Hilfe, mein Kind is(s)t veggie
Trend Vor allem Teenager verzichten immer häufiger auf Fleisch. Das sollten Eltern gelassen nehmen, raten Experten, aber dafür genauer darauf schauen, was der Sohn oder die Tochter stattdessen isst. Nur Pudding geht natürlich nicht!
Die Zeit, in der Kinder genau das essen, was ihnen vorgesetzt wird, währt meist nur kurz. Nach der Milchphase nämlich geht’s los: Verweigern die Kinder plötzlich das Gemüse, sortieren die Zutaten nach Farbe, bevor sie dann nur das Beige aus dem Nudelauflauf essen, mampfen lieber weißes Pappbrot als das Herzhafte aus Vollkorn, lieben Burger, Pommes, Eis… Kennt man alles, Kinder sind oft mäkelige Esser, aber solange sie täglich ihre klein geschnittenen Karotten und Äpfel und das andere in Maßen essen, was soll’s! Immer häufiger aber tun Kinder und da vor allem Teenager dies: verzichten ganz aufs Fleisch! Die Eltern stürzt das oft erst einmal in die Ratlosigkeit: Ist das auch gesund? Und was soll man den jungen Vegetariern jetzt eigentlich kochen? Immer eine Extramahlzeit?
Jeder Trend bemisst sich auch in Zahlen. Bei diesem aber gibt es wenige und die sind nicht aktuell. Etwa drei Prozent der Kinder unter 18 Jahren verzichten laut der KIGGSStudie des Robert-Koch-Instituts auf Fleisch. Die meisten Veggies finden sich bei den 14- bis 17-jährigen Mädchen: Da sind es sechs Prozent. Wobei Professor Mathilde Kersting vom Forschungsdepartment für Kinderernährung (FKE), angegliedert an die Universitätskinderklinik Bochum, mittlerweile von einem höheren Prozentsatz ausgeht: „Wir haben keine handfesten Zahlen, aber gefühlt nimmt der Anteil zu.“Wie ja auch bei den erwachsenen Essern: Etwa vier Prozent der Deutschen leben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts fleischlos. Vor zehn Jahren waren es noch halb so viele.
Während bei Erwachsenen oft auch eine gesündere Ernährung eine Rolle spielt, sind bei den jungen Vegetariern meist ethische Gründe ausschlaggebend. So wie bei Julia, 17, da war vor vier Jahren ein Film im Biologieunterricht über Massentierhaltung der Auslöser. „Das hat letztendlich den Schalter umgelegt“, sagt ihre Mutter Helga. Bei Anna, 8, wiederum reifte der Entschluss vor zwei Jahren beim Schnitzelessen in den Bergen. Da stellte sie auf einmal den Zusammenhang fest: Mit dem Fleisch auf ihrem Teller und den Schweinen im Stall nebenan – nicht schön! ,,Seitdem isst sie konsequent kein Fleisch mehr“, sagt ihre Mutter Stefanie. Aber sich deswegen Sorgen machen? Auch sie selber esse relativ selten Fleisch, ihr Sohn hatte ebenfalls eine vegetarische Phase, „ich habe das nie großartig thematisiert. Solange sie das isst, was ihr schmeckt, wird es schon passen“. Und zu Hause bei Julia lief es ähnlich – nur handelte Helga mit ihrer Tochter einen Kompromiss aus, der noch gilt: „Einmal die Woche gibt es Fisch, da isst Julia auch mit.“
Vegetarische Ernährung für Kinder, alles also kein Drama? Auf jeden Fall sollte man keines daraus machen, sagt Mathilde Kersting: „Zunächst sollte man auf sein Kind hören, offen bleiben, es wird ja seine Gründe haben.“Zur Sorge besteht ja auch kein Anlass, wenn gewisse Spielregeln beim Essen eingehalten werden: Das Kind also nicht zum Pudding-Vegetarier mutiert und die vegetarische Ernährung nicht der erste Schritt von figurbewussten Jugendlichen in den Diätenwahn ist. Empfohlen wird vom FKE für Kinder und Jugendliche zwar die „Optimierte Mischkost“, quasi von allem etwas, aber vor allem reichlich pflanzliche Lebensmittel und nur mäßig tierische Lebensmittel. Wenn nun das Fleisch gestrichen wird vom Essensplan, müsse man sich daher über die Zusammenstellung der Nah- rung mehr Gedanken machen, zum Beispiel, wie der junge Körper mit Eisen versorgt wird. Ein Stoff, den vor allem Säuglinge im zweiten Lebenshalbjahr und Kleinkinder dringend zum Wachstum brauchen, weshalb Kersting eine vegetarische Ernährung in dieser Phase als risikoreich sieht. Aber auch junge Mädchen, bei denen die Regelblutung eingesetzt hat, brauchen mehr davon. Das aber sind genau diejenigen, die am häufigsten aufs Fleisch verzichten. Was also tun? Jeden Tag dem Kind einen Berg Spinat vorsetzen? Quatsch natürlich, weil längst nachgewiesen wurde, dass es da mit dem Eisen lange nicht so weit her ist. Wichtig sind eisenreiche Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte und Vitamin-C-reiche Lebensmittel – und zwar am besten in Kombination. Dann nämlich kann der Körper das Eisen in den pflanzlichen Speisen besser verwerten. „Wer zum Beispiel seinem Kind ein Pausenbrot aus Vollkorn mitgibt und dazu vitaminreiche Rohkost, der hat was Gutes getan“, sagt Kersting. Essen die Kinder auch keinen Fisch, müsse zudem die Zufuhr von Jod im Auge behalten werden. „Vor allem für Vegetarier sollte das verwendete Salz immer Jodsalz sein, zu Hause und in fertigen Lebensmitteln wie Brot und Fertigprodukten.“
Alles also auch kein Hexenwerk! Wäre da nicht der Faktor Kind. „Es gibt ja nichts Öderes, als zu sagen, das musst du nun essen, weil da Eisen drin ist, das zündet gar nicht“, sagt Irmela Erckenbrecht. In ihrem Buch „Teenager auf Veggiekurs“(Pala Verlag, 200 S., 16 Euro) stellt sie 160 vegetarische Gerichte vor, die sich am Geschmack von Jugendlichen orientieren: Nudeln, Pizzen,
Ein Kompromiss: Einmal die Woche gibt es Fisch! Das Lieblingsgericht sind jetzt die Krautkrapfen
Burger, Teigtaschen…, aber die Nudeln zum Beispiel mit Erdnusssoße und die Pizza mit Pesto und Brokkoli. Und dazu eine Schorle aus rotem Traubensaft. Für ihr Buch hat sie zusammen mit ihrem jüngeren Sohn, Vegetarier wie sie, und seinen Freunden gemeinsam gekocht. Jedes Rezept also gleich dem Härtetest ausgesetzt. Die Kinder zum Kochen zu ermuntern, dazu rät sie auch allen Eltern. Wozu die vegetarische Umstellung nämlich führen kann: Dass sich die jungen Veggies plötzlich mehr mit dem Thema Essen auseinandersetzen, sich gesünder ernähren als je zuvor! Und das Weglassen von Fleisch zur kulinarischen Entdeckungsreise führt.
Bereichernd, so hat auch Helga die Umstellung aufs vegetarische Kochen empfunden. „Wir haben ein neues Lieblingskochbuch entdeckt.“Mittlerweile ernährt sich ihre Tochter vegan, das ist wiederum ein komplizierteres Thema und setzt noch viel mehr Wissen über Ernährung voraus. Und Anna? Liebt jetzt Krautkrapfen. „Das ist ihr absolutes Lieblingsrezept“, sagt Stefanie. Da aber verzieht der Rest der Familie das Gesicht. Für die gibt es dann etwas anderes, zum Beispiel auch mal Fleisch.