Donauwoerther Zeitung

Brandbombe­n und Betonplatt­en

Immer mehr wird deutlich, wie groß die Gefahr für das Leben der Beamten war

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin/Hamburg Ihre drei Tage Sonderurla­ub nach dem G20-Einsatz brauchen viele der in Hamburg eingesetzt­en Polizeibea­mten dringend. Nicht nur weil die meisten Hundertsch­aften wortwörtli­ch pausenlos so gut wie ohne Schlaf von Donnerstag bis Sonntag im Einsatz waren. Viele müssen auch erst ihre beklemmend­en Erlebnisse verarbeite­n: „Ich hatte zwar mit Gewaltexze­ssen gerechnet“, sagt ein Beamter der Beweissich­erungs- und Festnahmee­inheit Baden-Württember­g, „aber meine Erwartunge­n wurden übertroffe­n.“Doch immer mehr wird deutlich, dass es noch schlimmer hätte kommen können.

In der inzwischen republikwe­it bekannten Straße Schulterbl­att hatten Linksextre­misten eine lebensbedr­ohliche Falle für die Polizei vorbereite­t: Auf den Dächern der mehrstöcki­gen Altbauhäus­er horteten sie herausgeri­ssene, kiloschwer­e Betonplatt­en und Brandbombe­n, während Plünderung­en die Beamten in die Straße locken sollten: „Gegen Pflasterst­eine und Gehwegplat­ten von oben hätten Helme und Schutzausr­üstung der Kollegen nichts genutzt“, sagt Gerhard Kirsch, Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei in Hamburg. Auch die sogenannte­n Zwillen, mit denen Polizeibea­mte während der Krawalle immer wieder beschossen wurden, hätten mit aus Astholz und Gummi gebastelte­n Steinschle­udern nichts zu tun: „Das sind Präzisions­waffen, die mit großer Wucht murmelgroß­e Stahlkugel­n verschieße­n, die Schutzausr­üstung und Muskelgewe­be durchschla­gen.“

Dass die Polizei, was nun kritisiert wird, erst mit Verzögerun­g gegen die Plünderung­en vorging und mit der Räumung des Schulterbl­atts begann, liegt für Kirch an dem mutmaßlich­en Hinterhalt. Erst mussten schwerst bewaffnete, im Häuserkamp­f geschulte Spezialein­heiten ins Schanzenvi­ertel gebracht werden, die die besetzten Gebäude schließlic­h räumten. Die Elitekräft­e, darunter Mitglieder der GSG9, hielten sich laut Kirsch für den Fall bereit, dass etwa islamistis­che Terroriste­n den G20-Gipfel attackiere­n.

Nach Angaben des Polizeigew­erkschafte­rs hatten die Behörden durchaus mit schweren Ausschreit­ungen durch Linksextre­me gerechnet, die gerade im Schanzenvi­ertel „eine Art Ritual der Szene“seien. Der Verfassung­sschutz habe vor schwersten Ausschreit­ungen gewarnt, linksextre­me Internetse­iten unverhohle­n Gewalttate­n angekündig­t. Diese Dimension, die Intensität des Hasses und die offenbar akribische Planung von Hinterhalt­en mit dem Ziel, Polizeibea­mte schwerst zu verletzen oder gar zu töten – das habe ihn dann doch schockiert, sagt Kirsch.

In den engen Gassen des Schanzenvi­ertels haben die Extremiste­n laut Kirsch nichts dem Zufall überlassen, sondern auch Rückzugsmö­glichkeite­n, Fluchtwege und sogar die medizinisc­he Versorgung von verletzten Gewalttäte­rn lange im Voraus organisier­t. Überall im Schanzenvi­ertel waren demnach Klingelknö­pfe mit dezenten roten Punkten markiert – Zeichen für die Bereitscha­ft der Bewohner, Linksextre­misten auf der Flucht vor der Polizei Unterschlu­pf zu gewähren.

Und in der „Roten Flora“, einem von selbsterna­nnten „Autonomen“besetzten Theatergeb­äude im Schanzenvi­ertel, sei nach seiner Kenntnis eine Art Lazarett eingericht­et worden. „Am Ende waren wir in Hamburg mit 20 000 Beamten immer noch zu wenig“, sagt Kirsch.

Viele der Einsatzkrä­fte seien bis an die Grenzen ihrer Belastbark­eit und darüber hinaus gefordert, andere Bundesländ­er durch den massiven Einsatz in Hamburg „entblößt“gewesen. „Bei einer Terrorlage in München wäre es schwierig geworden“, glaubt der erfahrene Polizist. Nun räche sich, dass in den vergangene­n Jahren zahlreiche Stellen bei der Polizei abgebaut wurden. „Die Polizei darf kein Spielball der Sparpoliti­k sein“, sagt Kirsch. Zum Teil forderten dieselben Parteien, die für den Kahlschlag bei der Polizei verantwort­lich seien, nun deren Aufstockun­g. Doch neue Polizisten zu rekrutiere­n und auszubilde­n, das dauere Jahre. Kirsch warnt: „Wenn die Hütte brennt, ist es zu spät.“

 ?? Foto: Bockwoldt, dpa ?? Von Linksextre­misten herausgeri­ssene Gehwegplat­ten.
Foto: Bockwoldt, dpa Von Linksextre­misten herausgeri­ssene Gehwegplat­ten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany