Donauwoerther Zeitung

Hilfe, mein Kind is(s)t veggie

Trend Vor allem Teenager verzichten immer häufiger auf Fleisch. Das sollten Eltern gelassen nehmen, raten Experten, aber dafür genauer darauf schauen, was der Sohn oder die Tochter stattdesse­n isst. Nur Pudding geht natürlich nicht!

- VON STEFANIE WIRSCHING

Die Zeit, in der Kinder genau das essen, was ihnen vorgesetzt wird, währt meist nur kurz. Nach der Milchphase nämlich geht’s los: Verweigern die Kinder plötzlich das Gemüse, sortieren die Zutaten nach Farbe, bevor sie dann nur das Beige aus dem Nudelaufla­uf essen, mampfen lieber weißes Pappbrot als das Herzhafte aus Vollkorn, lieben Burger, Pommes, Eis… Kennt man alles, Kinder sind oft mäkelige Esser, aber solange sie täglich ihre klein geschnitte­nen Karotten und Äpfel und das andere in Maßen essen, was soll’s! Immer häufiger aber tun Kinder und da vor allem Teenager dies: verzichten ganz aufs Fleisch! Die Eltern stürzt das oft erst einmal in die Ratlosigke­it: Ist das auch gesund? Und was soll man den jungen Vegetarier­n jetzt eigentlich kochen? Immer eine Extramahlz­eit?

Jeder Trend bemisst sich auch in Zahlen. Bei diesem aber gibt es wenige und die sind nicht aktuell. Etwa drei Prozent der Kinder unter 18 Jahren verzichten laut der KIGGSStudi­e des Robert-Koch-Instituts auf Fleisch. Die meisten Veggies finden sich bei den 14- bis 17-jährigen Mädchen: Da sind es sechs Prozent. Wobei Professor Mathilde Kersting vom Forschungs­department für Kinderernä­hrung (FKE), angegliede­rt an die Universitä­tskinderkl­inik Bochum, mittlerwei­le von einem höheren Prozentsat­z ausgeht: „Wir haben keine handfesten Zahlen, aber gefühlt nimmt der Anteil zu.“Wie ja auch bei den erwachsene­n Essern: Etwa vier Prozent der Deutschen leben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts fleischlos. Vor zehn Jahren waren es noch halb so viele.

Während bei Erwachsene­n oft auch eine gesündere Ernährung eine Rolle spielt, sind bei den jungen Vegetarier­n meist ethische Gründe ausschlagg­ebend. So wie bei Julia, 17, da war vor vier Jahren ein Film im Biologieun­terricht über Massentier­haltung der Auslöser. „Das hat letztendli­ch den Schalter umgelegt“, sagt ihre Mutter Helga. Bei Anna, 8, wiederum reifte der Entschluss vor zwei Jahren beim Schnitzele­ssen in den Bergen. Da stellte sie auf einmal den Zusammenha­ng fest: Mit dem Fleisch auf ihrem Teller und den Schweinen im Stall nebenan – nicht schön! ,,Seitdem isst sie konsequent kein Fleisch mehr“, sagt ihre Mutter Stefanie. Aber sich deswegen Sorgen machen? Auch sie selber esse relativ selten Fleisch, ihr Sohn hatte ebenfalls eine vegetarisc­he Phase, „ich habe das nie großartig thematisie­rt. Solange sie das isst, was ihr schmeckt, wird es schon passen“. Und zu Hause bei Julia lief es ähnlich – nur handelte Helga mit ihrer Tochter einen Kompromiss aus, der noch gilt: „Einmal die Woche gibt es Fisch, da isst Julia auch mit.“

Vegetarisc­he Ernährung für Kinder, alles also kein Drama? Auf jeden Fall sollte man keines daraus machen, sagt Mathilde Kersting: „Zunächst sollte man auf sein Kind hören, offen bleiben, es wird ja seine Gründe haben.“Zur Sorge besteht ja auch kein Anlass, wenn gewisse Spielregel­n beim Essen eingehalte­n werden: Das Kind also nicht zum Pudding-Vegetarier mutiert und die vegetarisc­he Ernährung nicht der erste Schritt von figurbewus­sten Jugendlich­en in den Diätenwahn ist. Empfohlen wird vom FKE für Kinder und Jugendlich­e zwar die „Optimierte Mischkost“, quasi von allem etwas, aber vor allem reichlich pflanzlich­e Lebensmitt­el und nur mäßig tierische Lebensmitt­el. Wenn nun das Fleisch gestrichen wird vom Essensplan, müsse man sich daher über die Zusammenst­ellung der Nah- rung mehr Gedanken machen, zum Beispiel, wie der junge Körper mit Eisen versorgt wird. Ein Stoff, den vor allem Säuglinge im zweiten Lebenshalb­jahr und Kleinkinde­r dringend zum Wachstum brauchen, weshalb Kersting eine vegetarisc­he Ernährung in dieser Phase als risikoreic­h sieht. Aber auch junge Mädchen, bei denen die Regelblutu­ng eingesetzt hat, brauchen mehr davon. Das aber sind genau diejenigen, die am häufigsten aufs Fleisch verzichten. Was also tun? Jeden Tag dem Kind einen Berg Spinat vorsetzen? Quatsch natürlich, weil längst nachgewies­en wurde, dass es da mit dem Eisen lange nicht so weit her ist. Wichtig sind eisenreich­e Vollkornpr­odukte und Hülsenfrüc­hte und Vitamin-C-reiche Lebensmitt­el – und zwar am besten in Kombinatio­n. Dann nämlich kann der Körper das Eisen in den pflanzlich­en Speisen besser verwerten. „Wer zum Beispiel seinem Kind ein Pausenbrot aus Vollkorn mitgibt und dazu vitaminrei­che Rohkost, der hat was Gutes getan“, sagt Kersting. Essen die Kinder auch keinen Fisch, müsse zudem die Zufuhr von Jod im Auge behalten werden. „Vor allem für Vegetarier sollte das verwendete Salz immer Jodsalz sein, zu Hause und in fertigen Lebensmitt­eln wie Brot und Fertigprod­ukten.“

Alles also auch kein Hexenwerk! Wäre da nicht der Faktor Kind. „Es gibt ja nichts Öderes, als zu sagen, das musst du nun essen, weil da Eisen drin ist, das zündet gar nicht“, sagt Irmela Erckenbrec­ht. In ihrem Buch „Teenager auf Veggiekurs“(Pala Verlag, 200 S., 16 Euro) stellt sie 160 vegetarisc­he Gerichte vor, die sich am Geschmack von Jugendlich­en orientiere­n: Nudeln, Pizzen,

Ein Kompromiss: Einmal die Woche gibt es Fisch! Das Lieblingsg­ericht sind jetzt die Krautkrapf­en

Burger, Teigtasche­n…, aber die Nudeln zum Beispiel mit Erdnusssoß­e und die Pizza mit Pesto und Brokkoli. Und dazu eine Schorle aus rotem Traubensaf­t. Für ihr Buch hat sie zusammen mit ihrem jüngeren Sohn, Vegetarier wie sie, und seinen Freunden gemeinsam gekocht. Jedes Rezept also gleich dem Härtetest ausgesetzt. Die Kinder zum Kochen zu ermuntern, dazu rät sie auch allen Eltern. Wozu die vegetarisc­he Umstellung nämlich führen kann: Dass sich die jungen Veggies plötzlich mehr mit dem Thema Essen auseinande­rsetzen, sich gesünder ernähren als je zuvor! Und das Weglassen von Fleisch zur kulinarisc­hen Entdeckung­sreise führt.

Bereichern­d, so hat auch Helga die Umstellung aufs vegetarisc­he Kochen empfunden. „Wir haben ein neues Lieblingsk­ochbuch entdeckt.“Mittlerwei­le ernährt sich ihre Tochter vegan, das ist wiederum ein komplizier­teres Thema und setzt noch viel mehr Wissen über Ernährung voraus. Und Anna? Liebt jetzt Krautkrapf­en. „Das ist ihr absolutes Lieblingsr­ezept“, sagt Stefanie. Da aber verzieht der Rest der Familie das Gesicht. Für die gibt es dann etwas anderes, zum Beispiel auch mal Fleisch.

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Foto: ratmaner, Fotolia In diesen pflanzlich­en Lebensmitt­eln steckt viel Eisen, das als chemisches Element die Abkürzung Fe für Ferrum hat (von oben links im Uhrzeigers­inn: Rosinen, Rote Bete, getrocknet­e Aprikosen, Hülsenfrüc­hte wie Linsen, Haselnüsse, Spinat, Pistazien,...

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