Donauwoerther Zeitung

Das Café als Arbeitspla­tz

Digitale Nomaden Laptop und Latte Macchiato – seit zwölf Jahren schwört das „Sankt Oberholz“in Berlin auf dieses Erfolgsrez­ept. Doch die Zeiten ändern sich

- VON ORLA FINEGAN

Berlin Tobias Schwarz wartet am Tresen des Cafés Sankt Oberholz in Berlin-Mitte. Ihm gegenüber gurgelt die Kaffeemasc­hine, der Milchaufsc­häumer zischt. Obwohl fast jeder Sitzplatz belegt ist, ist die Gesprächsk­ulisse eher gedämpft, viele Gäste sprechen gar nicht. In das Oberholz kommen die Menschen, um zu arbeiten. „Digitale Nomaden“werden sie gerne genannt, Menschen, die mit ihren Laptops und Smartphone­s lieber in einem belebten Café als im stillen Büro sitzen. Co-Working eben – alle arbeiten zusammen, aber jeder für sich.

Schwarz ist einer von ihnen, hat aber noch eine zentralere Rolle: Er ist der Co-Working-Manager im Sankt Oberholz, er ist dafür zuständig, dass im Café und in den CoWorking-Räumen, die zum Oberholz gehören, die Menschen glücklich sind. Er ist auch dafür zuständig, dass das Oberholz als Arbeitspla­tz-Café funktionie­rt. „Vor zwei Jahren etwa hat es sich verändert“, sagt Schwarz. Früher sei die Atmosphäre im Café eine andere gewesen. Offener, kommunikat­iver. Er sitzt mittlerwei­le an einem der Tische, ein junger Kellner bringt ihm einen „Flat White“und Schwarz nimmt einen Schluck. Noch vor kurzem hätte er sich den Kaffee selbst an der Theke holen müssen, doch genau damit ist es jetzt vorbei. Mit der Entscheidu­ng, die Gäste an den Tischen zu bedienen, hat das Café eine Diskussion ausgelöst – oder vielmehr mit der Begründung.

Denn Inhaber Ansgar Oberholz hat in einem Internetbl­og geschriebe­n, dass die Rechnung nicht mehr aufgehe: Die Gäste, die große Tische und kostenlos Strom und Internet bekommen, honorierte­n das An- nicht mehr mit entspreche­ndem Konsum. Immer mehr Gäste säßen stundenlan­g im Café, blockierte­n die Tische und hielten sich an einem Latte Macchiato für 3,40 Euro fest. Es sei sogar vorgekomme­n, dass manche ihre mitgebrach- ten Speisen ausgepackt oder nach heißem Wasser für ihre Fünf-Minuten-Terrine gefragt hätten – ohne mit der Wimper zu zucken. Seither schwirren immer mal wieder Service-Kräfte durch die Reihen der Tische und erinnern die Gäste ungebot aufdringli­ch daran, mal wieder etwas zu bestellen.

Das Sankt Oberholz hat sich seit seiner Eröffnung vor zwölf Jahren einen Namen gemacht, es gilt weltweit als Vorreiter der Co-WorkingSze­ne. Die Erfolgsges­chichten, die hier geschriebe­n wurden, ziehen an: Die Gründer des Online-Musikdiens­tes Soundcloud haben hier ihre Idee entwickelt, die ersten Mitarbeite­r rekrutiert­en sie aus den anderen Co-Workern. Und auch andere ehemalige Start-ups wie Zalando oder Hello Fresh nahmen am Rosenthale­r Platz ihre Anfänge.

„Zehn Jahre lang hat es funktionie­rt“, sagt Schwarz über das Prinzip der Selbstbedi­enung. Arbeiten im Café war anfangs revolution­är, spannend. Die Gäste identifizi­erten sich miteinande­r als Pioniere, man kannte sich untereinan­der. Doch mittlerwei­le, schreibt Oberholz in seiner Erklärung, richten die Gäste ihre gesamte Aufmerksam­keit auf ihre Laptops – viele vergessen schlicht das Essen und Trinken. Für ihn geht es darum, das Co-Working anzupassen. Und dafür haben er und Schwarz monatelang eine neue Strategie entwickelt. Sie haben Stammgäste befragt, verschiede­ne Konzepte weltweit miteinande­r verglichen und sich am Ende für den simplen Schritt der Bedienung entschiede­n. „Die absolute Wahrheit haben wir auch nicht gefunden“, sagt Schwarz. Aber es sei ein Konzept, das zu ihrer „Philosophi­e der Offenheit“passe. Die Alternativ­en wären gewesen, das freie WLAN zeitlich zu begrenzen oder den Gästen die im Café verbrachte­n Stunden zu berechnen. Jetzt aber bekommen die Gäste zusätzlich­en Service.

„Die Reaktionen sind positiv“, sagt Schwarz. Die Gäste seien froh, den Laptop nicht mehr unbeaufsic­htigt am Tisch lassen zu müssen, wenn sie koffeinhal­tigen Nachschub bräuchten. Und auch „die Umsätze sind seitdem gestiegen“, sagt Schwarz.

Die Rechnung geht nicht mehr auf

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Das „Sankt Oberholz“in Berlin gilt als Vorreiter der Co Working Szene. Zahlreiche Erfolgsges­chichten wurden hier schon geschriebe­n.

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