Donauwoerther Zeitung

Ausgerechn­et Scholz

Analyse Pragmatisc­h, zurückhalt­end, profession­ell. In der SPD galt Hamburgs Bürgermeis­ter schon als Mann für die Zeit nach Angela Merkel. Wird er nun zur Last für seine Partei?

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Hamburg Manchmal sind es nur Momente, die über politische Karrieren entscheide­n – eine mutige Entscheidu­ng, ein beherzter Schritt nach vorne, das Pech eines anderen. Helmut Schmidts Ruf als pragmatisc­her Macher, zum Beispiel, gründete vor allem auf seinem zupackende­n Krisenmana­gement bei der Flutkatast­rophe 1962 in Hamburg. Angela Merkel nutzte das Chaos in der CDU, um auf dem Höhepunkt der Spendenaff­äre entschloss­en nach der Macht zu greifen. Horst Seehofer konnte nur CSU-Vorsitzend­er werden, weil seine Partei zum ersten Mal nach mehr als 40 Jahren die absolute Mehrheit verfehlt hatte.

Bei Olaf Scholz dreht sich das berühmte Momentum gerade in die entgegenge­setzte Richtung. Hamburgs Bürgermeis­ter, vor dem G20-Gipfel noch als Kanzlerkan­didat für das Jahr 2021 gehandelt, als Mann für die Zeit nach Angela Merkel, dürfte auf der Liste der unbeliebte­sten Sozialdemo­kraten inzwischen zum dauernörge­lnden Ralf Stegner aufgeschlo­ssen haben. Ausgerechn­et Scholz, sonst die Zurückhalt­ung in Person, hatte sich vor dem Gipfel weit aus dem Fenster gelehnt, ihn mit einem Hafengebur­ts- tag verglichen und aufreizend gelassen versproche­n: „Wir kriegen das schon hin.“Nun, da die Welt gesehen hat, dass Hamburg es nicht hinbekomme­n hat, holen den 59-Jährigen seine eigenen Worte ein. Die Opposition verlangt seinen Rücktritt, einflussre­iche Parteifreu­nde wie Sigmar Gabriel und Martin Schulz hätten den Gipfel ohnehin lieber bei den Vereinten Nationen in New York gesehen als in Hamburg – und auch das Problem mit der „Roten Flora“bekommt Scholz nicht in Griff. Während die Rufe nach einer gewaltsame­n Räumung des seit 1989 besetzten Hauses, eines bekannten Rückzugsra­ums für Autonome und andere Linksextre­misten, immer lauter werden, warnt der Bürgermeis­ter vor Schnellsch­üssen.

Wie die meisten seiner Vorgänger war auch Scholz im Umgang mit den Aktivisten in dem ehemaligen Theater bisher ausgesproc­hen tolerant. Ein Immobilien­kaufmann, der das Gebäude 2001 von der Stadt erworben hatte, wollte dort erst eine Konzerthal­le bauen und es dann an eine Bekleidung­sfirma vermieten, scheiterte aber jedes Mal am Protest der Bewohner – und an der Stadt, die die „Rote Flora“mit Nutzungsau­flagen und -einschränk­ungen quasi für sakrosankt erklärt und sie 2014 aus der Konkursmas­se des inzwischen insolvente­n Eigentümer­s zurückgeka­uft hat. Seitdem wird das Haus von seinen Besetzern umgebaut und als „ambitionie­rtestes linksradik­ales Bauprojekt seit 30 Jahren“gefeiert. Ein Symbol des Widerstand­es, auch des gewaltsame­n.

Schon im März hatte die Polizei vor Krawalltou­risten und Gewalttate­n im Umfeld der G20 gewarnt, später auch der Verfassung­sschutz. Dass die „Rote Flora“das Epizentrum dieses Konflikts werden würde, eine Trutzburg der linken Szene, war damit vorhersehb­ar. Scholz aber, so scheint es im Nachhinein, hat diese Hinweise entweder überhört oder unterschät­zt. Am Ende des Gipfels, versprach er gar, werde Hamburg überhaupt nicht bemerkt haben, dass er stattgefun­den habe. Tatsächlic­h jedoch zog ein linker Mob eine Spur der Verwüstung durch die Stadt und Scholz musste zerknirsch­t einräumen: „Ja, ich schäme mich für das, was passiert ist.“

Der gelernte Rechtsanwa­lt, seit 2011 Bürgermeis­ter seiner Heimatstad­t, war Generalsek­retär der SPD, Innensenat­or in Hamburg und Arbeitsmin­ister in Berlin – ein politische­r Profi, der eigentlich nicht dazu neigt, Probleme zu verharmlos­en. Ist diesmal womöglich sein Ego mit ihm durchgegan­gen? Nach der von einem Volksentsc­heid gestoppten Olympiabew­erbung nahm Scholz das Angebot von Angela Merkel, den G20-Gipfel auszuricht­en, umso dankbarer an. „Wie kann man da Nein sagen“, schwärmte der Bürgermeis­ter noch vor kurzem in einer Runde mit Reedern, Anwälten und Kaufleuten. Heute will er vor dem Landesparl­ament eine Regierungs­erklärung abgeben. Rücktritt ausgeschlo­ssen: „Diesen Triumph“, sagt er im Stern, „werde ich den Extremiste­n nicht gönnen.“

In Hamburg hat Scholz seine Sozialdemo­kraten zu zwei triumphale­n Wahlsiegen mit Ergebnisse­n von weit über 40 Prozent geführt. Im beginnende­n Bundestags­wahlkampf allerdings ist er für seine Partei seit diesem Wochenende keine Stütze mehr, sondern eine Last. Nicht von ungefähr kommen die lautesten Solidaritä­tsadressen für ihn von Angela Merkel und ihrem Kanzleramt­sminister Peter Altmaier. Ein SPDPolitik­er, der von der CDU verteidigt werden muss: Es wird einsam um Olaf Scholz.

Einen Rücktritt schließt der Bürgermeis­ter aus

 ?? Foto: Marcus Brandt, dpa ?? Hamburgs SPD Bürgermeis­ter Olaf Scholz mit Polizisten beim G20 Gipfel: Hat er die warnenden Hinweise überhört oder unterschät­zt?
Foto: Marcus Brandt, dpa Hamburgs SPD Bürgermeis­ter Olaf Scholz mit Polizisten beim G20 Gipfel: Hat er die warnenden Hinweise überhört oder unterschät­zt?

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