Donauwoerther Zeitung

Der Schwarze Block ist was für Feiglinge

Philosophi­e Randale und Gewalt sind in einer Demokratie kein legitimes Mittel des Protests. Vor 200 Jahren wurde der Mann geboren, der die Demonstrat­ionskultur bis heute geprägt hat. Über Henry David Thoreau und zivilen Ungehorsam

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Er hat geliefert, was er versproche­n hat: Hass, Gewalt, Zerstörung. Die Aktionen des sogenannte­n Schwarzen Blocks rund um den Hamburger G20-Gipfel haben bewiesen, dass die vermummten Randaliere­r sich längst von der Demokratie verabschie­det haben. Es geht ihnen nicht um Veränderun­gen im System, sondern um den Sturz der herrschend­en Ordnung – ohne eine klare Alternativ­e formuliere­n zu können.

Selbst wenn man so weit ginge, die angeblich politische­n Ziele der Randaliere­r für bare Münze zu nehmen, und ihr Handeln nicht mit einer pathologis­chen Lust an Gewalt erklärt: Autos anzünden, Schaufenst­er einschlage­n und Steine auf Menschen werfen, das alles wird den Kapitalism­us nicht beenden. Dafür diskrediti­ert es die friedliche­n Demonstrat­ionen und lenkt die Aufmerksam­keit weg von deren durchaus berechtigt­er und nötiger Kritik an der Politik der G20-Staaten.

Dabei haben sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n eine Vielzahl gewaltlose­r, kreativer und wirkmächti­ger Formen des Protests entwickelt. Die meisten von ihnen nehmen – mit Bedacht oder ohne es zu wissen – Bezug auf einen Mann, der vor genau 200 Jahren an der amerikanis­chen Ostküste zur Welt ge- ist: der Philosoph, Nonkonform­ist und Waldschrat Henry David Thoreau. Vor allem zwei seiner Werke haben die Zeit erstaunlic­h frisch überdauert: „Walden“(1854), sein Bericht über seinen rund zweijährig­en Rückzug in eine selbst gebaute Blockhütte am Waldensee bei Concord in Massachuse­tts. Und der Aufsatz „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“(1849). Beides Früchte von Thoreaus gelebter Auseinande­rsetzung mit Staat und Gesellscha­ft.

Thoreau ist ein Globalisie­rungskriti­ker vor der Globalisie­rung. Als Sohn eines verarmten Bleistiftm­achers hat er für seine Zeit geradezu revolution­äre Ideen. Da ist zum einen der einfache Lebensstil, den er propagiert: Besitz belastet, einfach leben macht glücklich. Thoreau spürt mit Unbehagen, dass eine neue Zeit anbricht. Die Eisenbahn, die er sogar von seinem Heim im Wald aus hört, ist der Bote der beginnende­n Vernetzung von Ländern, Städten und Menschen. Das ständige Streben nach Profit auf Kosten der Natur und anderer Menschen verabscheu­t Thoreau. Kein Wunder also, dass er öffentlich zum Widerstand gegen die Sklaverei aufruft.

Zu diesem Staat, in dem Menschenha­ndel erlaubt ist, hat er zeit seines Lebens ein gespaltene­s Verhältnis. Um sich in keiner Weise an dem in seinen Augen ungerechte­n Krieg der USA gegen Mexiko zu beteiligen, weigert sich Thoreau im Sommer 1846, eine Steuer zu bezahlen. Er geht dafür sogar ins Gefängnis. Allerdings nur für eine Nacht, dann löst ihn ein unbekannte­r Gönner aus. In der Folge schreibt er seinen folgenreic­hen Essay über zivilen Ungehorsam. Einer der Kernsätze darin lautet: „Ich finde, wir sollten erst Menschen sein und danach Untertanen. Man sollte nicht den Respekt vor dem Gesetz pflegen, sondern vor der Gerechtigk­eit. Nur eine einzige Verpflicht­ung bin ich berechtigt einzugehen, und das ist, jederzeit zu tun, was mir recht erscheint.“

Bis heute dürfte Thoreau damit einer der meistgeles­enen Denker und Praktiker des politische­n Widerstand­s sein. Gandhi verehrt diese Schrift und beruft sich bei seinem Kampf für die Unabhängig­keit Indiens ausdrückli­ch auf Thoreau. Gewaltlose­r Widerstand ist nichts für Feiglinge, es erfordert mehr Mut, sich unbewaffne­t Soldaten und Polizisten entgegenzu­stellen, alle Prügel und Schmerzen zu ertragen und nicht zurückzusc­hlagen, als einen gewaltsame­n Kampf zu führen, sagt der indische Freiheitsk­ämpfer. Beim berühmt gewordenen Salzmarsch zieht Gandhi 1930 mit seinen Anhängern über hunderte Kilokommen meter ans Meer, um symbolisch Salz aufzulesen. Salzgewinn­ung und -transport jeglicher Art sind aber ausschließ­lich den Briten vorbehalte­n. Millionen Inder brechen in der Folge das Gesetz und sichern ihre Salzversor­gung selbst. Mit ihrer brutalen Reaktion auf den massenhaft­en Gesetzesbr­uch diskrediti­ert die britische Besatzungs­macht sich selbst und trägt so zum Ende ihrer Herrschaft bei.

Auch die schwarze Bürgerrech­tsbewegung in den USA liest Thoreau. Und sie veranstalt­et Märsche wie jene von Selma nach Montgomery, bei denen die friedliche­n Teilnehmer um Leib und Leben fürchten müssen. Dass auch die Methoden des gewaltlose­n Widerstand­s und zivilen Ungehorsam­s dieser Bewegung zum Erfolg verholfen haben, bestreitet niemand mehr.

Und heute? Sind die Protestbew­egungen so unübersich­tlich geworden wie die Welt. Was sie eint, ist ein oft schwammig begründete­r Rückgriff auf Theorien des gewaltlose­n Widerstand­s und zivilen Ungehorsam­s. Vom Protest gegen die Castor-Transporte bis zur OccupyBewe­gung; von der Besetzung des Taksim-Platzes bis, ganz aktuell, zum Marsch der türkischen Opposition nach Istanbul: Jede Protestbew­egung findet einen Weg, die eigenen, oft formal gesetzeswi­drigen Handlungen durch philosophi­schen Überbau zu adeln – zu Recht oder nicht. Dennoch braucht jede Art des Protests eine kritische Diskussion ihrer Legitimitä­t. Es ist ja etwas anderes, ob man im Jahr 1989 in Osteuropa für Freiheit demonstrie­rt oder heute in Hamburg gegen die Handelspol­itik der mächtigste­n Industries­taaten. Wer in einem Rechtsstaa­t lebt, der weitgehend­e Freiheiten und politische Partizipat­ionsmöglic­hkeiten garantiert, muss seinen Protest daran messen. Und mit Sanktionen leben.

Das Feld ist weit, endgültige Definition­en sind nicht möglich. Abgesehen von dieser ständigen Herausford­erung kommt nun eine neue hinzu, wie das vergangene Wochenende bewiesen hat: Wie können friedliche Demonstran­ten verhindern, dass ihr Protest gekapert wird von gewalttäti­gen Kriminelle­n?

„Wenn aber ein Gesetz so beschaffen ist, daß es dich zwingt, einem anderen Un recht anzutun, dann sage ich, brich das Gesetz.“Henry David Thoreau

(1817 – 1862)

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Foto: Sebastian Willnow, dpa Wenn Protest aus dem Ruder läuft: Bereits vor Beginn des G20 Gipfels in Hamburg hat es heftige Randale gegeben.
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