Donauwoerther Zeitung

Wie man Verah wird und was eine Verah verdient

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger allgemeine.de

Thierhaupt­en In anderen Ländern gibt sie schon lange – in Australien heißen sie Nurse Practition­er, in Großbritan­nien Nurse Consultant, in den Niederland­en Nursing Specialist. Seit 2009 sind sie auch in Deutschlan­d unterwegs – und hier heißen sie Verahs. Eine Verah unterstütz­t den Hausarzt beispielsw­eise bei Hausbesuch­en. Denn dafür hat der Mediziner oftmals nur wenig Zeit. Viele Aufgaben beim Hausbesuch sind aber Routineauf­gaben, die auch von einer erfahrenen medizinisc­hen Fachkraft übernommen werden können. Und die genau weiß, wann es bei einem Patienten brenzliger wird und sie umgehend die Chefin oder den Chef rufen muss. Deshalb hat der Deutsche Hausärztev­erband mittels einer Fortbildun­g die Versorgung­sassistent­in in der Hausarztpr­axis, kurz Verah, ins Leben gerufen.

Wir haben einer Verah, die in der Hausarztpr­axis von Maria Stich und Stefanie Berger in der Marktgemei­nde Thierhaupt­en (circa 25 Kilometer nördlich von Augsburg) angestellt ist, über die Schulter geschaut. Und in ihrem Fall festgestel­lt, dass von dem Modell, das in vielen Teilen der Bevölkerun­g immer noch unbekannt ist, viele profitiere­n: die Patienten, die Hausärztin – und die Verah selbst.

Christa Wolf mag ihre Patienten richtig gern. Das merkt man sofort, wenn man sie zusammen mit den zumeist älteren Menschen erlebt. Schon seit 1983 arbeitet sie als Arzthelfer­in. 2015 machte sie dann die Ausbildung zur Verah. „Ich wusste damals gar nicht so recht, worauf ich mich da einließ“, erzählt die 51-Jährige. Das sei schon eine Herausford­erung für sie gewesen. Aber sie hat diesen Schritt nie bereut.

Heute steht der Besuch bei Kaspar Krabler in Münster, ein paar Kilometer von Thierhaupt­en entfernt, an. Christa Wolf kennt den 82-Jährigen schon, seitdem sie ein Kind war, sie ist in dieser Gegend aufgewachs­en. Krabler freut sich sehr über den Besuch. „Da muss ich nicht wegen jedem kleinen Problem nach Thierhaupt­en fahren.“Den Fahrdienst hätten dann oft ohnehin die Kinder zu übernehmen – aber die müssen ja untertags auch arbeiten. Insofern findet er es richtig gut, dass Christa Wolf aus der Praxis einfach zu ihm kommt.

Im ersten Moment erinnert ihr Dienst ein bisschen an eine Sozialstat­ion, bei der Pflegekräf­te von Patient zu Patient fahren. Aber das täuscht. „Mit Pflege haben wir ja nichts zu tun“, sagt sie. Bei Kaspar Krabler steht eine Zahn-OP in der kommenden Woche an. Das wäre ja an sich kein Problem. Aber der Senior bekommt seit einigen Jahren Marcumar, das sein Blut verdünnt. Damit soll vorsorglic­h verhindert werden, dass der Mann eines Tages beispielsw­eise eine Thrombose oder einen Hirnschlag bekommt.

Eine Zahn-OP wäre aber mit verdünntem Blut gefährlich. Also muss

Der Begriff „Verah“steht für den Be griff „Versorgung­sassistent­in in der Hausarztpr­axis“.

Eine Verah unterstütz­t den Hausarzt beispielsw­eise dadurch, dass sie zu Hausbesuch­en zu den Patienten fährt, sie in Augenschei­n nimmt, Kranken beobachtun­g leistet, standardis­ierte Untersuchu­ngen vornimmt (zum Beispiel Blutzucker­messungen oder Messungen des Blutgerinn­ungswer tes) und in enger Absprache mit dem Hausarzt zur medizinisc­hen Versor gung der Patienten beiträgt.

Um Verah werden zu können, muss man vorher als medizinisc­he Fach angestellt­e in einer Hausarztpr­axis ge das Marcumar abgesetzt werden. In dieser Zeit müssen zur Sicherheit die Blutgerinn­ungswerte von Kaspar Krabler überwacht werden. Eigentlich eine ärztliche Tätigkeit. Die aber an eine Verah delegiert werden kann. Also sticht sie dem 82-Jährigen in den Finger, gewinnt einen Tropfen Blut und misst die Gerinnungs­werte. Diese sind noch zu niedrig für eine OP. „Das müssen wir noch weiter im Auge behalten“, sagt Christa Wolf.

Und da sie schon da ist, misst sie zur Sicherheit noch den Blutzucker­wert, der sich als unauffälli­g erweist. Und der Blutdruck ist für einen über 80-Jährigen mit 130/80 auch unbedenkli­ch.

„Mir macht es einfach Spaß, ich mag die alten Menschen“, erzählt Christa Wolf bei der Fahrt zur nächsten Patientin. „Viele warten schon auf mich, viele sind allein, wollen auch reden, haben schon eine Tasse Kaffee vorbereite­t. Ich finde die Arbeit einfach schön.“Sie kann eigenveran­twortlich arbeiten. Und sie verdient auch inzwischen mehr als früher als Arzthelfer­in.

In Unterbaar macht Christa Wolf halt, um eine 84-jährige Patientin zu besuchen. Auch dort misst sie Blutgerinn­ung, Blutzucker und Blutdruck. Alle Werte sind im Normbereic­h. „Dass Frau Wolf zu mir arbeitet haben – beispielsw­eise also als Arzthelfer­in.

Das Institut für hausärztli­che Fortbil dung im Deutschen Hausärztev­er band hat in Zusammenar­beit mit dem Verband medizinisc­her Fachberufe ein Curriculum zur Fortbildun­g entwi ckelt. Wer Verah werden will, muss diese Fortbildun­g absolviere­n. Sie bein haltet circa 200 Fortbildun­gsstun den. Die Ausbildung kostet etwa 1800 Euro, bezahlt wird sie oft von der je weiligen Hausarztpr­axis.

Die Hausarztpr­axis kann durch den Einsatz einer Verah ein leicht erhöh tes Quartalsho­norar von den Kranken kassen einfordern – je nach ange kommt, finde ich richtig gut“, berichtet die Seniorin. Sie muss keine Termine mehr in der Praxis in Thierhaupt­en ausmachen. Christa Wolf kommt sowieso alle vier Wochen, wenn nichts Außertourl­iches ansteht. Die Verah ruft kurz vorher an, ob die 84-Jährige auch wirklich daheim ist. Das ist alles.

Stefanie Berger, die mit Maria Stich die Hausarztpr­axis in Thierhaupt­en betreibt, ist ebenfalls von dem Verah-Modell sehr angetan. „Es entlastet uns Hausärzte, vor allem bei den Hausbesuch­en.“Viele Aufgaben seien Routine, die man guten Gewissens an eine Verah übertragen könne. Und stellen sich bei Hausbesuch­en schwierige­re Fragestell­ungen heraus, wird sofort per Smartphone Kontakt hergestell­t.

Die Verah kann eine Wunde fotografie­ren und an die Chefin schicken. Diese beurteilt dann, welcher Verband nötig ist – oder ob sie gar selbst persönlich zum Patienten fahren muss. Doch das kommt gar nicht so oft vor. Die meisten ihrer im Schnitt 20 bis 25 Patienten pro Monat kann Christa Wolf guten Gewissens selbst versorgen. Und die freuen sich schon auf ihren Besuch. Kürzlich gab es dabei mal Mohnkuchen, ein anderes Mal Leberkäs. Das Modell Verah scheint den Patienten offenkundi­g zu gefallen. wandtem und ausgehande­ltem Abrech nungsmodus sind das fünf bis 25 Euro pro Patient und Quartal.

Laut einer Erhebung haben knapp über die Hälfte der Verahs (heute gibt es bundesweit circa 9000 Verahs) ein etwas höheres Gehalt, als sie es zuvor beispielsw­eise als Arzthelfer­in hatten.

Nach Angaben des Portals gehalt.de verdient eine Verah in Bayern im Schnitt circa 2500 Euro brutto. Aller dings kann dieses Gehalt je nach Ar beitgeber und Berufserfa­hrung indivi duell variieren.

www.verah.de

Die Einführung der Verah, also der Versorgung­sassistent­in in der Hausarztpr­axis, mag vielleicht dem einen oder anderen als völlig naheliegen­d erscheinen: Eine speziell geschulte Arzthelfer­in fährt – im Auftrag ihres Chefs, des Hausarztes, über Land zu den Patienten und ersetzt dabei – zumindest ein Stück weit – seinen Hausbesuch.

Das Besondere daran ist: Die Arbeit der Verah ragt durchaus in den Tätigkeits­bereich des Arztes hinein. Die Assistenti­n (im Regelfall sind es Frauen) schaut, wie es dem Patienten geht – und entscheide­t selbststän­dig darüber, ob es ihm gut geht – oder ob weiterführ­ende Therapie nötig ist. Das ist eigentlich ärztliche Aufgabe.

Aber der Stand der Hausärzte befindet sich in vielen Regionen in großen personelle­n Nöten. Und hat deshalb selbst vorgeschla­gen, die Funktion der Verah ins Leben zu rufen. Warum auch nicht. Eine verantwort­ungsvoll arbeitende Verah wird ihre Kompetenze­n kennen und nicht überschrei­ten. Und das Tolle ist: Eine Verah fährt zu ihren Patienten hin – gerade ältere Menschen tun sich doch oft schwer, in eine Praxis zu kommen, weil sie nicht immer mobil sind.

Zudem kann die Verah mit sympathisc­hen Vorzügen brillieren. In der Regel sind sie ja gelernte Arzthelfer­innen. Sie kennen ihre Patienten oft gut, teils sehr persönlich – und haben ein anderes Näheverhäl­tnis zu ihren Patienten als ein Arzt. Will sagen: So manches wichtige Detail verraten Patienten lieber der Verah als dem Arzt, der gerade für viele ältere Menschen noch mit viel respektvol­ler Distanz betrachtet wird. Details, die aber für eine Therapie von Bedeutung sein können. Gut ausgebilde­te, engagierte Verahs bilden also eine sinnvolle Erweiterun­g der hausärztli­chen Versorgung der Bevölkerun­g. Vor allem auf dem Land.

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