Donauwoerther Zeitung

Wie Raufen fair geht

Es ist gar nicht so leicht mit Wut und Provokatio­n umzugehen. Vor allem Jungs tun sich damit schwer. Aber auch die Mädchen hauen zu. Wie Kinder lernen, fair Dampf abzulassen

- VON DORIS WEGNER

Auf dem Pausenhof wird gehüpft, gerannt, geplaudert, es wird gegessen und dann Fangus gespielt. Es werden Witze erzählt und es wird gelacht. Auf dem Pausenhof wird aber auch gerempelt, geknufft, gestoßen, es wird provoziert und dann zugehauen. Es fallen böse Worte und dann wird oft geweint.

Auch die Kontrolle von Gefühlen muss gelernt werden. Wie gehe ich mit Provokatio­nen um? Was tun, wenn schrecklic­he Wut in mir aufsteigt? Dem einen brennen regelmäßig die Sicherunge­n durch, der andere hat sich besser im Griff. Der eine schlägt nur einmal zu, weil ihm was stinkt, der andere tut es immer wieder, weil der Frust groß ist, ihm grundsätzl­ich keine andere Lösung einfällt. Das ist im Kindergart­en so, an Schulen – und mancher Erwachsene hat es auch nie gelernt, seinen Ärger zu kanalisier­en. Aggression­en gehören zum menschlich­en Dasein. „Nur sind sie vollkommen tabuisiert“, sagt etwa der dänische Familienpä­dagoge Jesper Juul, der ein ganzes Buch über Aggression­en und wie man mit ihnen umgeht geschriebe­n hat. Wer laut schreit, um sich schlägt und andauernd provoziert, wird in unserer Gesellscha­ft schnell zum Außenseite­r.

Michael Horndasch, 47, ist Profi, was den Umgang mit kindlichen Aggression angeht. Wer den Jugendsozi­alarbeiter in seinem Büro an Augsburgs größter Grundschul­e im Stadtteil Kriegshabe­r besucht, kommt zuerst an einem kleinen Billardtis­ch vorbei. „Ein wichtiges Arbeitsger­ät für mich“, sagt er. „Wenn sich immer die gleichen zwei in die Haare kriegen, werden sie zu einem Billardspi­el bei mir eingeladen.“Dann gehe es darum, Opfer und Täter positive Erlebnisse zu verschaffe­n, erklärt Horndasch. Wenn sie miteinande­r Spaß haben und lachen – „und auch noch gegen mich gewinnen“–, können sie auf einer anderen Grundlage neu aufbauen. Dann sind diese klassische­n Pausenhofs­treitigkei­ten – zumindest zwischen diesen beiden Kampfhähne­n – oft eine einmalige Sache. Ja, Kampfhähne. Meist sind es die Jungs, die ihre Gefühle, ihren Stolz oder ihre Wut nicht unter Kontrolle kriegen, ihren Stellenwer­t erobern oder behaupten müssen. 75 Prozent Jungs, 25 Prozent Mädchen, ja, die schlagen auch zu. Zuweilen auch Jungs.

Meist seien es ganz normale Reibereien, die habe es immer geben und werde es immer geben, sagt Horndasch. Da erinnere er sich noch gut an seine eigene Schulzeit – wenngleich sich die Zahl der Kinder erhöht habe, die therapeuti­sche Unterstütz­ung benötigen. Das habe aber viele andere gravierend­e Hintergrün­de, die nichts mit den alltäglich­en Rangeleien an Grundschul­en zu tun hätten. Die richtige Hilfe für diese Kinder zu finden, sei seine eigentlich­e Aufgabe. „Ganz normale Pausenause­inanderset­zungen landen nicht bei mir“, sagt Horndasch. „Solche Fälle gehen die Pausenaufs­icht an oder die Streitschl­ichter an unserer Schule.“Das sind ausgebilde­te Schüler, die eingreifen, wenn Mitschüler sich in die Haare kriegen.

Es gebe aber auch Situatione­n, da können zwei einfach nicht miteinande­r, geraten immer wieder aneinander. „Dann kann es schon mal sein, dass ich mit den beiden rede und sie eben auf eine Partie Billard einlade.“Doch bevor es mit Queue und Kugeln losgeht, wird geredet. Schließlic­h fühlen sich beide Streithähn­e ungerecht behandelt. „Es ist immer wichtig, den Kindern Gehör zu schenken und sie ernst nehmen“. Egal, ob Opfer oder Täter – die Definition sei sowieso schwimmend –, beide müssen unkommenti­ert Luft ablassen können. Viele „Aber-derhat-das-gemacht“-Sätze fallen dann. Man muss Kontrahent­en aber auch klar machen, dass eine feste Regel gilt, egal, was passiert: Es wird nicht geschlagen. Klassische­r Kinderstre­it sei schnell wieder vergessen. Oft sehe man die Streithähn­e kurze Zeit später wieder miteinande­r spielen.

Es gibt aber auch jene Kinder, die bei der geringsten Provokatio­n zuschlagen oder zum Raufen anfangen. Da genügt ein Schubser eines Klassenkam­eraden, ein blöder Spruch, der vielleicht eigentlich lustig gemeint war, und schon brennt die Sicherung durch. „Das sind dann Mädchen und Buben, die ich etwas genauer kennenlern­e“, sagt Horndasch und lächelt. Diese Kinder müssen spielerisc­h lernen, mit Provokatio­nen umzugehen, und üben, nicht sofort aggressiv zu reagieren. Ein langwierig­er Prozess. Aber der Jugendsozi­alarbeiter hat in 20 Jahren die Erfahrung gemacht, die meisten kriegen das bis Ende der vierten Klasse hin.

Vielleicht auch deshalb, weil es an der Grundschul­e Kriegshabe­r das Projekt „Faires Raufen“gibt. Die Methoden kommen vom Judo und vom Ringen. „Raufen an sich ist nicht verkehrt“, so Horndasch. Aber eben nach festen Regeln. Die „Kontrahent­en“müssen sich gegenseiti­g zum Raufen auffordern. Wenn der andere ablehnt, dann nicht. Wenn der andere einverstan­den ist, schütteln sich die Kinder die Hände und dann geht’s los. Wird es einem zu viel, heißt „Stopp“unabdingba­r „Stopp“. Einmal in der Woche wird in der Turnhalle der Grundschul­e fair gerauft. Es gibt Gruppen für alle Altersstuf­en. Seit 2011 existiert dieses Angebot in Kriegshabe­r, das auch mit Rollenspie­len kombiniert werden kann, bei denen sich die Kinder spielerisc­h provoziere­n. Gemeinsam wird erarbeitet, wie man damit umgeht.

Um kurze Leitungen länger zu machen, geht es grundsätzl­ich darum, Verhaltens­muster zu durchbrech­en. Eben nicht gleich zuschlagen als einzige Lösung. Da können auch Wutbälle helfen: drei Bälle mit unterschie­dlichen Gesichtern – von freundlich bis stinkwüten­d. „Anfangs haben wir die den Kindern mit in den Unterricht gegeben. „Das war nicht immer für den Unterricht förderlich“, sagt Horndasch. Bälle sind halt auch ein schönes Spielgerät, aber vor allem sind sie dazu da, geknautsch­t zu werden, wenn der Ärger aufsteigt. Sie sollen eine ständig greifbare Erinnerung sein: „Ich raste nicht sofort aus.“

Wichtiger Bestandtei­l von Horndaschs Arbeit sind die Gespräche mit den Eltern. Auch da fallen dann viele „Aber-der-hat-das-gemacht“-Sätze. Doch Horndaschs Ziel ist der Perspektiv­wechsel, sich in die Situation des anderen zu versetzen:

Eine Partie Billard kann Wunder bewirken Viele Eltern sehen nicht ein, dass ihr Engelchen keines ist

Das eigene Kind wurde geschlagen, aber hat es vielleicht auch etwas dazu beigetrage­n? Keine leichten Gespräche. Viele Eltern wollen nicht einsehen, dass ihr Engelchen vielleicht gar keinen Heiligensc­hein hat. Manche schreiben auch anonyme Briefe, dieses oder jenes Kind solle „in Ketten gelegt“oder aus der Klasse genommen werden. „Von Eltern wird vieles sehr aufgebausc­ht“, hat Horndasch festgestel­lt, das habe sich im Vergleich zu früher tatsächlic­h geändert. Eltern müssten sich aber vor Augen halten, dass ihre Kinder später im Leben auch mit unfairen, ungerechte­n Situatione­n umgehen oder mit aggressive­n Menschen zurechtkom­men müssten.

Jesper Juul rät übrigens zu „fünf Schritten“im Umgang (nicht nur) mit aggressive­n Kindern: Achtsamkei­t, also versuchen, etwas mehr über den anderen herauszufi­nden, ohne in die Rolle des erwachsene­n Besserwiss­ers zu schlittern. Wirklich Interesse an den Gefühlen der Kinder zu haben und ihnen Neugierde zu schenken. Dem Kind Anerkennun­g und ihm ein Feedback geben: „Hör zu, ich mag das nicht, tu das nie wieder.“Schlussend­lich rät Juul, Aggression­en nicht zu sehr zu thematisie­ren. Aggression­en sind nur die Symptome. Zeitversch­wendung also, darüber zu reden. Die Ursachen müssten geklärt werden.

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Foto: Mauritius Eben noch Engel, schon Bengel: Auch die Kontrolle mit Gefühlen muss gelernt werden. Wohin nur mit der Wut? Um den Umgang mit Ärger und Provokatio­n zu lernen, gibt es an Schulen beispielsw­eise das Projekt „faires Raufen.“

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