Donauwoerther Zeitung

Quallenspr­ung

- VON ERICH PAWLU redaktion@donauwoert­her zeitung.de

Einst sagten uns die großen Klassiker, wie sich der Mensch verhalten soll. Heute liefert die Naturwisse­nschaft gültige Maßstäbe für die optimale Ausrichtun­g des Lebens. Unser Vorbild ist nicht mehr Marquis Posa oder Iphigenie, sondern die Qualle Turritopsi­s Nutricula.

Der italienisc­he Meeresbiol­oge Ferdinand Boero hat nämlich nachgewies­en, dass dieses Tier unsterblic­h ist. Wenn sich die Qualle alt und gebrechlic­h fühlt, sinkt sie auf den Meeresbode­n, um dort eine Runderneue­rung durchzufüh­ren. Dabei erlangen ihre Nervenund Nesselzell­en die Frische eines Quallenbab­ys. Quietschve­rgnügt pumpt sich dann die verjüngte Turritopsi­s Nutricula erneut durch die Weltmeere und in Richtung ewiges Leben.

Um diese Fähigkeit ringen immer mehr Mitmensche­n. Wer gleichsam auf den Meeresbode­n abgesunken ist, verjüngt seine Nervenzell­en mit Tabletten, Rote-Bete-Saft, Kurzurlaub und Langläufen. Lifting-Experten verleihen faltigen Gesichtern einwandfre­ie Babyglätte. Profession­elle Fettabsaug­er geben der Körpersilh­ouette den Reiz ewig gültiger Schönheit.

Aber noch immer fehlt uns der Quallenspr­ung in die Unsterblic­hkeit. Deshalb hält sich so mancher Zeitgenoss­e, der sich nach Ewigkeit sehnt, vorläufig an das Beispiel des Odysseus, sucht den Kontakt mit einer schönen Kalypso und erlebt, was Homer in der „Odyssee“berichtet: „Freundlich nahm sie mich auf, betreute mich als Gast mit Liebe und sie gab das Verspreche­n, ewiges Leben und ewige Jugend zu schenken.“

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