Junger Kesseltaler muss ins Gefängnis
Prozess Nach dem Faschingsumzug in Mertingen fährt ein betrunkener 20-Jähriger ungebremst in eine Leitplanke. Einer seiner zwei Mitfahrer stirbt. Wie das Urteil des Amtsgerichts ausfällt
Tapfheim/Dillingen Nur selten schaut der 20-Jährige von seiner Anklagebank hoch. Wie versteinert sitzt er auf seinem Stuhl. Er ist Schuld am Tod seines besten Freundes. Schuld, weil er sich mit 1,2 Promille Alkohol im Blut ans Steuer setzte. „Wenn ich in der Früh aufstehe ...“, beginnt er seinen Satz vor dem Amtsgericht Dillingen. Doch seine Worte verstummen. Er wischt sich mit den Händen die laufende Nase ab, schluckt und schaut wieder auf seinen Tisch. Er muss ins Gefängnis. Das wurde nun im Prozess entschieden.
Es ist der 5. Februar dieses Jahres. Der Angeklagte und zwei seiner Freunde verlassen den Faschingsumzug in Mertingen – im Auto. Trotz seines Alkoholpegels fährt der Angeklagte los. Mit ihm seine beiden volltrunkenen Kumpels. Nach Lauingen haben sie gewollt, wie beim Prozess dargestellt wurde. Doch die Erinnerung der Beteiligten ist voller Lücken. Nur der Ange- klagte und ein Mitfahrer können vor Gericht aussagen. Der dritte im Bunde – ein 23-Jähriger aus dem Bereich der Gemeinde Tapfheim – ist tot. Gestorben durch den starken Aufprall. Die Todesursache: Genickbruch.
Mit einer Geschwindigkeit von maximal 90 Kilometern die Stunde braust der Angeklagte von Fristingen kommend geradeaus über die Staatsstraße zwischen Dillingen und Holzheim. Ohne die Geschwindigkeit zu mindern, rast er auf die Leitplanke zu, der Wagen prallt gegen einen Baum. „Es gab keine Bremsspuren auf der Fahrbahn“, erklärt ein Sachverständiger. Angeschnallt war zu dem Zeitpunkt weder der Angeklagte noch das gestorbene Opfer. Nur ein paar Schnäpse seien es gewesen, versichert der Fahrer. „Und ein, zwei Bier.“
Eigentlich wollten sich die drei jungen Männer zwischen 20 und 23 Jahren abholen lassen. Sie änderten ihre Meinung. Seither durchzieht eine große Narbe den Hinterkopf des Angeklagten. Auch an der Stirn sind die Folgen des Unfalls zu sehen. Der 20-Jährige fiel nach dem Unglück ins Koma. Seine Lunge arbeitet nicht mehr einwandfrei. Darum kann er heute nicht mehr so intensiv Sport machen wie vor dem Unfall. Aus den Zuschauerreihen ertönt Gelächter. „Der Unfall hat ihn sehr geprägt und getroffen, auch wenn das Publikum das vielleicht nicht so sehen mag“, erklärt sein Anwalt vor der Urteilsverkündung. In seinem Wohnort im Kesseltal erfährt der junge Mann seit der Tat viel Ablehnung. „Wenn ich rausgehe, werde ich angestarrt.“Dabei verzieht er keine Miene. Sein Blick wirkt leer.
Viele Freunde von damals hätten sich abgewandt. „Er wird von Teilen der Bevölkerung geschnitten“, berichtet der Anwalt. Und das, obwohl die Familie des getöteten Opfers an keiner Strafverfolgung interessiert sei. Sie waren beste Freunde, fuhren zusammen in den Urlaub, tranken Bier, gingen auf Partys. Mit dem Verlust komme der Angeklagte kaum zurecht. Nur schwer könne er in den Spiegel schauen, heißt es von der Verteidigung.
Auch der Mitfahrer ist von dem Unfall gezeichnet. Sein linkes Auge hängt leicht herunter und eine große Narbe ziert sein Gesicht. Er hatte eine gesplitterte Augenhöhle, Platzwunden, einen Nasenbeinbruch. Elf Tage lag er im Krankenhaus. Auch er ist schwer betrunken am Abend des 5. Februar. Nicht nur körperlich verfolgt ihn die Tat. „Man denkt da dran und träumt davon“, sagt er.
Der Angeklagte wurde in der Vergangenheit bereits dreimal zu Jugendstrafen verurteilt. Immer auf Bewährung. Dieses Mal entschied das Gericht anders. „Trotz offener Bewährung haben Sie sich alkoholisiert ans Steuer gesetzt“, sagt Richterin Gabriele Held. „Damit ist ein normales Leben für die Hinterbliebenen unmöglich.“Zwei Jahre und acht Monate Haft nach Jugendstrafrecht – so lautet das Urteil. Schuldig gesprochen wegen fahrlässiger Körperverletzung und Tötung, Gefährdung des Straßenverkehrs und Alkohol am Steuer.
Neulich fuhr vor mir ein Lieferwagen mit der Aufschrift „Dunkelstrahler“. Von strahlender Dunkelheit hatte ich noch nie gehört. Ich stellte mir eine Lampe vor, die den Raum am helllichten Tag auf Knopfdruck in tiefste Finsternis taucht und sinnierte, wo diese Lampe wohl eingesetzt werden könnte. Vielleicht in Skandinavien, wenn es monate- und nächtelang nicht dunkel wird? Gut, Rollläden und blickdichte Vorhänge würden wohl auch genügen, aber so ein Dunkelstrahler hat schon was.
Ein Blick ins Internet hat mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Ein Dunkelstrahler ist ein elektrischer Infrarot-Heizstrahler, bei dem man im Unterschied zum Hellstrahler die infraroten Heizelemente nicht sieht. Aha. Doch nicht genug: Der Dunkelstrahler hat mich zu einem weiteren Paradox geführt: dem Leisesprecher. Das ist der Name eines Lautsprechers, der damit wirbt, dass Musik auch leise möglichst perfekt klingen soll. Aber man sollte sich wohl gar nicht wundern. Rennschnecken gibt es schließlich auch.