Nackte Frau, einen Hund flöhend
Die Titel von Kunstwerken, sofern sie nicht „o.T.“, also „Ohne Titel“lauten, können sehr anregende Lektüre sein – manchmal sogar sind sie kurze Erzählungen. So wie bei Sigmar Polke, der 1969 ein Gemälde folgendermaßen betitelte: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“Schöne Titel für seine Bilder findet auch ein anderer deutscher Großkünstler, Georg Baselitz – man denke nur an „Die große Nacht im Eimer“(Öl auf Leinwand, 250 x 180 cm) oder „Nachtessen in Dresden“von 1983.
Ein paar Jahrhunderte früher schickte Albrecht Dürer eine Skizze an seinen Arzt, die ihn selbst auf seine Milz zeigend darstellt. Dazu schrieb Dürer auf das Blatt: „Do der gelb fleck ist und mit dem finger drawff dewt do ist mir we.“Bleiben wir in Dürers Zeit. In der Pinakothek der Moderne in München ist derzeit in einer Ausstellung ein aus dem Jahr 1510 datierender hinreißender Kupferstich von Lucas van Leyden zu sehen, der den wundersamen Titel trägt: „Nackte Frau, einen Hund flöhend.“Einen Hund flöhend? Tatsächlich gibt es das Verb „flöhen“in unserer Sprache – es wird noch seltener benutzt als „lausen“, was aber nichts damit zu tun hat, dass laut Bundesumweltministerium der Insektenbestand hierzulande seit 1982 um bis zu 80 Prozent geschrumpft ist. Heute schon geflöht? Ich flöhe, du flöhst, er flöht, wir flöhen, ihr flöht, sie flöhen – welch Wohlklang! Wie heißt eigentlich das, was Hunde- und Katzenhalter täglich machen – nämlich Zecken aus dem Fell ihrer Lieblinge entfernen. Zecken? Nackte Frau, einen Hund zeckend? Das schwache Verb „zecken“nennt der Duden zwar tatsächlich. Es bedeutet aber so viel wie necken, reizen. Kein passendes Bild. Und auch den Satz „Frau, ihren Partner milbend“, wird man unter keinem Werk je lesen. Und jetzt Schluss mit dem Flöhen ins Ohr… (mls)