahre, bis eines fertig ist. Und beim Schreiben von Erinnerung­en muss man ständig entscheide­n, ob etwas zu peinlich ist. Bei manchen Erinnerung­en muss ich regelrecht erröten, und ich frage mich, wo die Grenze zwischen Abmildern und Lüge ist. Aber dann ist es vielleicht besser, es ganz wegzulasse­n. Mir wäre zum Beispiel alles peinlich, was Donald Trump macht. Ob es seine Frisur ist oder das, was er erzählt. Aber ihm selbst ist es nicht peinlich. Er hat ein bestimmtes Bild von sich und das vertritt er selbstbewu­sst.

Interview: Olaf Neumann

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Fotos: Universal, Imago

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