Die verrückte Reise des Herrn Köhn
Tour Der Lehrer aus Schwabmünchen radelt nach China. Um sein Abenteuer zu verwirklichen, verdient er sich mit Musik Geld dazu. Warum er nicht mehr als sieben Euro am Tag benötigt
Das, was der Mann mit der Gitarre singt, werden die wenigsten an diesem Nachmittag verstehen. Es geht um den zu tiefen Blick ins Glas. Um einen langen Nachhauseweg – nachts von Mellau bis Schopperau. Die Spaziergänger in Montenegros historischer Stadt Kotor finden’s gut, was der Deutsche da auf österreichisch singt. Auch wenn nur eine Handvoll Passanten nachvollziehen kann, worum es in dem Lied geht, verstehen sie immerhin, warum der junge Mann singt: „München – China 15000 Kilometer“steht auf seinem Schild geschrieben. Daniel Köhn aus Schwabmünchen will mit dem Fahrrad ans andere Ende der Welt. Ob das klappt? Er weiß es selbst nicht. Köhn probiert es einfach mal aus. Er hat dabei noch viel vor – und auf seiner ungewöhnlichen Reise schon einiges erlebt.
An diesem Nachmittag im historischen Zentrum der montenegrinischen Stadt Kotor singt er, als hätte er das Lied selbst geschrieben. Dabei kommt der 30-Jährige weder aus Österreich noch ist er Sänger von Beruf. Köhn lebt in Schwabmünchen und ist eigentlich Lehrer in Augsburg. Gemeinsam mit seiner damaligen Freundin wollte er die Welt-Rad-Tour machen. Doch aus dem gemeinsamen Plan wurde nichts, denn das Paar trennte sich. Das war jedoch kein Grund, die Rei- se abzublasen – im Gegenteil: „Freundin weg, ich hab’ keine Kinder und bin fertig mit dem Referendariat“, sagt Köhn, „dann hab’ ich mir den fernöstlichsten Punkt gesucht, den man mit dem Rad erreichen kann.“Am 3. April startete er mit 60 Kilogramm Gepäck und ein paar Freunden, die ihn auf den ersten Kilometern begleiteten, die Reise ins Ungewisse.
Täglich fährt er drauflos, ohne zu wissen, wo er die Nacht verbringen wird. Vor der Dämmerung sucht sich der Radfahrer eine ruhige Waldlichtung, nette Menschen, die ihren Garten zur Verfügung stellen, oder ein freies Feld. „Ich checke täglich das Wetter und entscheide dann, ob ich unter freiem Himmel schlafe oder das Zelt aufstelle.“
Auf der Suche nach Unterkünften hat Köhn bereits einiges erlebt: In Italien, wo horrende Strafen fürs Wild-Campen drohen, klingelte er an der Tür eines Fremden, um zu fragen, ob er sein Zelt im Garten aufschlagen könne. Ein Carabiniereöffnete und gab ihm zu verstehen, dass seine Polizeikollegen das nicht gutheißen würden. „Letztlich habe ich dann aber doch dort übernachten dürfen“, sagt der 30-Jährige. Ein anderes Mal bekam er selbst Besuch – nachts unter freiem Himmel. „Da war ein großes Tier. Ein Biber oder eine Bisamratte“, erinnert sich Köhn. „Ich habe alles versucht: Klatschen, schreien – nichts hat ge- holfen. Ohne wirklich geschlafen zu haben, bin ich dann weitergefahren.“
Noch schlimmer als nächtliche Besucher sind die Wetterkapriolen, denen der 30-Jährige ausgesetzt ist: Ein Tag seiner nun einmonatigen Reise brannte sich tief ins Gedächtnis des Schwabmünchners ein. „Ich war in Kroatien unterwegs, als ein Unwetter aufgezogen ist.“Eines, das er so noch nie erlebt hat. „Ich hab’ mein Rad geschoben. Doch der Wind war so heftig, dass er es mir aus den Händen gerissen hat“, sagt Köhn. Später habe er erfahren, dass es sich dabei um die „Bora“handelte, einen der gefährlichsten Winde der Welt. „An diesem Tag wollte ich einfach nur zurück nach Hause.“
Dieser Gedanke kommt ihm an diesem sonnigen Nachmittag in Montenegro nicht. Knapp 15 Euro hat er bereits in seinem Gitarrenkoffer liegen – „das bringt mich über zwei Tage.“Köhn will mit seiner Stimme, seiner kleinen Gitarre und seiner Mundharmonika täglich so viel Geld verdienen, dass er sich etwas zu essen und ab und zu einen Kaffee leisten kann. Geduscht oder Wäsche gewaschen wird bei fremden Leuten. Über das Online-Netzwerk „Warm Showers“findet der 30-Jährige Menschen, die ihr Zuhause für ein paar Stunden zur Verfügung stellen. Das nutzt er nicht nur, um zu waschen, sondern auch, „um mein Sozialkonto aufzufüllen“. Denn neben schlechtem Wetter und Schlafplatzsuche ist das Alleinsein eine große Herausforderung für den Sportler. „Es ist schön zu radeln, die Landschaft zu sehen, Länder zu entdecken, etwas zu erleben – aber manchmal tut es unglaublich gut, ein Gespräch zu führen.“Wann er wieder zu Hause in Schwabmünchen sein wird? „Meine Mama hätte gern, dass ich an Weihnachten wieder da bin.“Ob er das schafft, weiß der Hobbymusiker selbst noch nicht. Jetzt stehen erst einmal Albanien, Mazedonien, Nordgriechenland und die Türkei an. Danach soll es über den Iran nach Aserbaidschan gehen und von dort aus mit dem Schiff nach Kasachstan. „Ich meide keine Länder, außer Afghanistan und Pakistan.“
Gut 14 000 Kilometer trennen Köhn noch von seinem Ziel. Angst? Die hat der 30-Jährige nur vor seinem eigenen Fahrrad. „Ich hoffe, dass das Material nicht versagt.“Ein Notfall-Set zum Reparieren hat er zwar dabei, „aber irgendwo in Kasachstan zu stehen, weit und breit keine Häuser und nicht mehr weiterzukommen, wäre richtig hart“. Neben dem Reparaturset in der Satteltasche schleppt der Weltenbummler eine Kamera für Fotos für seinen Online-Blog „Bikebusker“mit sich und ein Ladegerät, das mit dem Dynamo verbunden ist. Das Handy ist das wichtigste Utensil in seinem Gepäck – es ist Navi, Kontakt nach Hause und Speicherplatz für die Hörbücher, die er auf den stundenlangen Fahrten hört.
Dabei träumt Köhn schon von seiner Ankunft, davon, dass er sich von China auf nach Vietnam macht und dort am Strand liegt. „Da kauf’ ich mir erst mal ein Bier und mache Wellness“, sagt Köhn, während ein Mann Geld in den Koffer wirft und ihn und sein schwer bepacktes Fahrrad bewundert. Er kommt aus Vietnam und wünscht ihm viel Glück. Dies ist eine Liebeserklärung an das Hotel Cipriani auf der Insel Giudecca im schönen Venedig. Ich lernte es vor 34 Jahren kennen und verliebte mich in den hinter Mauern verschlossenen Ort, wo ich das süße Leben vermutete und auch fand. Schön, blond und jung war ich mit meiner Freundin Margrit nach Venedig gefahren. Auf spendable Liebhaber hatten wir nicht warten wollen. Wir waren genusssüchtig, aber auch emanzipiert. Ein Mahagoniboot brachte uns rüber von San Marco. Am Anleger standen die Portiers Spalier. Unser Zimmer war rosengeschmückt, die Badewanne rund, und vom Bett aus sahen wir „Sissy“im Fernsehen. Wir zogen unsere Bahnen im riesigen Pool, und in unseren in Hamburg-Pöseldorf gerade erstandenen Jil-Sander-Kostümen konnten wir mithalten mit den anderen Gästen.
Wir genossen einen Traum. Bezahlt haben wir ihn mit unserer ersten eigenen Kreditkarte. Der Traum blieb ein Traum und das Cipriani unvergessen. Wann immer ich nach Venedig komme, setze ich über und werde von Roberto, dem zauberhaften venezianischen Doormann, wie eine Freundin begrüßt. Willkommen zu Hause! Eigentlich hat sich die Aura des Cipriani, von seinem Namensgeber 1958 gegründet, in all den Jahren nicht verändert. Heute gehört es zur BelmondGruppe, hat aber immer noch Einmaliges zu bieten: Einen duftenden Hortus conclusus zum Verschnaufen, den Bio-Garten des Sternekochs Bisetto, den riesigen Pool, einen Garten am Wasser, in dem das Frühstück serviert wird. Und 96 wunderschöne Zimmer und Suiten mit venezianischen Preziosen.
Für mich hat das Cipriani etwas von einem Dornröschenschloss. Ich freue mich auf die Menschen, die dort seit Jahrzehnten mit Liebe ihrer Arbeit nachgehen und für ihre Gäste fast alles tun würden. Natürlich habe ich längst eine romantische Beziehung zu dem Haus und bin darum auch ein wenig unzurechnungsfähig. Aber das Cipriani bestätigt mich immer darin, dass man sich hin und wieder auch selbst belohnen muss. Inge Ahrends